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    Der Lehrer, der uns das Meer versprach
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Der Lehrer, der uns das Meer versprach

    Ein Film, der aufrüttelt und sich ins Gedächtnis gräbt

    Von Gaby Sikorski

    Kurz bevor im Jahr 1936 der Spanische Bürgerkrieg mit seinen vermutlich mehr als 500.000 Toten ausbricht, ist in dem verschlafenen Provinznest, wo Antoni Benaiges (Enric Auquer) als neuer Lehrer eintrifft und erst mal persönlich die alte Dorfschule putzt, von den Unruhen noch wenig zu spüren. Doch Antoni ist ein „Linker“, vermutlich sogar ein Kommunist, und außerdem ein Atheist – das macht ihn in den Augen einiger Bewohner*innen verdächtig.

    Seine modernen Erziehungsmethoden werden in „Der Lehrer, der uns das Meer versprach“ von den Konservativen im Dorf skeptisch beäugt. Aber dank Antoni blühen die Kinder auf, und aus dem zusammengewürfelten Haufen von Jungen und Mädchen, die hier gemeinsam im einzigen Klassenraum sitzen dürfen, formt sich bald eine Gemeinschaft; ganz anders als früher beim Pastor, der sich als Lehrer mit eiserner Disziplin und Prügelstrafen Autorität verschaffen wollte.

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    Mit seinen vermeintlich eigenwilligen Methoden kann Antoni Benaiges (Enric Auquer) die Kinder tatsächlich begeistern.

    Antoni gibt den Kindern Selbstvertrauen und lässt sie spielerisch die Welt des Wissens entdecken. Zu seiner Ausstattung als Lehrer gehört eine kleine Druckerpresse, auf der die Kinder ihre eigene Zeitschrift herausbringen. Als der Lehrer mit der ganzen Klasse einen Ausflug ans ferne Meer plant, das die Kinder noch nie gesehen haben, sind alle mit Feuereifer dabei. Doch bevor es so weit ist, kommt der Krieg ins Dorf.

    Antonis Geschichte ist verflochten mit der Suche einer jungen Frau nach ihrem Urgroßvater, die im Jahr 2010 beginnt: Ariadna (Laia Costa) will den Wunsch ihres Großvaters erfüllen und herausfinden, was aus seinem Vater geworden ist, der seit 1936 vermisst wird. Die Zeit ist knapp, denn Ariadnas Opa geht es immer schlechter. Bei ihren Recherchen stößt sie auf Antonis Geschichte, die sie in Gesprächen mit seinen ehemaligen Schüler*innen nach und nach rekonstruiert…

    Ein geschicktes Zusammenspiel von damals und heute

    Es ist eine fröhliche und gleichzeitig zu Herzen gehend traurige Geschichte, die hier mit viel Zärtlichkeit in unvergesslichen Bildern erzählt wird. Sie beginnt mit Ausgrabungen, in Zeitlupe werden Fundstücke freigepinselt: ein Kamm und immer mehr Knochen, die nummeriert werden. Offenbar wird hier unter der Leitung der Archäologin Laura (Alba Guilera) ein Massengrab geöffnet und untersucht. Später erfährt man, dass ganz Spanien von Massengräbern aus der Zeit des Bürgerkriegs übersät ist, die noch längst nicht alle freigelegt sind. Diese Geschichte erzählt nicht nur von einem Lehrer und den Kindern, die mit ihm gemeinsam die Hoffnung auf eine bessere Welt entdecken, sondern auch von einem Land, in dem sich zwei verfeindete Lager gegenüberstehen, die sich immer stärker radikalisieren. Der Debütfilm von Patricia Font ist aber kein Lehrstück, obwohl ein mahnender Charakter durchaus hier und da erkennbar ist, sondern ein klassisches Drama, das eine enge Verbindung zwischen damals und heute schafft.

    Das geschickt komponierte Drehbuch von Albert Val basiert auf der wahren Geschichte von Antoni Benaiges, die Francesc Escribano in seinem bisher nicht in deutscher Sprache erschienenen Roman „El Maestro Que Prometió El Mar“ verarbeitete. Auf zwei verschiedenen Zeitebenen werden parallel die Geschichten von Antoni Benaiges und von Ariadna erzählt, die als Enkelin eines seiner Schüler die Spur ihres Urgroßvaters finden möchte. Doch diese Zusammenhänge enthüllen sich erst nach und nach. Dabei stellt die Recherche von Ariadna, deren Name nicht zufällig gewählt wurde, deutlich mehr dar als einen klassischen roten Faden, der die Handlung strukturiert. Ariadna erfüllt vielmehr die Aufgabe einer Detektivin, die Schritt für Schritt immer mehr Details einer spannenden und tatsächlich herzzerreißenden Geschichte entdeckt und sich dadurch selbst verändert.

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    Man ahnt es früh: Das Schuljahr wird im Angesicht des Krieges noch eine dramatische Wendung nehmen.

    Während die Vergangenheit in weiche, warme Farben gehüllt ist, gewinnt in der immer leicht unterkühlten Atmosphäre der Jetztzeit Ariadnas Suche eine eigene Dynamik, die sich in ihrer melancholischen Dramatik beinahe ins Unerträgliche steigert. Auf beiden Zeitebenen werden die Einzelheiten der Geschichte wie in einem Puzzle enthüllt. So bleibt es lange unklar, welche Rolle eigentlich Ariadnas Großvater im Leben des Lehrers spielt. In den Gesprächen mit den alten Leuten geht es zunehmend weniger um Nostalgie, sondern nun kommt die Angst zum Vorschein, die seit damals in den Kindern gefangen war und sich jetzt endlich ein wenig entladen darf. Und mit der Angst kommt die Scham.

    Patricia Font zeigt diese Entwicklung mit viel Sensibilität. Ohne dass auf die Tränendrüsen gedrückt wird, wächst damit die Sympathie für die damaligen Schulkinder – für den wissbegierigen Emilio (Nicolás Calvo) und den zunächst verstörten Carlos (Gael Aparicio) ebenso wie für die kluge Josefina (Alba HermosoI). Und natürlich vor allem auch für Antoni, den leidenschaftlichen Lehrer, der seine Energie in den Unterricht steckt und bei seinen Kindern den Glauben an die Zukunft weckt.

    Fazit: Diese Schule macht nicht nur die Kinder glücklich, und der zunächst so düstere kleine Klassenraum scheint immer heller zu werden angesichts der Freude aller Beteiligten. Und dieser Film ist – ganz anders als andere Schulfilme, die in der Vergangenheit spielen – ergreifend schön in seiner starken Verbindung zwischen gestern und heute. Die schmerzlich traurige Dynamik steigert sich immer mehr, bis zu der Erkenntnis, dass es letztlich die Erinnerungen von Menschen sind, aus denen wir alle lernen können.

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