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    Tatami
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Tatami

    Ein hochspannender politischer Schaukampf

    Von Janick Nolting

    Die Idee, Sport und Politik trennen zu wollen, hat sich schon oft als Trugschluss erwiesen. Seien es die ausgestellten Menschen- und Subjektbilder, Kleidungsstücke, Symbole, Formen der Professionalisierung und Finanzierung oder die gesamte Einbettung in öffentliche und private Strukturen: Sport hat natürlich immer auch mit Politik zu tun, ob er will oder nicht. Auf wie umfassende Weise der Sport instrumentalisiert werden kann, demonstrieren die Regisseur*innen Zar Amir und Guy Nattiv in „Tatami“ ebenso eindringlich wie mitreißend.

    Ihr gemeinsam inszenierter und damit unter iranisch-israelischer Ko-Regie entstandener Film entwickelt eine enorme Dringlichkeit, sobald der Sport verschiedene Nationen, politische Systeme und Kulturen vor einer Weltöffentlichkeit zusammenführt. Das Drehbuch von Guy Nattiv und Elham Erfani entfaltet dabei einen mitreißenden Thriller vor und hinter den Kulissen einer Judo-Meisterschaft, inspiriert von realen Schicksalen iranischer Sportlerinnen. Der spielerische Kampf wird in „Tatami“ zum verlängerten Arm eines Gewaltregimes und zum Schauplatz einer persönlichen Widerstandsgeschichte.

    Leila (Arienne Mandi) wird von ihrer eigenen Regierung gezwungen, mit Absicht zu verlieren. Wild Bunch Germany
    Leila (Arienne Mandi) wird von ihrer eigenen Regierung gezwungen, mit Absicht zu verlieren.

    Leila Hosseini (Arienne Mandi) steht an der Spitze des iranischen Judo-Teams, das zur Weltmeisterschaft nach Tiflis reist. Auf dem Weg zur Goldmedaille zeichnet sich ab, dass Leila gegen eine Konkurrentin aus Israel antreten könnte, was das iranische Regime in Aufruhr versetzt. Leila soll eine Verletzung vortäuschen und freiwillig aus dem Wettkampf aussteigen, um einer möglichen öffentlichen Niederlage gegen Israel aus dem Weg zu gehen. Als sich die Judoka der Forderung widersetzt, geraten nicht nur sie und ihre daheimgebliebene Familie in Gefahr…

    „Tatami“ heißen die Matten, auf denen Judo-Kämpfe ausgetragen werden. Guy Nattiv („Golda“) und die u. a. aus „Holy Spider“ bekannte Schauspielerin Zar Amir, die hier ihr Regeidebüt gibt und zugleich die Trainerin der Hauptfigur spielt, inszenieren sie als Bühnen der Entblößung. Figuren treten dort wetteifernd ins Rampenlicht und sind den Blicken eines meist unsichtbaren Publikums ausgeliefert. Aus der Dunkelheit blitzen Fotoapparate, das Live-Spektakel wird medial verbreitet. Nur, wer schaut dort zu? Welche Bilder werden von wem aufgenommen und können irgendwann gefährlich werden?

    Ein beklemmendes Schwarz-Weiß-Labyrinth

    Amir und Nattiv beweisen große Stilsicherheit bei der Inszenierung der Räume. Ein Gefühl des Stresses, der Verfolgung und der Paranoia liegt in der Luft. Die kontrastreichen Schwarz-Weiß-Bilder bergen wiederholtes Unbehagen, was dort genau in den Schattierungen und dunklen Bereichen im Hintergrund vor sich geht. Die ganze Welt erscheint als einziges, unübersichtliches Bedrohungsszenario. Diese Qualität im Spiel mit den Räumen ist auch der abwechslungsreichen Kameraarbeit von Todd Martin zu verdanken.

