Vor drei Jahren gelang dem Österreicher Stefan Ruzowitzky eine herrlich charmante Belebung des deutschen Genrekinos. Der Heidelberg-Slasher „Anatomie" überraschte durch höllische Spannung, ein wenig Ironie und eine Menge schrägem Thrill. Zwei Millionen Deutsche machten den Horror-Film zum Tophit, da war es keine Frage, dass der Erfolg eine Fortsetzung findet. Das selbe Team macht sich jetzt an das Sequel, das im Grunde eher ein Spin-Off ist. Denn von der Grundbesetzung hat nur Franka Potente einen kurzen Gastauftritt. Das Konzept, einen völlig neuen Film zu drehen, ist nicht schlecht, allerdings ging die Umsetzung voll daneben. „Anatomie 2“ ist kein Slasher mehr, sondern ein Medizin-Thriller. Das wäre zu verkraften, wenn der Film nicht auf ganzer Linie enttäuschen würde.
Der hochbegabte Ruhrpottjunge Jo Hauser (Barnaby Metschurat) ist Mediziner aus Überzeugung. Sein Bruder Will (Hanno Koffler) ist an den Rollstuhl gefesselt, das treibt Jo an, zu forschen. Er geht als AIPler (Arzt im Praktikum) an das renommierte Berliner Uniklinikum Benjamin Franklin (UKBF) und schließt sich dort dem elitären Zirkel um Professor-Guru Müller-LaRousse (Herbert Knaup) an. Die Vereinigung von Topstudenten entpuppt sich als geheime Loge, die sich der illegalen Forschung verschrieben hat. Die sogenannten Anti-Hippokraten, deren Ableger schon drei Jahre zuvor in Heidelberg für eine Menge Leichen sorgte, experimentieren an synthetischen Muskeln. Als Versuchsobjekte dienen sie selbst - jeder der Studenten lässt sich operativ künstliche Muskeln einsetzen, die per Computer steuerbar sind. Zunächst ist Jo begeistert von der arroganten, aber brillanten Elitetruppe. Doch schon bald bekommt er Zweifel. Der verängstigte Sven (Frank Giering) will aussteigen, das wird ihm zum Verhängnis... Und was ist mit dem vermeintlichen Junkie Benny (August Diehl), dem Studenten aus der Bruderschaft, der sich vor den Augen des Professors - völlig irrsinnig geworden - bei einem Kongress selbst aufschlitzte? Außerdem macht sich der Drogenkonsum, der nötig ist, um die Nebenwirkungen zu kontrollieren, langsam negativ bemerkbar. Jo wird misstrauisch...
Die Ideen, keinen müden Abklatsch von dem im wahrsten Sinne des Wortes spritzigen ersten Teil zu drehen, ist lobenswert. Doch leider schoss Regisseur und Drehbuchautor Ruzowitzky weit übers Ziel hinaus bzw. verfehlte es komplett. Der spröde Charme, den das Original auszeichnete, geht dem Sequel völlig ab. Sympathieträger? Fehlanzeige. In Ansätzen vielleicht die Hauptfigur, die Newcomer Barnaby Metschurat („Solino“) mit viel Elan und Einsatz einigermaßen glaubhaft verkörpert. Aber was kommt danach? Wenig bis gar nichts. Mit niemandem muss der Zuschauer mitzittern. „Anatomie 2“ bietet lediglich einen Haufen arroganter Charaktere, die nicht bewegen, keinerlei Emotion erzeugen. Schlimmer noch: Herbert Knaup chargiert als machtgeiler Professor Müller-LaRousse bis der Arzt kommt – und geht dabei weit über die Schmerzgrenze hinaus. Das ist nahezu unerträglich.
Die Grundidee ist durchaus interessant, aber das, was Ruzowitzky daraus gemacht hat, ist hanebüchen. Die Geschichte ist einfach unglaubwürdig, die Charaktere sind allesamt over the top und nicht sauber gezeichnet. Ein Paradebeispiel ist die Figur des Hagen. Roman Knizka gibt ihn zunächst als Musterschüler vom Dr. Frankenstein, der sich anschließend von seinem Lehrmeister abwendend, als Jo/Metschurat an seine Stelle rückt. Doch danach wandelt er sich ohne plausible Begründung zurück – diese Entwicklung ist nicht glaubhaft, wirkt gekünstelt, unecht. Spannung, die den ersten Teil vorantrieb, kommt nur leidlich auf. Nach dem Storyaufbau weiß jeder nach zehn Minuten, was in den weiteren 90 passiert. Gähn. Richtiger Nervenkitzel kommt nur einmal auf. Gleich in der erste Szene, als ein wahnsinniger August Diehl vor Publikum seinen Suizid zelebriert.
Dabei versteigt sich Ruzowitzky oft in Mätzchen mit Videokamera und schnellen Schnitten. Die Sexszene zwischen Heike Makatsch und Barnaby Metschurat ist durch den stakkatoartigen Schnitt in etwa so erotisch wie ein Lehrvideo zu Thema Gallensteinentfernung. Der Gastauftritt von Franka Potente, die im Original noch überzeugte, ist überflüssig, wirkt aufgesetzt. Ihre Tätigkeit als Anti-Hippokraten-Jägerin beim BKA ist ebenso unglaubwürdig wie das gesamte vor Klischees nur so strotzende Drehbuch. Je länger der Thriller dauert, desto unstimmiger wird das Ganze. Wenn am Ende wieder fast alles im Lot ist, ist es dem Zuschauer auch egal. Es schert den Betrachter einfach nicht.