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    War photographer
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    War photographer
    Von Jörn Schulz

    Schon mal darüber nachgedacht, wie das Leben und die Arbeit eines Kriegsfotografen, eines „War Photographer“ aussieht? Als erstes assoziiert man sicherlich, Kriegsfotografen leben gefährlich, da sie immer ganz vorn mit dabei sein müssen, um eindrucksvolle Bilder zu machen. Denn nur die sensationellsten, ergreifendsten Bilder werden publiziert. Was aber geht eigentlich im Kopf eines Fotografen vor, der mehrere Jahrzehnte unsäglich viel Leid, Tod und Zerstörung gesehen hat? Wie ist es, durch die Arbeit fast täglich in Situationen versetzt zu werden, die einen daran zweifeln lassen, dass der Mensch im Grunde gut ist? Um diese Fragen zu beantworten, hat Regisseur Christian Frei den Kriegs- und Krisenfotografen James Nachtwey begleitet, der eine Ausnahmeerscheinung par excellence ist. Er erhielt für seine Arbeit bisher zwei Mal den World Press Preis, fünf Mal die Robert-Capa-Medaille, drei Mal den Infinity-Award des International Center of Photography in New York. Nachtwey war sechs Mal Magazin-Fotograf des Jahres in den USA und erhielt das Eugene-Smith-Gedächtnis-Stipendium. Außerdem war er von 1986 bis 2001 Mitglied der legendären Foto-Agentur „Magnum“. Nachtwey kreiert unumstritten einige der berührendsten und aufrüttelndsten Bilder und beeinflusst damit maßgeblich unsere Wahrnehmung von weit entfernten Kriegen und Krisen. Mit der Dokumentation „War Photographer“ zeichnet Christian Frei ein sehr dichtes und ausdruckstarkes Portrait des Fotografen und schärft dadurch die Aufmerksamkeit der Zuschauer für Bilder und den Umgang mit ihnen.

    Die erste Filmsequenz von „War Photographer“ beginnt mit brennenden Heuschobern und bedrückend lang gespielten Orchestertönen. Die Kamera führt den Zuschauer vorbei an in Flammen stehenden und stark qualmenden Scheunen hinzu einem nahezu komplett zerstörten Haus. Dachziegel fallen herunter, keine Menschenseele ist zu sehen, nur Verwüstung. Am Himmel ziehen bedrohlich wirkende Wolken vorbei. Die Atmosphäre ist erdrückend. Zwischen den stark beschädigten Häusern bewegt sich vorsichtig und äußerst bedacht ein Mann mit einer Fotokamera voran. Der Auslöseklick und der Kameramotor, der den Film weitertransportiert, sind deutlich herauszuhören. James Nachtwey ist bei der Arbeit, er dokumentiert die Hinterlassenschaften des Krieges, der im Kosovo tobt.

    Gleich zu Beginn fällt auf, dass sich Regisseur und Kameramann Peter Indergand kameratechnisch einiges haben einfallen lassen. Um dem Zuschauer einen unmittelbaren Eindruck von der Perspektive des Fotografen zu vermitteln, wurde an dessen Fotoapparat eine Mikro-Handkamera angebracht. Mit dieser sieht der Zuschauer fast genau das, was Nachtwey durch seinen Sucher erblickt. Diese perspektivische Glanzleistung führt einem bewusst vor Augen, wie nah der Kriegsfotograf am Geschehen ist. Er schießt seine Fotos nicht mit einem Super-Mega-Telezoom-Objektiv aus der Entfernung, sondern ist auch in schwierigen Situationen im wahrsten Sinne des Wortes an vorderster Front. Neben dieser Sequenz im Kosovo haben Christian Frei und sein Kamerateam Nachtwey außerdem bei Einsätzen in Jakarta, Ramallah und einer Schwefelmine in Ostjava begleitet, was einen guten Eindruck vom Arbeitsspektrum eines Kriegs- und Krisenfotografen vermittelt.

