Von einem WorldWarII-Film, der ohne Panzer, Explosionen und weitestgehend auch ohne ratternde Maschinenpistolen auskommt, der nicht von Action-Einlagen, sondern sorgfältigem Spannungsaufbau angetrieben wird, beachtliche vierzig Jahre nach seinem Erscheinen aber noch eine Videospielumsetzung für die PlayStation2 spendiert bekommt (und das in Zeiten von reißerischen Kriegsspektakeln wie „Medal of Honor“ und „Call of Duty“), kann wohl behauptet werden, dass er seinen Weg ins popkulturelle Gedächtnis gefunden hat. Die wahre Geschichte der Massenflucht allierter Gefangener aus einem deutschen Hochsicherheitslager gilt gleichwohl mehr als Klassiker des Gefängnis-, denn des Kriegsfilms. Das autobiographische Buch des selbst im Luftwaffe Camp Stalag Luft III insässigen Paul Brickhill diente als Vorlage für John Sturges „The Great Escape“, im deutschen ungleich martialischer in „Gesprengte Ketten“ umgetauft. Mit namentlich umwerfendem, wenn auch erzählerisch nicht voll ausgereiztem Staraufgebot gelang dem Regisseur die teils heitere, teils bestürzende Umsetzung, von den realen Ereignissen hin zur spannenden Unterhaltung.
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Ein ganzer Haufen Ausbruchspezialisten wird in ein neu angelegtes, bestens bewachtes und als ausbruchsicher geltendes Lager in Süddeutschland überführt. Unter der Führung von Squadron Leader Roger Bartlett schließen sich Briten und Amerikaner zusammen und planen die Flucht von zweihundertfünfzig Männern. Dazu wird der Bau von ganzen drei Tunneln angegangen. Der draufgängerische Captain Virgil Hilts und der nervlich angeschlagene Flying Officer Archibald Ives versuchen ihr Glück zunächst auf eigene Faust, landen jedoch immer wieder in Einzelhaft im „Bunker“. Als der erste von Bartletts Tunneln von den Wachen entdeckt wird und sich das Entkommen der Männer weiter erschwert, stürzt sich Ives in eine Verzweiflungstat und wird erschossen. Daraufhin schließt sich auch Hilts endlich Bartlett an und der Bau des zweiten Tunnels kommt voran. Doch weitere Probleme beginnen sich aufzutürmen...
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Während die viel zitierte Titelmelodie von Elmer Bernstein zum fröhlichen Mitpfeifen einlädt und sofort ihren Rhythmus findet, braucht der Film dafür eine Ecke länger. Die anfängliche Zerfahrenheit fängt mit einer Vielzahl an Charakteren einen sehr humoristischen Ton ein, es finden erste Fluchtversuche statt, trockene Oneliner werden zum Besten gegeben (Sedgwick: »Danny, do you speak Russian?« Danny: »A little, but only one sentence.«), Captain Hilts sondiert mit Baseball und Handschuh die Lage und testet die Wachsamkeit der Aufseher, Lagerführer Oberst Von Luger gibt zu verstehen, dass an ihm kein Vorbeikommen ist. Obwohl mit Steve McQueen, James Coburn, Charles Bronson oder James Garner durch so ziemlich jedes Bild mindestens einer der Stars läuft kristallisiert sich niemand als DER Leading Man heraus. Doch mit dem Auftauchen von Richard Attenborough, der als Squadron Leader Roger Bartlett das Kommando an sich reißt, bündeln sich die parat gelegten Fäden in Richtung eines Haupthandlungsstrangs. Bartlett, genannt Big X, plant nicht weniger als das ultimative Meisterstück unter den Ausbrüchen. Nicht bloß, um die Männer in die Freiheit zu führen, sondern um die Nazitruppen anschließend aufzuscheuchen und sie zu zwingen, für die Jagd nach den Flüchtlingen Ressourcen frei zu machen, die an anderer Stelle dringender gebraucht würden. Für seinen Feldzug gegen die Nazis ist Bartlett zu höchsten Risiken bereit, wobei ihn persönliche Erfahrungen mit SS und Gestapo zusätzlich antreiben. Auch wenn es den Männern im Camp unter Leitung der Luftwaffe nicht gerade schlecht ergeht, ist für Bartlett jedweder Feind überein und in seinen persönlichen Rachegefühlen sieht der ranghöchste Offizier in Reihen der Gefangenen, Ramsey, durchaus eine Gefahr für ihr Unternehmen.
