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    Dream Scenario
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Dream Scenario

    Nicolas Cage ist dein Albtraum – und das ist gut so!

    Von Björn Becher

    2006 übergab eine New Yorkerin ihrem Psychiater die grobe Zeichnung eines Mannes, der sie angeblich in ihren Träumen heimsuche. Kurze Zeit später entdeckt ein weiterer Patient die Zeichnung und behauptet, dass ihm der unbekannte Mann ebenfalls in seinen Träumen begegnet sei. Der Psychiater gibt das Bild an Kolleg*innen weiter, die sie Patient*innen zeigen sollen, die unter sich wiederholenden Träumen leiden … und bald behaupten noch mehr, jenen Mann ebenfalls in ihren Träumen zu sehen. Im Internet haben sich mittlerweile bereits Tausende gefunden, die glauben, diesen einen Typen mit Halbglatze regelmäßig nach dem Einschlafen zu sehen.

    Ob da tatsächlich etwas dran ist oder viele nur etwas in die sehr grobe Zeichnung hineininterpretieren, wird weiter heiß diskutiert. Der norwegische Regisseur Kristoffer Borgli („Sick Of Myself“) ist in seinem Hollywood-Debüt „Dream Scenario“ aber auch gar nicht daran interessiert, dem realen Phänomen auf den Grund zu gehen. Er nimmt es stattdessen als Ausgangspunkt für eine Satire über Ruhm, die besonders begeistert, wenn sie ganz nah an die von Nicolas Cage großartig verkörperten Hauptfigur heranrückt. „Dream Scenario“ entwickelt sich dabei eher zu einem intensiven Trip als zu einem hübschen Traum – und dazu passt dann auch die wohl groteskeste Sexszene des Kinojahres, die bei einem Teil des Publikums sicherlich für Albträume sorgen wird...

    DCM Filmdistriubtion

    Zerstört der Traum-Ruhm sogar Pauls Ehe?

    Paul Matthews (Nicolas Cage) lehrt zwar regelmäßig vor gelangweilten Student*innen, träumt aber eigentlich vom großen Durchbruch als Forscher – nur dass er für sein geplantes Ameisenbuch seit zwei Jahrzehnten noch keine Seite aufs Papier gebracht hat. Als seine jüngere Tochter Sophie (Lily Bird) ihm offenbart, dass sie zuletzt mehrfach Träume mit ihm hatte, misst er dem nicht viel bei. Doch dann begegnen er und seine Frau Janet (Julianne Nicholson) im Theater seiner lange vergessenen Ex-Freundin (Marnie McPhail). Die hat ebenfalls wiederholt von ihm geträumt und will nun darüber in ihrem Psychologie-Blog schreiben.

    Während sich Paul noch über die in seiner Gegenwart zu tuscheln beginnenden Student*innen wundert, wird er bald mit Nachrichten bombardiert. Zahlreiche Menschen sehen ihn, wenn sie einschlafen. Zuerst wurmt ihn gewaltig, dass er in allen Träumen wohl nur zuschaut, wenn Menschen in Not sind. Doch bald sieht er eine Chance: Er genießt den Ruhm und den plötzlich vollen Hörsaal mit ihn feiernden Student*innen. Er will die neue Popularität nutzen, um endlich als Forscher Anerkennung zu finden. Doch das ist gar nicht so einfach. Und dann eröffnet ihm die bei einer Influencer-Agentur arbeitende Molly (Dylan Gelula) auch noch, dass er in ihrem Traum alles andere als teilnahmslos ist – und bald beginnt auch der Rest der Welt, ihn mit anderen Augen zu sehen...

