Es dauerte einige Jahre, bis nach Mauerfall und Wiedervereinigung unter dem Kunstwort „Ostalgie", die Auseinandersetzung mit den positiven Aspekten des DDR-Systems begann. Neben zahlreichen Fernsehshows in denen typische Ostprodukte und Gepflogenheiten zelebriert wurden, kamen auch einige Spielfilme zum Thema in die Kinos. Berühmtestes Beispiel ist fraglos die vielfach ausgezeichnete Erfolgskomödie „Good Bye Lenin!". Den Anfang machte allerdings Leander Haussmann mit seiner „Sonnenallee", einer sympathischen Grenzkomödie über den aufregenden Alltag der Jugendlichen jenseits der Mauer.
Der 17-jährige Michael (Alexander Scheer) und sein bester Freund Mario (Alexander Beyer) leben in der DDR – genauer gesagt in der Sonnenallee, die sich unmittelbar an der Grenze zwischen Ost- und Westberlin befindet. Gemeinsam mit ihrer rein männlichen Clique stehen sie kurz vor dem Abitur und müssen sich bald entscheiden, ob sie sich für drei Jahre als Soldaten verpflichten wollen. Es heißt die Chancen auf ein Studium in Moskau seien danach besser. Doch das ist nicht das einzige Problem der pubertierenden Ossi-Jungs. Der eine verliebt sich in eine originalverschweißte Schallplatte der Beatles, die auf dem Ostschwarzmarkt jedoch unerschwinglich teuer ist. Michael hingegen hat nur noch Augen für die Schulschönheit Miriam (Teresa Weißbach) und setzt alles daran, sie zu erobern. Und auch die Eltern von Michael haben Sorgen: Während Michaels Wessi-Onkel Heinz (Ignaz Kirchner) zu Besuch ist, plant seine Mutter (Katharina Thalbach) mit einem gestohlenen Ausweis die Flucht in den Westen. Turbulente Tage in der Sonnenallee...
Zu verbotenem West-Rock wird auf dem Spielplatz getanzt und die vorbeifahrenden westlichen Touristenbusse gekonnt auf die Schippe genommen. Die Jugendlichen in der Sonnenallee haben Spaß. Vor allem aber stört es sie nicht, dass sie in der DDR leben. Sie kennen es nicht anders und sie lieben ihre Heimat. Fehlenden Westluxus kompensiert mal der schmuggelnde Onkel von Drüben oder der gut ausgestattete Schwarzmarkthändler. Aufgrund der nahen Grenzlage kann man sogar Westfernsehen empfangen – Herz, was willst du mehr? Da lässt man sich auch nicht von gaffenden Wessis stören, die per Aussichtsplattform über die Mauer schauen und ihre abgegrenzten Mitbürger wie Tiere im Zoo beobachten.
Regisseur Leander Haußmann lässt bewusst ein positives und fröhliches Bild des Alltags in der DDR entstehen. Selbst im Osten aufgewachsen, war Haussmann beim Fall der Mauer gerade einmal 30 Jahre alt. Somit ist das Spielfilmdebüt des Theaterregisseurs nicht zuletzt eine sehr persönliche Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit. Entgegen vielen negativen Erfahrungsberichten zeigt er, dass die sozialistische Robinsonade für die Kinder des Systems gar nicht so schlimm war, wie gerade im Westen oft getan wurde. Zwar schwingt auch in „Sonnenallee" an einigen Ecken und Enden Systemkritik mit. Ob der NVA Wehrdienst (den Haußmann in seinem späteren Film „NVA" näher beleuchten sollte), der stetige Verdacht, der Nachbar könnte ein Stasimitarbeiter sein, oder auch die geplante Flucht von Michaels Mutter in den Westen. Dennoch überwiegen die positiven Töne, die auch zeigen, dass es zwischen Jugendlichen in Ost- und Westdeutschland letztlich keinen großen Unterschied gegeben hat.
Besonders die einzelnen Figuren sind pfiffig gezeichnet: Jede hat seine ganz eigene Einstellung zum System und lebt, wie es ihm gefällt. Das bietet viel Stoff für zotige Anspielungen, die besonders die Bewohner der ehemaligen DDR amüsieren werden (Stichwort „Mufuti"). Doch die Folge dieses eher losen Erzählrahmens ist eine wenig stringente Geschichte, die keinem wirklichen Spannungsbogen folgt. Doch gerade diese vielen Puzzleteilchen, aus denen sich das Leben in der Sonnenallee zusammensetzt, machen andererseits auch die Qualität von Leander Haußmanns „Sonnenallee" aus.
Fazit: Leander Haußmanns „Sonnenallee" ist eine ostalgische Gute-Laune-Komödie, die mit ihren kauzigen Figuren und der gekonnten Karikatur des sozialistischen Deutschlands über weite Strecken Spaß macht und es gerade Westdeutschen ermöglicht, einen Blick auf die andere Seite der DDR zu werfen.