Die Liste verhunzter deutscher „Übersetzungen" von Filmtitel ist lang. Doch es gibt auch Ausnahmen, deutsche Titel, die die Essenz eines Films präziser einfangen als der Originaltitel. Im Original noch ganz profan „Le grand bleu" („Das große Blau"), bringt der deutsche Titel „Im Rausch der Tiefe" Luc Besson Taucherfilm auf den Punkt. Den der 1988 gedrehte Film ist tatsächlich ein einziger Rausch, der die Faszination des Meeres beschwört und das Tiefseetauchen in magische Bildern fasst. Über den Großteil der Laufzeit eine ruhige Meditation über die scheinbar unendliche Weite und Stille des Ozeans, nimmt „Im Rausch der Tiefe" gegen Ende existenzialistische Züge an.
Die beiden Jungen Jacques (Jean-Marc Barr) und Enzo (Jean Reno) wachsen auf einer griechischen Insel auf und sind begeisterte Taucher. Während Enzo bei den anderen Kindern im Dorf sehr beliebt ist, ist Jacques ein Einzelgänger, der stark auf seinen Vater fixiert ist, der als Schwammtaucher arbeitet. Als sein Vater bei einem Tauchunfall ums Leben kommt, verlässt Jacques die Insel und begegnet Enzo erst als Erwachsener wieder. Während Enzo der aktuelle Weltrekordhalter im Tauchen ohne Sauerstoffgerät ist, taucht Enzo zu wissenschaftlichen Zwecken. Enzo überredet Jacques bei der nächsten Weltmeisterschaft im Apnoetauchen gegen ihn anzutreten. Die beiden reisen nach Sizilien, wo Jacques die New Yorker Versicherungsagentin Johanna (Rosanna Arquette) wieder trifft, die er in Peru kennen gelernt hatte. Ein im wahrsten Sinne des Wortes atemberaubendes Duell um die Weltmeisterschaft beginnt.
Mit diesem Film erfüllte sich der ehemalige Tauchlehrer Luc Besson einen lang gehegten Traum. Inspiriert ist die Handlung von den Tauchern Jacques Mayol und Enzo Majorca, die sich in den sechziger Jahren wechselseitig die Tauchrekorde abjagten. Majorca war technische Berater bei den Dreharbeiten, bei denen die beiden Hauptdarsteller nach einem monatelangen Tauchtraining Aufnahmen bis zu einer Tiefe von vierzig Metern selbst durchführten. Die Kamera bei den Unterwasseraufnahmen führte Luc Besson selbst, der ein Tauch-Epos inszenierte, das im Director´s Cut gut 160 Minuten lang ist. Weniger wegen großer Ereignisfülle, sondern Bessons Versuch, das Lebensgefühl seiner Figuren und ihrer Liebe für die Welt des Meeres einzufangen.
Eine klassische Dramaturgie, konventionelle Spannung darf man über weite Strecken von „Im Rausch der Tiefe" also nicht erwarten. Stattdessen besticht der Film durch die von Kameramann Carlo Varini traumhaft eingefangenen Bilder des Meers und der magischen Unterwasserwelten. Betont wird diese fast impressionistisch Grundstimmung durch die Musik von Carlo, die sich seinerzeit zum Verkaufsschlager entwickelte. Die Faszination, die das Meer ausübt verkörpert insbesondere der introvertierte Jacques, der sich in der Stille der Unterwasserwelt deutlich mehr zu Hause fühlt, als in der hektischen Welt der Menschen. Im Gegenüber steht Enzo, ein Lebemann der auch weltlichen Genüssen nicht abgeneigt ist. Zugleich bewundert er Jacques jedoch für seine Konsequenz, die schließlich zur endgültigen Vereinigung mit der über alle Maßen geliebten Unterwasserwelt führt. Im Grunde ist auch Enzo das Leben auf dem Land fremd, ein Thema, das „Im Rausch der Tiefe" bis zur letzten Konsequenz darstellt.
Fazit: Luc Bessons Taucher-Epos „Im Rausch der Tiefe" bricht bewusst mit konventionellen Sehgewohnheiten und konzentriert sich auf die Darstellung der speziellen Atmosphäre des Meeres und der Unterwasserwelt. Betörende Bilder und eine passende Filmmusik sorgen in der Verbindung mit dem herausragenden Spiel der Hauptdarsteller für ein besonderes Seherlebnis, dass die ungewöhnliche Welt zweier außergewöhnlicher Männer zeigt.