„If today´s no good, you´ll have tomorrow...“
1991: Als Studio Ghibli noch in den Anfängen war und die ersten Erfolge mit „Mein Nachbar Totoro“ feierte, erschien „Only Yesterday – Tränen der Erinnerung“. Regisseur war Isao Takahata, der drei Jahre zuvor mit „Die letzten Glühwürmchen“ Aufsehen erregt hatte. Doch wie so viele der alten Anime-Filme, wurde „Only Yesterday“ erste viele Jahre später der großen Welt gezeigt. In Deutschland etwa erschien der Film erst 2006, eine Zeit, in der das Land vom Anime-Fieber gepackt war (siehe „Dragonball“, „Pokémon“ und „Ranma“). Besser spät als nie, denn dies ist ohne Zweifel einer der schönsten Ghibli-Filme, die ich bisher gesehen habe und das soll was heißen bei diesen Meisterwerken!
Anfang der 80er Jahre reist die 27-jährige Taeko aufs Land, um dort bei Bekannten Urlaub zu machen und bei der Landwirtschaft zu helfen. Taeko ist verliebt in diese Welt und erinnert sich während ihres Aufenthalts immer wieder an ihre schwierige Vergangenheit als kleines Mädchen…
Es ist beachtlich wie sehr dieser Film seiner Zeit voraus ist. Themen wie die Selbstständigkeit und Unabhängigkeit junger Frauen oder auch die Flucht aufs Land, all das passt heute sehr gut in unsere heutige Gesellschaft. Und der Film ist bereits über 20 Jahre alt! Ich selbst hatte beim Schauen vermutet, dass er wenn überhaupt Anfang der 2000er herausgekommen ist.
Doch was mich noch mehr fasziniert: Der Film ist eher für Erwachsene als für Kinder. Ghibli wird ja oft mit Pixar oder Disney verglichen und es gibt einige Filme, die perfekt für Kinder sind. Andere hingegen behandeln deutlich erwachsenere Themen, wie etwa „Prinzessin Mononoke“, der zudem auch ganz schön blutig ist. Und „Only Yesterday“ fühlt sich wie ein modernes Arthouse-Drama an. Die Szenen in der Vergangenheit haben zwar sehr viele Szenen mit Kindern und deren Albernheiten, aber die Szenen in der Gegenwart behandeln Themen wie Selbstfindung oder wie man mit seiner Vergangenheit umgeht. Auch der ganze Landwirtschaftsaspekt dürfte kleine Kids sicherlich schnell langweilen. Aber vielleicht traut man Kindern heutzutage auch viel zu wenig zu…
Das alles hat aber nichts mit der Qualität des Films zu tun! „Only Yesterday“ ist vor allem eins: Wunderschön. Die Ghibli-Animes bestechen immer durch ihren charmanten Realismus und ihre Ruhe. Selbst große Actionmomente, wie in „Prinzessin Mononoke“, sind nicht vergleichbar mit heutigen Kinderfilmen, bei denen alles immer größer und schneller sein muss. „Only Yesterday“ hingegen erzählt eine Geschichte über eine Frau und ihre Vergangenheit. Das ist übrigens wundervoll umgesetzt, nicht nur stilistisch. Die Szenen in Taekos Vergangenheit haben diesen herrlichen Pastellton und sind auch zeichnerisch anders animiert als die Szenen in der Gegenwart. Aber vor allem geben die Flashbacks grandiose Einblicke in das Leben eines Kindes, welches sich wie das fünfte Rad am Wagen fühlt und nicht weiß, wohin es gehört. Einerseits wird das mit viel Witz erzählt (wie etwa die Szenen über die Periode), aber auch mit einer rührenden Traurigkeit und Melancholie. Und das Schönste: Es ist ein Anime. Ich weiß nicht, ob ich jemals einen Anime gesehen habe, der eine so konsequent, dramatische Story erzählt hat, ohne übernatürliche Figuren und Ereignisse. Eine relativ simple Geschichte, die man sich als Film mit echten Schauspielern gut vorstellen kann, aber als Anime? Eher nicht. Klar, Ghibli hat mehrere dieser Filme herausgebracht, die sehr simpel in ihrer Geschichte sind, siehe „Stimme des Herzens“ oder „Der Mohnblumenberg“. Aber keiner hat mich bisher so berührt, wie dieser. Regisseur Takahata kreiert eine einzigartige Atmosphäre, aber vor allem echte Figuren. Mit echten Ängsten, echten Freuden und echten Träumen. Besonders die Protagonistin ist unfassbar komplex gestaltet.Selbst die kleinste Nebenfigur wirkt wie aus dem echten Leben. Ein unfassbar gutes Drehbuch, welches ebenfalls von Takahata stammt.
Ab und zu lässt sich der Film aber auch nicht die kreative Freiheit nehmen, um etwas abstrakter und metaphorischer zu werden. Wie etwa wenn die kleine Taeko aufgrund ihrer ersten Liebe anfängt durch den Himmel zu fliegen. Vor allem aber ist es die Vermischung von Gegenwart und Vergangenheit. Die Art wie Teakos junges Ich immer wieder in ihre Welt dringt, ist herzerwärmend,, vor allem am Ende.
Was soll ich über die technischen Dinge sagen? Der Film ist stark animiert, besonders für 1991. Gerade die dezenten Gesichtszüge der Figuren sind sehr kraftvoll. Die Musik von Katsu Hoshi ist sehr besonders und gibt dem Film einen eigenen Touch. Gerade die ungarischen Bauernlieder, die von einer Figur im Film gehört werden, sind die Kirsche auf dieser leckeren Sahnetorte.
Fazit: „Only Yesterday“ ist ein Anime-Segen. Einer von Ghiblis besten Filmen. Berührend, humorvoll und spricht sicherlich etwas in uns allen an. Ein Film, der uns näher zur Antwort bringt auf die Frage: Wo ist mein Platz auf dieser Welt?