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    Die Wärterin
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Die Wärterin

    Vorhersehbares, aber handwerklich überzeugendes Rache-Drama hinter Gittern

    Von Patrick Fey

    Wann immer ein neues Gefängnis-Drama aus dem weiten Nährboden der Kinolandschaft sprießt, gilt es, besonders achtsam zu sein. Achtsam bezüglich der Darstellungsweisen der Räume, der Insass*innen, der Wärter*innen, der expliziten und impliziten Regeln und Codes, der Sprache, der Ideologien. Wenige Settings sind dermaßen überdeterminiert, und wenige Genres haben so viele Stereotype hervorgebracht. Beinah zu leicht lässt sich in diesem Fahrwasser vermeintlich neuer Stoff hervorbringen, der den Plot in leicht veränderter, aber gleichwohl erkennbarer Form entlang gewohnter Erzählmuster entwickelt. In Gustav Möllers zweitem Spielfilm „Sons“ scheint es zunächst auch so, als sei dem Dänen mehr an Vertrautem denn an Verfremdung gelegen, setzt dieser doch, noch ehe wir die erste Einstellung zu Gesicht bekommen, mit dem allseits vertrauten Buzzer der elektrischen Gefängnistore und dem Klicken der aufgeschlossenen Gittertüren ein.

    Die Bilder, die darauf folgen, unterlaufen allerdings die Erwartungen, die anhand der Soundkulisse in uns geweckt wurden. Wir sehen der Gefängniswärterin Eva (gespielt von der ikonischen Sidse Babett Knudsen) dabei zu, wie sie einem Insassen nach dem anderen erstaunlich liebenswürdig das Frühstück aushändigt und sich bei ihnen erkundigt, ob sie gut geschlafen hätten. Später sehen wir sie, wie sie einen Yoga-Kurs leitet, einen Mathematik-Grundkurs für Erwachsene unterstützt und den Beschwerden über einen Insassen nachgeht, der regelmäßig zu lang die Dusche für sich in Anschlag nimmt.

    Einmal mehr absolut ikonisch: Sidse Babett Knudsen als Eva. Nikolaj Møller
    Einmal mehr absolut ikonisch: Sidse Babett Knudsen als Eva.

    Frei nach Foucault, der in „Überwachen und Strafen“ die Frage stellte, ob unsere Gefängnisse den Bildungsinstitutionen und Krankenhäusern ähneln, oder es nicht viel eher so sei, dass jene Einrichtungen nach Gefängnissen modelliert wurden, erinnern diese Eingangsszenen stark an Momente im Schullandheim oder auf Klassenfahrt. Schon bald aber erfahren wir, dass Evas Gefängnisflügel vor allem Insassen beherbergt, die aufgrund verhältnismäßig leichter Vergehen inhaftiert wurden. Eines Tages, als Eva aus dem Fenster auf den Innenhof starrt, verspannt sich ihre Miene mit Blick auf eine Gruppe Gefangener, die dem anfahrenden Transporter entsteigen. Unter ihnen befindet sich auch der Gefangene Nr. 17, Mikkel (Sebastian Bull). Ohne uns über die Gründe weiter zu behelligen, sehen wir in Eva schnell den Gedanken heranreifen, ihre Versetzung in den Hochsicherheitstrakt zu veranlassen, um Mikkel, der eine 16-jährige Haftstrafe absitzt, dahin zu folgen – und ihm bei jeder sich bietenden Gelegenheit das Leben so schwer wie nur möglich zu machen…

    Nach seinem von der Kritik positiv aufgenommen, quasi nur in einem Raum spielenden Thriller „The Guilty“, der bereits ein US-Remake mit Jake Gyllenhaal bekommen hat, kapriziert sich somit auch Gustav Möllers zweiter Spielfilm auf einen eng begrenzten Raum. Nach der Polizeistelle scheint das Gefängnis nur der konsequente nächste Schritt, und es fehlt Möller eingangs nicht an Ideen, diesen Raum näher zu erforschen. Gänzlich davon absehend, uns die private Eva außerhalb der Gefängnismauern und stählernen Gittertore näherzubringen, verbleiben wir mit ihr vor Ort, quasi-gefangen im 4:3-Format, in dem Möller das Geschehen einfängt. Das verengte Bildformat ist naheliegend, aber nichtsdestotrotz stimmig.