    Zwischendurch wechselt die Kamera in die Höhe, blickt von oben unter dem Hallendach hinab auf Figuren, als würden sie wie kleine Schachfiguren über ein Spielfeld bewegt werden. Dazwischen schiebt sie sich immer wieder hinter Menschen durch verzweigte, düstere und wiederum videoüberwachte Gänge. Die Bereiche zwischen Trainingsräumen, Umkleiden, Badezimmern und großer Bühne formen in „Tatami“ ein Leinwand-Labyrinth, dessen Korridore in dem verengten Bildformat, das der Film nutzt, noch beklemmender erscheinen.

    Chef-Kameramann Todd Martin findet immer wieder faszinierende, unverbrauchte Bilder, um die Judokämpfe in Szene zu setzen. Wild Bunch Germany
    Chef-Kameramann Todd Martin findet immer wieder faszinierende, unverbrauchte Bilder, um die Judokämpfe in Szene zu setzen.

    Es ist eine festgefahrene Situation, die „Tatami“ schließlich vorführt. Jedes Aufbegehren scheint nur wieder in die nächste Sackgasse zu führen. Kurze Hoffnungsmomente werden mit dem nächsten Anruf aus der Ferne, der nächsten drohenden Enthüllung und Einschüchterung wieder eingerissen. Zu groß scheint die Macht des verbrecherischen Systems zu sein, das nach allen Beteiligten seine Klauen ausstreckt und Schritt für Schritt die Abgründe seiner Einflussnahme offenbart. Sie zeigen sich in den Gesprächen, Telefonaten und Übergriffen, die abseits der Öffentlichkeit in Hinterzimmern und Privatwohnungen vollzogen, aber von diesem Film schonungslos ins Rampenlicht gerückt werden.

    Obwohl sich auch die gesamte Dramaturgie fortwährend in den Schleifen, Rückschlägen und Erstarrungen des Szenarios verliert, stellt sich selten der Eindruck eines erzählerischen Leerlaufs ein. Stattdessen ergibt sich daraus eine gewisse Konsequenz, mit der „Tatami“ einen Weg findet, sein brisantes politisches Thema auf eine Parabel auf engstem Raum zu verdichten. Davon ausgehende Schwächen könnte man ihm eher im Schlussakt ankreiden, der sich einiger recht schlicht aufbereiteter und plakativ vorgetragener Auflösungen bedient. Deren Sprengkraft tut das jedoch kaum einen Abbruch! „Tatami“ zeigt letztlich Politik, die erbarmungslos am und mit dem eigenen Körper ausgetragen wird. Und der Film findet dafür höchst intensive, schmerzhafte Szenen.

    Körper im Kampf gegen ein diktatorisches Regime

    Körper marschieren zunächst in militärisch anmutender Form zum Wettkampf auf. Dann werden sie in Maße gepresst, um eine Vergleichbarkeit zu schaffen. Zeigt die Waage ein paar Kilos zu viel, gilt es, sie noch fix mit verbissenem Ehrgeiz abzustrampeln und auszuschwitzen. Ein paar Minuten sind noch Zeit! Später dann bleibt das öffentliche Inszenieren und Zurschaustellen des Körpers, seiner Kleidung und Gewalt als letztes Mittel, um das Ringen zwischen Einflussnahme und Eigensinn, zwischen der Repräsentation eines Unrechtsstaates und einem eigenen Ideal auszutragen.

    Todd Martins Kameraführung fängt die Kämpfe mit packender, schweißtreibender Dynamik und Präzision ein. Sie tänzelt um die konkurrierenden Sportlerinnen, fokussiert blitzschnell die Griffe und Würfe, sucht ihre unmittelbare Nähe. Sie drängt sich irgendwann an ein Gesicht im Schwitzkasten, fängt Eindrücke, Zustände und Verletzungen ein, die sich an den Rand des Zusammenbruchs und der Selbstzerstörung begeben, etwa wenn ein Arm dem Hals die Luft abschnürt, bis die Bilder selbst in symbolträchtige Schwärze und Ohnmacht gleiten.

    Fazit: Zar Amir und Guy Nattiv haben einen packenden und schmerzhaft körperlichen Sport-Thriller inszeniert, der einen originellen erzählerischen Zugriff auf die politischen Konflikte im Iran und darüber hinaus findet.

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