    Die Dokumentation rüttelt auf und zeigt in eindringlichen Bildern, einen kleinen Ausschnitt aus dem Leid der Welt, aus den Gräueltaten, die Menschen anderen Menschen zufügen können. Zudem werden die zersetzende Armut und deren Auswüchse in vielen Ländern der Welt angeprangert. Da müssen z. B. in Jakarta Arbeiter, die zwar einer regulären Beschäftigung nachgehen, aber trotzdem nicht genug Geld haben, in Slums direkt neben Eisenbahnschienen leben, wo man schnell unter die Räder kommt. Oder Kinder sind gezwungen, um das Überleben der Familie zu sichern, tagsüber auf Müllkippen nach brauchbaren Dingen zu suchen, anstatt in der Schule etwas zu lernen. All das hält James Nachtwey mit seinem Fotoapparat fest, um der Welt zu zeigen, welche Missstände es noch immer gibt, wo die Konfliktherde sind und wo geholfen werden muss.

    Der Film macht deutlich, wie ernst es Nachtwey mit seinen Fotos ist, wie überzeugt er von der Idee zu sein scheint, dass Bilder die Welt verändern können. Laut Nachtwey waren es die Aufnahmen des Vietnamkrieges, die ihn dazu veranlasst haben, diese Profession zu ergreifen. Sichtbar wird aber auch, dass der Bildjournalist ständig hin- und hergerissen ist, zwischen der Motivation alles zu dokumentieren und dem Gefühl weglaufen und all das nicht mit ansehen zu wollen, was auch das Eingangszitat verdeutlicht. Aber vielleicht ist es auch genau diese Spannung, die seine Bilder so besonders werden lassen, so viel Mitgefühl erregen. Den gesamten Film über werden einzelne Fotos von Nachtwey eingeblendet, die einen kleinen Teil seines Portfolios zeigen, das sich in unserer kollektives Bildergedächtnis eingeprägt hat: Hungersnöte in Afrika, Bürgerkrieg in Israel und Palästina und der Genozid auf dem Balkan.

    Da Nachtwey selbst als eher wortkarger Mann auftritt – sein Medium ist eben das Bild – und um andere Perspektiven auf ihn zu präsentieren, kommen viele alte Freunde, Wegbegleiter und Kollegen zu Wort. Der Stern-Redakteur Hans-Hermann Klare z. B. charakterisiert Nachtwey als einen Menschen, der den Kick, die Todesangst brauche, um sich wirklich lebendig zu fühlen. Die enge Freundin und ehemalige Lebenspartnerin Christiane Breustedt, Chefredakteurin des Magazins „Geo Saison“, gibt teils sehr persönliche Einblick in ihr Leben und ihre Erfahrungen mit Nachtwey. Natürlich wird auch Nachtwey selbst interviewt z. B. in seiner New Yorker Wohung mit Blick auf die Brooklyn Bridge. In den Interviews eröffnet sich ein weiterer Zwiespalt, dem der Fotograf sich ausgesetzt sieht. Inwiefern verdient er sein Geld mit dem Leid anderer Leute? Wie ist es zu deuten, dass er sich Leidenden und Trauernden auch in sehr intimen Momenten nähert und mit seiner Kamera auf sie zielt? Als Vampirismus und gefühlskalte Bildergier oder als verantwortungsbewusste Handlung, bei der die Kamera dazu benutzt wird, den Leidenden eine Stimme zu geben und somit zur Hilfe aufzurufen? Die Dokumentation schafft es auf grandiose Weise diesen Widerspruch offen zu legen und die Beantwortung der Frage, dem Zuschauer zu überlassen.

    „War Photographer“ ist eine Dokumentation, die einen vielschichtigen Einblick hinter die Kulissen der Kriegs- und Krisenfotografie gewährt. Ganz klar wird durch den Film herausgearbeitet, dass diese Art von Bildjournalismus eigentlich ein schizophrenes Geschäft ist. Auch wenn Nachtwey letztlich vom Zwang nach sensationellen, eindrucksvollen Bildern getrieben ist, will er damit nur eines erreichen: die Welt für alle Menschen ein kleines Stückchen lebenswerter zu machen, was man seinen Bildern in der Tat ansieht. Für sein äußerst nachdenklich stimmendes und filmisch hervorragendes Werk wurde Christian Freis Film 2002 für den Oscar nominiert.

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