Die dunkle Seite des Mondes und andere Geschichten
Von Oliver KubeHeutzutage werden Albencover von den meisten Musikfans nur noch als briefmarkengroße Bildchen auf ihrem Smartphone-Display wahrgenommen. Speziell in den 1960ern und 1970ern waren Cover aber eine kulturell enorm einflussreiche Kunstform. Kein anderes Design-Studio erschuf in dieser Zeit mehr bis heute ikonische Artworks als die von den einstigen Film-Studenten Storm Thorgerson und Aubrey Powell gegründete Grafik-Agentur Hipgnosis. Wer sich auch nur am Rande mit der Rockmusik dieser Ära beschäftigt, wird viele ihrer avantgardistisch und surrealistisch angehauchten Arbeiten kennen. Immerhin zieren diese doch unter anderem so gut wie alle Pink-Floyd-Werke, die frühen Soloscheiben von Peter Gabriel, die späteren von Led Zeppelin sowie einige von Paul McCartney mit seiner Post-Beatles-Band Wings.
Mit seiner Dokumentation „Squaring The Circle: The Story Of Hipgnosis“ beleuchtet Regisseur Anton Corbijn („Control“) die einmalige Geschichte von Hipgnosis. Der Niederländer ist insofern prädestiniert für den Job, da er selbst den Löwenanteil seiner Karriere als Fotograf, Art-Director und Videofilmer für große Musik-Acts wie Depeche Mode oder Nick Cave verbracht hat. Im Laufe seines Films kommen viele der oben genannten Stars ausführlich zu Wort, allerdings auch einige Leute, die man gut und gern hätte weglassen können. Leider gibt es gerade von den unkonventionellen, weil größtenteils autodidaktischen Anfängen der Agentur in der Psychedelic-Underground-Szene von London nur wenig Archivmaterial. Deshalb wird der Film zwangsläufig überwiegend von Interviewten aller Art, also sogenannten Talking Heads bestritten.
Hardcore-Fans der hier in beachtlicher Anzahl aufgefahrenen Classic-Rocker werden die Storys um die Entstehung der legendären Cover sicher schon kennen. Trotzdem macht es Spaß, Legenden wie Paul McCartney, Roger Waters, David Gilmour, Jimmy Page, Robert Plant oder Peter Gabriel noch einmal dabei zuzuhören, wie sie sich Dekaden später an die selbst für Rock’n‘Roll-Verhältnisse unkonventionelle, oft chaotisch anmutende Zusammenarbeit mit den Hipgnosis-Kreativen erinnern. Was es kostete, ihre künstlerischen Visionen umzusetzen, war vor allem Thorgerson offenbar völlig egal. Das Ergebnis war das Einzige, was zählte – eine Einstellung, die irgendwann (genauer gesagt 1983) logischerweise zum Untergang und Ende der Agentur führen musste.
Bei einigen der Befragten wird allerdings bis zum Abspann nicht so recht klar, inwiefern sie mit der Geschichte von Hipgnosis zu tun haben. Wirklich involviert in die Design-Agentur war der immer wieder sehr prominent zu Wort kommende Geschäftsmann Merck Mercuriadis jedenfalls nie. Der Ex-(Co-)Manager von Mega-Acts wie Guns N' Roses oder Elton John scheint aber eine Art Superfan zu sein, der nicht nur leidenschaftlich Hipgnosis-Memorabilia sammelt, sondern auch sein eigenes Unternehmen – eine Urheberrechts-Verwertungsfirma für abertausende von Musikstücken – Hipgnosis Songs Fund getauft hat. Entsprechend wurden nahezu alle der durchaus interessanten Dinge und Geschehnisse, über die Mercuriadis berichtet, nicht von ihm selbst erlebt. Offensichtlich hat er lediglich über sie gelesen, von ihnen gehört oder sie sind ihm auf anderen Wegen aus zweiter und dritter Hand zugetragen worden.
Eine andere Person, die viel und ausführlich in die Kamera sprechen darf, ist Noel Gallagher – Gitarrist und Mastermind der Britrock-Giganten Oasis. Der verrät in seinen Segmenten einige unterhaltsame Details über die Entstehung der Artworks seiner eigenen Platten. Allerdings stammt keines davon von Hipgnosis. Hatte die Agentur doch bereits über eine Dekade, bevor Oasis 1994 mit ihrem Debüt um die Ecke kamen, die Segel gestrichen. Auch jemand wie Ex-Model und -Groupie Carinthia West (offiziell sieht sie sich als Rockstar-Muse), die wohl zum erweiterten Freundeskreis der Künstler gehörte, hat nicht wirklich viel Erhellendes beizutragen. Ihre Äußerungen beschränken sich zum größten Teil auf vage Erinnerungen und die Versicherung, dass Thorgerson wohl ein Genie, aber auch ein ziemlicher Arsch gewesen sei. Da wäre es nicht allein aus deutscher Sicht sicher interessanter gewesen, lieber mal die Scorpions zu Wort kommen zu lassen. Denen illustrierten Hipgnosis nämlich als einem der ganz wenigen nicht-britischen Acts gleich zwei ihrer besten Platten („Lovedrive“ und „Animal Magnetism“) mit ebenso exzentrischen wie kontroversen Motiven.
Da Thorgerson und der später dazugekommene dritte Teilhaber, der im Film nur peripher erwähnte Fotograf und Throbbing-Gristle-Musiker Peter Christopherson, bereits 2013 beziehungsweise 2010 verstorben sind, ist das letzte noch lebende Mitglied von Hipgnosis Aubrey Powell. Der Co-Gründer ist dann auch der zuverlässigste und mit Abstand relevanteste Gesprächspartner. Und er liefert voll ab: Nicht nur hat er eine riesige Mappe mit Originalen und Entwürfen zum Interview mitgebracht, die er uns bereitwillig zeigt und erklärt. Er berichtet zudem erfreulich detailliert und offen über sein extrem kreatives, zwischenmenschlich indes alles andere als einfache Verhältnis zu seinem Partner Thorgerson – sowie dem einen oder anderen Clash mit Mächtigen aus der Musikindustrie.
Powell ist es dann auch, der mit dem finalen Statement in der Doku selbst bei Kennern der Materie für ein emotional mitnehmendes Ende sorgt. Dieses ist von Corbijn, seinen Kameramännern Stuart Luck und Martijn van Broekhuizen sowie Cutter Andrew Hulme sehr geschickt ins Bild gesetzt. Die letzten Worte und die sie begleitenden, intimen Aufnahmen des fast 80-jährigen Powell wirken wie ein Schlag in die Magengrube. So erhält der bis dahin oft turbulente, meist eher lässig bis oberflächlich wirkende Film auf den letzten Drücker noch eine ungeahnte Tiefe. Trotzdem kommt aufgrund des erheblichen Anteils an Füllmaterial der Gedanke auf, dass ein einstündiges TV-Special für das Thema ausgereicht hätte.
Fazit: Anton Corbijns Doku über die wichtigsten Albumcover-Designer der Rockgeschichte hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck. Einerseits bekommen Fans wertvolle Informationen aus erster Hand, andererseits wird die Laufzeit immer wieder mit irrelevantem Geplapper von nur am Rande oder überhaupt nicht Beteiligten aufgefüllt.