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Bei einem Treffen am Abend werden den Ausbruchsspezialisten von Bartlett ihre Aufgaben zugewiesen und „The Great Escape“ macht endgültig klar, dass er nicht als Solospiel, sondern als Team-Match ausgetragen wird. Darin finden sich Vor- und Nachteile. Die einzelnen Stationen der Flucht werden unterhaltsam und trotz zeitlicher Raffung nachvollziehbar aufgedröselt und der Einfallsreichtum, mit dem die Gefangenen zu Werke gehen, ist vergnüglich und spannend. Spaßig auch der erste Ausbruchsversuch von Hilts und Ives, der dermaßen kläglich scheitert, dass er nicht einmal gezeigt wird, sondern die beiden nach Hilts‘ selbstsicherer Ankündigung postwendend und dreckverschmiert wieder im „Bunker“ landen. Eine wirklich identitätsschaffende Figurenzeichnung wird bei all dem allerdings verpasst, zwar kann das Charisma und die bloße Anwesenheit der hochkarätigen Darsteller Sympathie für die Charaktere und ihre Sache wecken, der Aufwand des Gezeigten liegt dabei aber zumeist höher, als der Ertrag des Fühlbaren und der Möglichkeiten des Mitfühlens für den Zuschauer. Denn für echte Emotionen und deren Auslösen kommt einem dann doch niemand nah genug. Der einen großen wohnen viele kleine Geschichten inne, die zwar teilweise dramatische Wendungen nehmen, wie die Erschießung Ives‘, die Klaustrophobie des eifrigsten Tunnelgräbers Danny oder die Erblindung des Dokumentenfälschers Colin. Diese individuellen Schicksalsschläge im Kleinen sind Folge oder haben Folgen für das Große, sind aber eben dieser Zweckmäßigkeit sehr deutlich zugeordnet. Die Hindernisse müssen von Innen geschaffen werden, auch, weil die Gefahr von außen kaum als solche wahrzunehmen ist, worin wiederum Stärke wie Schwäche liegt. Das Leben der Gefangenen im Camp wirkt beinahe unbeschwert, eine Bedrohung ist nur ganz selten spürbar, vorwiegend deshalb, weil die Story auf eine sterotype Schilderung der Nazis verzichtet. Oberst Von Luger, gespielt von Hannes Messemer, legt Wert auf zivilisierten Umgang, weder er noch die Wachen ergehen sich in Unmenschlichkeit und Grausamkeiten. Der etwas dösköppige Soldat Werner darf sogar deutliche Kritik am Dritten Reich üben und ist, genau wie Von Luger, alles andere als ein Fanatiker. Dies setzt der »alle Feinde sind gleich«-Haltung von Bartlett ein Argument entgegen, das zwar weitestgehend ein passives bleibt, womit aber dennoch ein erfreuliches Maß an Differenziertheit gegenüber der üblichen Nazi-Routine erreicht wird.
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Mit Beginn des Ausbruchs schmeißt „The Great Escape“ ordentlich Kohlen ins Feuer und heizt die Spannung gehörig an. Der zu kurz geratene Tunnel entlässt die Flüchtlinge auf offenem Gelände, statt wie geplant ein paar Meter weiter im Wald. Zu den patroullierenden Wachen und Suchscheinwerfern gesellen sich ein plötzlicher Fliegeralarm und ein den Kopf verlierender Danny. Letztlich gelingt nur sechsundziebzig der geplanten zweihundertfünfzig Männern der Ausbruch. Einigen von ihnen und ihren weiteren Schritten folgt nun der Film, wobei die nachfolgende Flucht buchstäblich zu Wasser, zu Lande und in der Luft passiert. Darin hätte sicher ein höheres Potenzial zum fingernägelkauenden Mitfiebern gelegen, wären da nicht die angeführten Schwächen bei der Figurenzeichnung. Der von James Coburn gespielte Sedgwick zum Beispiel bleibt als Teil des Kollektives genauso ohne Fülle, wie nun davon losgelöst. Steve McQueen darf seine Fähigkeiten als Motarradfahrer zeigen (eine Sequenz, die er zur Bedingung für seine Zusage machte) und bekommt damit die spektakulärste Actionszene, die in ihrer Länge genaugenommen keinen Zweck erfüllt, sich aber allein aufgrund McQueens unverschämtem Grinsen lohnt, dass er an ihrem Ende seinen Häschern entgegen wirft. Ein Anblick, der am lautesten dafür spricht, dass den Schauspielern der Ausgleich und überwiegend auch der Führungstreffer gegen die Defizite ihrer Charaktere gelingt. Neben McQueen gehen auch Attenborough, James Garner, Donald Pleasance und Charles Bronson recht deutlich in Führung.
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„The Great Escape“ bringt sein Spiel insgesamt souverän nach Hause, fängt nicht viele Gegentreffer, kombiniert sicher durch leichte und ernstere Passagen, die den Stärken des Films maßgenau die Bälle vorlegen. Diese werden vom gelungenen Spannungsbogen, Sturges‘ treffsicherer Inszenierung und den zumeist flach angespielten Stars locker verwandelt. Das überzeugende Ergebnis wird vom gewohnt hervorragenden Score der 14fach Oscar-nominierten Komponistenlegende Elmer Bernstein zusätzlich ins rechte Licht gerückt. Und obwohl dieser geschlossenen Mannschaftsleistung das bestenfalls durchschnittliche PlayStation2-Game trotz Original-Musik und –Charakteren im Jahr 2003 nicht viel hinzuzufügen hatte, spricht auch sein Entstehen dafür, dass „The Great Escape“ sich seine Unvergessenheit verdient hat.
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komplette Review siehe: http://christiansfoyer.wordpress.com/2009/11/26/classic-the-great-escape/