    Ein fast schon dokumentarischer Look

    Regisseur Borgli und sein Kameramann Benjamin Loeb haben „Dream Scenario“ mit einer Arriflex-Handkamera auf 16mm-Film gedreht – die Kombination kam schon in so unterschiedlichen Filmen wie „The Hurt Locker“ oder „Niemals Selten Manchmal Immer“ zum Einsatz. Diese haben alle eins gemeinsam: Ihre grobkörnigen Bilder wirken fast dokumentarisch und erwecken den Eindruck, als wären wir mittendrin statt nur dabei. Und so ist es auch in „Dream Scenario“. Es wirkt nicht wie ein fiktiver Spielfilm, sondern als würden wir dieses absurde Geschehen wirklich miterleben – auch weil die Kamera den Figuren immer ganz nahekommt, uns teilweise direkt über ihre Schultern blicken lässt.

    Gleichzeitig bebildert Brogli aber auch die absurdesten Träume im selben Stil – obwohl es da fantastische Szenarien um Weltuntergang, Wunderpilze oder Alligatoren im Klassenzimmer gibt. Die bewusste fehlende Abgrenzung in der Bildsprache nutzt der Regisseur, um uns in einer späteren Sequenz rund um einen brutal mit einer Armbrust agierenden Jäger rätseln zu lassen, ob wir nun gerade in der Realität oder in einem Traum unterwegs sind. Die ihren ganz eigenen Sog entfaltende Optik macht einen großen Teil der Faszination von „Dream Scenario“ aus – einen noch größeren Anteil steuert aber (natürlich) Nicolas Cage bei.

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    Molly ist ganz aufgeregt, endlich den Mann ihrer Träume zu sehen.

    Der „King Of Overacting“ beweist hier nach Perlen wie „Pig“ oder „Adaptation.“ mal wieder, wie großartig zurückgenommen er auch agieren kann. Sein unsicher durchs Leben wandelnder Professor, der unter Druck auch mal ins Stottern kommt, ist nur der Auftakt zu einer sehr facettenreichen Performance. Wie Cage die Figur spielt, wenn sie durch den Ruhm für kurze Zeit aufblüht, um dann nur noch härter auf den Boden zu schlagen, ist das Herz des Films – mit einer wirklich grotesken Sexszene als Wendepunkt. Danach folgen dann übrigens auch noch einige Szenen, in denen Cage – sicher zur Freude vieler Fans - dem Affen dann doch noch mal so richtig Zucker gibt.

    Wenn die Träume in der zweiten Hälfte eine andere Richtung einschlagen, bedient sich Regisseur Borgli auch genüsslich beim Horrorkino. Da wird es dann auch mal blutig. Wie der Regisseur in seinem von Elevated-Horror-Experte Ari Aster („Hereditary“) produzierten Drama mit den Genres spielt, ist über weite Strecken große Klasse. Erst im letzten Viertel entgleitet ihm das ein wenig, weil es Borgli nicht ganz dabei belassen kann, uns einfach nur auf seine faszinierende Reise mitzunehmen, sondern dann doch noch ein paar Messages heimhämmern will.

    Das Ende mit Botschaft schwächelt

    Die kurze Abrechnung mit Cancel-Culture-Schreiern wie Tucker Carlson ist zwar reichlich platt, nimmt aber auch nur wenige Minuten ein. Einer ebenfalls sehr oberflächlichen Influencer-Verballhornung wird hingegen am Ende zu viel Raum eingeräumt. Mit einem von Michael Cera gespielten Boss einer in Paul das neue Sprite-Werbegesicht sehenden Agentur hat Borgli eigentlich schon zur Hälfte des Films alles zum Thema gesagt. Dass er am Ende in Kurzauftritten unter anderem noch mal Netflix-Star Noah CentineoAmber Midthunder („Prey“) und Nicholas Braun („Succession“) als Traum-Testimonials ins Rennen schickt, ist da überflüssig. Dem starken „Dream Scenario“ schaden diese Schwächen gen Ende aber nur geringfügig – zumal der tolle Abschluss zu den Klängen der Talking Heads dafür entschädigt.

    Fazit: Nicolas Cage ist grandios als Professor, der sich erst darüber freut, in Träumen fremder Menschen aufzutauchen, um am Ende schicksalsergeben festzustellen: „Ich bin dein Albtraum!“

     

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