Mein Konto
    Niki de Saint Phalle
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Niki de Saint Phalle

    Ein Künstlerinnenfilm ohne ihre Kunst

    Von Michael Meyns

    Selbst völlige Kunstbanausen werden sicherlich schon einmal eines der Werke von Niki de Saint Phalle gesehen haben. Ihre sogenannten Nanas – voluminöse, ausladende, sehr bunte Figuren – zieren viele öffentliche Plätze, bergen mit ihren überdimensionierten weiblichen Geschlechtsorganen aber auch eine dunkle Seite, denn die Künstlerin wurde im Kindesalter von ihrem Vater missbraucht. Um die psychischen Folgen dieser Taten und noch mehr um die Rolle der Kunst bei ihrer Verarbeitung geht es nun im Biopic „Niki“. Dabei trifft Céline Sallette in ihrem Regiedebüt die etwas seltsam anmutende Entscheidung, zwar einen Film über eine Künstlerin zu drehen, aber ihre Kunst trotzdem niemals zu zeigen (wenn überhaupt, sieht man nur die Gesichter der Menschen, die sie eines ihrer Werke ansehen). Stattdessen steht ganz die Psyche der Hauptfigur im Mittelpunkt – samt einer zwar zeitgemäßen, aber auch etwas platt ausgeführten Anklage des Patriarchats.

    Paris, 1952. Niki de Saint Phalle (Charlotte Le Bon) verdient als Model den Lebensunterhalt für sich und ihre kleine Familie, die seit kurzem in Europa lebt. Ihr Mann Harry Matthews (John Robinson) studiert Musik, träumt aber von einer Karriere als Schriftsteller. Das Duo verkehrt in schicken Pariser Kreisen, die zwei Kinder werden eher vernachlässigt. Die eigenen Probleme und vor allem die Kunst erscheinen wichtiger. Zu diesem Zeitpunkt versucht sich Niki noch an klassischer Malerei, ganz hat sie sich der Kunst noch nicht hingegeben. Vor allem der Schweizer Künstler Jean Tinguely (Damien Bonnard), der später einmal ihr zweiter Ehemann werden wird, unterstützt Niki in ihrer künstlerischen Entwicklung, die nicht zuletzt ein Mittel ist, ihre schweren Traumata zu überwinden...

    Niki de Saint Phalle (Charlotte Le Bon) startet mit klassischer Malerei, bis sie sich später immer mehr der Aktionskunst und Skulpturen zuwendet. Wild Bunch
    Niki de Saint Phalle (Charlotte Le Bon) startet mit klassischer Malerei, bis sie sich später immer mehr der Aktionskunst und Skulpturen zuwendet.

    Dass sich die bislang vor allem als Schauspielerin bekannte Céline Sallette für ihr Debüt als Regisseurin einen biografischen Film über Niki de Saint Phalle ausgesucht hat, ist weit weniger überraschend als ihr dafür gewählter Ansatz. Als eine der bekanntesten Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts, die sich dennoch lange Jahre gegen die Missachtung der männlich geprägten Kunstwelt wehren musste, wirkt ihr Leben wie gemacht für eine Zeit, in der ein immer größerer Fokus auf weibliche Lebens- und Leidensgeschichten gelegt wird. Umso erstaunlicher mutet Sallettes Entscheidung an, die Kunst selbst vollständig im Off zu belassen. Die künstlerische Entwicklung von de Saint Phalle lässt sich so ohne externes Wissen über ihre Werke nur schwer nachvollziehen.

    Ihr Weg führt sie von zunächst noch klassischen, figurativen Gemälden weg von der zweidimensionalen Staffelei hin zu der künstlerischen Form, für die sie schließlich berühmt wurde. Der Verzicht auf das Zeigen ihrer Werke macht es umso schwerer zu verstehen, welchen Effekt die Kunst, die für sie immer auch Therapie war, auf die Psyche von de Saint Phalle hatte. In etwas disparat wirkenden Rückblenden deutet Salette den Missbrauch an, den de Saint Phalle in ihrer Kindheit erlebte, den ihr jedoch lange niemand glauben wollte. Selbst als der Leiter einer Psychiatrie ein geschriebenes Geständnis ihres Vaters in den Händen hält, verbrennt er es lieber, als ihr zu glauben. Erst die Bekanntschaft mit der Künstlergruppe um Tinguely ermöglichte es de Saint Phalle, sich selbst als Künstlerin wirklich ernst zu nehmen und nicht mehr als „Hausfrau, die als Hobby malt“, wie sie einmal von einer Rivalin bezeichnet wird.

    Aktionskunst: Bei den sogenannten „Schießbildern“ sollen sich die Betrachtenden an der Leinwand abreagieren – und so das fertige Werk überhaupt erst selbst erschaffen. Wild Bunch
    Aktionskunst: Bei den sogenannten „Schießbildern“ sollen sich die Betrachtenden an der Leinwand abreagieren – und so das fertige Werk überhaupt erst selbst erschaffen.

    Dass es am Ende dann doch Männer sind, die der Titelheldin den zu ihrer ganz eigenen Kunst ebnen, während ansonsten die Männerwelt als großes Hindernis gezeichnet wird, ist eine Ironie, die Sallette entweder entgangen ist oder die sie geflissentlich ignoriert. Stattdessen konzentriert sie sich ganz darauf, de Saint Phalle als Opfer des Patriarchats zu zeigen: Ihre gefühlsbetonte Seite wird von den Ärzten als hysterisch eingestuft, die Kuratoren speisen sie mit schlechten Ratschlägen ab, und ihr Mann macht ihr wegen Affären Vorwürfe, auch wenn er selbst nicht treu ist. Welchen Effekt ihre Kunst auf Betrachter*innen haben konnte, wird hingegen nur in wenigen Szene angedeutet: Bei einer Vernissage stellt Niki eines ihrer sogenannten „Schießbilder“ aus, abstrakte Gemälde, auf die die Betrachtenden mit Dartpfeilen werden oder mit bereitgestellten Pistolen schießen sollen. Während ein älteres Ehepaar das Angebot dankend und etwas irritiert ablehnt, tritt ein jüngerer Mann mit zunehmender Wut zur Tat.

    Wen er sich denn da wohl auf der Leinwand vorstellen würde, will Niki vom Bruder des Mannes wissen, und der antwortet: „Vermutlich auf unseren Vater.“ Ein starker filmischer Moment, selbst wenn er in seiner Deutlichkeit fast schon wieder zu plakativ wirkt. Am Ende gelingt es Céline Salette nur bedingt, ihrem Subjekt nahezukommen. Allzu unterentwickelt wirken viele Figuren, allzu schematisch wird Niki de Saint Phalle als Opfer des Patriarchats geschildert. Und dass durch den vollständigen Verzicht auf die Darstellung ihrer Kunst kaum deutlich werden kann, worin deren besondere Qualität liegt, wirkt wie eine verschenkte Chance.

    Fazit: Céline Salette nähert sich Leben und Werk der Künstlerin Niki de Saint Phalle auf ungewöhnliche Weise: Nicht das Werk steht im Mittelpunkt, sondern die Psyche der Hauptfigur, für die Kunst vor allem als Verarbeitung von Missbrauchserfahrungen dient.

    Wir haben „Niki“ im Rahmen des Cannes Filmfestivals 2024 gesehen.

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top