“Bevor du stirbst, siehst du den Ring!” Keine schönen Aussichten für die Protagonisten von Gore Verbinskis paranormalem Mystery-Thriller „The Ring“. Für den Zuschauer verläuft das Remake des japanischen Box-Office-Blockbusters „Ringu" schon erheblich positiver, denn „The Ring“ ist eine der großen Überraschungen der Saison. Der enigmatisch verschachtelte Horror-Reißer fesselt als Mischung aus „The Sixth Sense" und „Blair Witch Project“ durch visuelle Brillanz, ist höllisch spannend und schlichtweg angsteinflößend.
Der Prolog lässt auf einen typischen Genrefilm à la „Scream“, „Ich weiß, was du letzten Sommer getan hast“ oder „Düstere Legenden“ schließen. Zwei Teenager, Becca (Rachael Bella) und Katie (Amber Tamblyn), unterhalten sich in einer abgelegen Hütte über eine Legende, nach der die Person, die ein mysteriöses Videoband ansieht, sieben Tage nach einem furchterregenden Telefonanruf stirbt. Allerdings stellt sich das nicht als Scherz heraus. Wenig später kommt es zu vier rätselhaften Todesfällen. Becca starb scheinbar vor Schreck und erlitt einen Herzinfarkt. Ihre Familie bittet ihre Tante, die Reporterin Rachel (Naomi Watts), Nachforschungen anzustellen.
Obwohl die alleinstehende Mutter des kleinen Aidan (David Dorfman) nicht an einen gewaltsamen Tod glaubt, recherchiert sie in der Angelegenheit und gelangt in den Besitz des rätselhaften Videobandes. Dessen bizarr-surrealistischer Inhalt - eine verstörende Bilder-Collage - zieht sie sofort in den Bann. Doch als auch bei ihr kurze Zeit nachdem sie das Band gesehen hat, das Telefon klingelt und ihr Tod in sieben Tagen angekündigt wird, bekommt Rachel Angst. Sie versucht, das Rätsel des Films zu entschlüsseln, um ihr Leben und das ihres Sohnes, der die Kassette durch Zufall gesehen hat, zu retten. Mit Hilfe eines Videoexperten, ihrem Ex-Mann Noah (Martin Henderson), entdeckt sie, dass unter den Bildern des Films weitere Frames versteckt sind...
In einer Zeit der 08/15-Blockbuster von der Stange und angesichts der derzeitigen Mutlosigkeit Hollywoods, ist die Courage von Laurie MacDonald und Walter F. Parkes zunächst schon einmal lobenswert. Die Produzenten von „The Ring“ beziehen sich zwar auf „Ringu", den in seinem Heimatland Japan erfolgreichsten Film aller Zeiten - basierend auf dem gleichnamigen Kultroman von Kijo Suzuki - aber die Kulturen sind doch derart unterschiedlich, dass sich ein Erfolg nicht ohne weiteres projezieren lässt. Sie gaben Regisseur Gore Verbinski („Mäusejagd“), der gerade Julia Roberts und Brad Pitt in „The Mexican“ ambitioniert und elegant scheitern ließ, ein stattliches Budget von 45 Millionen Dollar in die Hand und besetzten dazu zwei relative Nobodies als Stars. Riskant. Doch das überzeugende Ergebnis gibt ihnen Recht.
Die Hauptrolle der ermittelnden Zeitungsjournalistin Rachel verlangte nach einem frischen, unverbrauchten Gesicht. Und das ist mit der Australierin Naomi Watts, die Sensation aus David Lynchs Albtraum-Thriller „Mulholand Drive", exzellent gewählt. In ihrer ersten Big-Budget-Hauptrolle beweist Watts, dass sie einen großen Film allein tragen kann. Sie zeigt die richtige Mischung aus Angst, Coolness und Stärke, die nötig ist, dass ihr die Zuschauer bei der Entschlüsselung der enigmatischen Handlung folgen. Ihr Co-Star Martin Henderson („Windtalkers") fällt dagegen etwas ab, was aber von dem großartigen Kinderdarsteller David Dorfman („Bounce“) und Nebenfiguren wie Brian Cox („Blutmond") wieder aufgefangen wird. Zwar wandelt Dorfman allzu offensichtlich in den Spuren eines Haley Joel Osment, aber das macht er sehr gut. Sein „I see dead people“ lautet hier „Don’t you understand, Rachel?“, ist eine Schlüsselszene kurz vor dem Ende und dabei beinahe genauso stark wie die Referenz aus „The Sixth Sense".
Von Anfang an macht sich in „The Ring“ eine äußerst bedrohliche Atmosphäre breit. Düstere, fast monochrome Farben und ein deprimierender Moll-Score von Hans Zimmer begleiten die Figuren bei der Suche nach der Lösung. Dabei ist das Konstrukt der Geschichte clever angelegt. Nach und nach ergeben Bilder, die vorher sinn- und zusammenhanglos erschienen, einen Sinn - eine große Stärke des Films. Rachel/Watts kommt einer wahren Familientragödie auf die Spur, die der Schlüssel zu allem ist. Der titelgebende Ring ist in verschiedenen Weisen zu deuten. Zum einen ist klar: „Before you die, you see the ring.” Trotzdem findet sich das Symbol über den ganzen Film verteilt in einigen Szenen wieder. Beispielsweise als weiße, blutunterlaufene Ränder eines zu Todes geängstigten Pferdes, als Brunnen, der im späteren Verlauf eine wichtige Rolle spielt oder als Deutung des nervtötenden Telefonklingelns, das sich nach der todbringenden Videosession einstellt.
Der subtile Horror, den Verbinski verbreitet, entsteht fast ausschließlich im Kopf des Zuschauers - explizit blutige Szenen sind selten zu sehen. Vielmehr wird Furcht und Gänsehaut durch simple Vorzeichen wie plötzliches Nasenbluten und unerklärliche Handabdrücke erzeugt. Als Medium und Fenster zwischen den zwei Welten dient der Fernseher und zwar so perfekt, wie es seit „Poltergeist“ und „Videodrome“ nicht mehr zu sehen war. Der Horror beginnt zunächst surreal, entwickelt sich aber in der zweiten Hälfte klassischere Gothic-hafte Formen.
Was „The Ring“ besonders auszeichnet, sind diese phantastischen Bildkompositionen, die Verbinski, dem Publikum serviert. Schlichte Anflüge von Genialität: Die Szene mit dem todessehnsüchtigen Hengst auf der Fähre erreicht eine dermaßen hohe Intensität, dass einem der kalte Schauer über den Rücken läuft. Von diesem Kaliber gibt es noch einige weitere Szenen. Die clevere Schlusspointe rundet „The Ring“ elegant ab und rechtfertigt, dass sich der übernatürliche Thriller in den USA bereits zu einem Box-Office-Hit und Kultfilm entwickelt hat. Und einen erfreulichen Nebenaspekt hat der Erfolg auch. „The Ring“ wird die wunderbare Naomi Watts zum Star machen...