    Immer ganz nah dran

    Ohnehin: Wollte man Gustav Möllers Inszenierung mit einem Wort beschreiben, so fände sie im Wort „kompetent“ wohl die treffendste Entsprechung. Wenn etwa Eva erstmals die lichtdurchfluteten Gewölbe ihres Gefängnistrakts hinter sich lässt und sich auf einem fensterlosen Korridor dem Hochsicherheitsbereich nähert, baut sich unweigerlich Spannung auf. Immer ein bisschen zu nah hält er über den Großteil der Laufzeit auf Eva, was dem Film durch den gewohnt starken Auftritt Babett Knudsens nur zuträglich ist. Durch die Unmittelbarkeit, die sich aus der fehlenden Distanz zu Eva ergibt, bindet uns Möller an ihre Perspektive und erzeugt so eine Kurzsichtigkeit, die sich auch thematisch in den Film einfügt.

    Bei all dieser inszenatorisch gewollten Perspektivlosigkeit deuten sich allerdings auch zunehmend Probleme an. Zum einen gibt es da eine gewisse Vorhersehbarkeit der Geschichte. Nicht nur, dass es eine gewisse Verbindung zwischen Eva und Mikkel geben muss, zeichnet sich schnell ab, sogar die Art der Verbindung lässt sich früh antizipieren. Doch selbst mit Erkenntnissen oder auch nur Irritationen kann die Auflösung, auf die der Film zusteuert, nicht aufwarten. Zwar ist es zunächst durchaus interessant, die sich im Laufe der Handlung ständig verändernde Dynamik zwischen Eva und Mikkel zu verfolgen, verdeutlicht sie doch beispielhaft die Wechselseitigkeit von Macht und Zwang, Autorität und Gehorsam. Thematisch verläuft dies letztlich jedoch ins Leere, nicht zuletzt, weil uns Möller weder moralisch noch narrativ oder gar ästhetisch herausfordert.

    Wer überwacht eigentlich die Bewacher?

    Vermutlich passt es ins Bild, dass ein Gefängnisfilm nicht weiß, wohin er will. Denn wohin lässt sich noch gehen, wenn jeder Ausgang, wie in Gustav Möllers „Sons“, durch eine Gitterstruktur dominiert wird. Wenn der Gedanke an den Ausbruch aus dem Alltag zum unausweichlichen Klischee geworden ist? Gefangen nicht nur in der Zelle, sondern auch in der Zeit und den Gedanken, die diese ohne Ausflucht zutage fördert, ist Möllers Gefangener Nr. 17. Dass in der Vergangenheit etwas vorgefallen sein muss, wofür Eva Mikkel verantwortlich macht, wird nicht zum Geheimnis stilisiert. Die Pfade, die die Gefängniswärterin in ihrer Autoritätsposition betritt, um Mikkel dies spüren zu lassen, werfen die Frage auf, wer eigentlich jene Menschen überwacht, die mit der ausführenden Gewalt verantwortet wurden. Der private Konflikt wird somit zum strukturellen und legt nahe, wie anfällig unsere öffentlichen Institutionen dafür sind, durch individuelle Launen in ihren Rechtsstaatsprinzipien untergraben zu werden.

    Ein solcher Fokus auf die Institution Gefängnis selbst, wie es zunächst die dargestellten Abläufe und in der Folge die auf Kosten der Rechtsstaatlichkeit ausgetragene Privatfehde Evas nahelegen, verliert sich insbesondere im letzten Drittel des Filmes, wenn das Gefängnis vom Setting zur Kulisse degradiert wird. Dies äußert sich vornehmlich in einem der letzten Gedanken des Filmes, den Möller mit einer Vision in Mikkels Innenleben andeutet: Dass nämlich der menschliche Geist — mit seinem Bedauern und seiner Reue — letztlich das ultimative Gefängnis darstellt, dessen Mauern wir nicht entfliehen können.

    Fazit: Ohne große Umwege erzählt Gustav Möller in seinem Zweitwerk „Sons“ auf gut 100 Minuten ein handwerklich solide inszeniertes Gefängnis-(Rache-)Drama, das sich in seinem narrativen Aufbau letztlich zu starr zeigt und die thematisch vielversprechenden Pfade, die es eingangs einschlägt, zunehmend aus den Augen verliert.

    Wir haben „Sons“ im Rahmen der Berlinale 2024 gesehen, wo er als Teil des offiziellen Wettbewerbs gezeigt wurde.

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