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    Cobra Verde
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Cobra Verde
    Von Carsten Baumgardt

    In den ersten Januartagen des Jahres 1971 begann ihre Zusammenarbeit bei den Dreharbeiten zu „Aguirre, der Zorn Gottes“ in den peruanischen Anden. 16 Jahre später bildete das Sklaven-Drama „Cobra Verde“ den Endpunkt der Kooperation zwischen dem visionären Münchner Regisseur Werner Herzog und seinem Leibschauspieler Klaus Kinski. Das insgesamt fünf Werke umfassende Oeuvre der beiden hatte mit „Aguirre“, „Nosferatu - Das Phantom der Nacht“, „Woyzeck“ und „Fitzcarraldo“ bereits vier Meisterwerke zu Tage gefördert. Mit „Cobra Verde“ konnte das Duo Infernale erstmals nicht in letzter Konsequenz überzeugen. Das hat mehrere Gründe, lag aber vor allem daran, dass die künstlerische Zweckehe der Exzentriker Herzog und Kinski in Trümmern lag. Ein Mythos ging zuende.

    Brasilien, Beginn des frühen 19. Jahrhunderts: Der Bandit Francisco Manoel da Silva (Klaus Kinski), genannt Cobra Verde, steigt zum Verwalter einer großen Zuckerrohrplantage auf und wird zum Aufseher über 600 Sklaven. Das unbändige Temperament des Despoten bringt ihn schnell in Schwierigkeiten als er gleich alle drei minderjährigen Töchter seines Chefs Don Octavio Coutinho (Jose Lewgoy) schwängert. Dazu ängstigt sich die feine Gesellschaft um den Zuckerrohrbaron vor dem kompromisslosen Emporkömmling. Um ihn loszuwerden, schickt sein Boss Cobra Verde nach Westafrika, um von dort neue Sklaven nach Brasilien zu holen. Wohl in dem Wissen, dass der Sklavenhandel dort seit kurzer Zeit verboten wurde und die Einheimischen weißen Eindringlingen wenig freundlich gegenüber stehen. Vielmehr geht Don Octavio Coutinho davon aus, dass sein Verwalter dort getötet wird. Cobra Verde beweist sich jedoch als Überlebenskünstler und schafft es, sich mit seiner Brutalität durchzusetzen. Er steigt sogar zum Vizekönig von Quidah auf. Für den Herrscher soll er ein Heer von Amazonen aufstellen, um einen benachbarten König zu beseitigen...

    Im Nachhinein betrachtet erweist sich „Cobra Verde“ als der mit Abstand schwächste Film des Duos Herzog/Kinski. Es ist nicht so, dass sich der Regisseur, Autor und Produzent mit der aufwendigen Produktion, die mit Tausenden von Statisten bestritten wurde, übernommen hat. Allerdings fehlt diesmal der kreative Funke, der die vier vorhergehenden Werke so auszeichnete. Herzog war von Bruce Chatwins Roman-Vorlage „Der Vizekönig von Quidah“ so begeistert, dass er den Film unbedingt realisieren wollte. Und dass Kinski die Hauptrolle des Despoten Cobra Verde übernimmt, stand außer Frage. Er sah seine filmische Pflicht darin, Kinski - den er zu den drei begnadetsten Schauspielern des Jahrhunderts zählt - in bedeutenden Werken vor die Kamera zu bringen. „Es macht ja sonst keiner“, so Herzog. Wegen Kinskis offen auftretendem Wahnsinn, der sich zumeist in mehreren Tobsuchtsanfällen pro Tag manifestierte, trauten sich kaum noch Regisseure, überhaupt ernsthaft mit Kinski zu drehen. Herzog und Kinski pflegten eine ausgeprägte Hassliebe und der Münchner war der einzige, der seinen Star einigermaßen im Zaum halten konnte.

    Doch bereits während der Dreharbeiten, die sich wieder einmal als äußerst schwierig erwiesen, merkte Herzog, dass dies wahrscheinlich der letzte Film des Duos ist. Er wusste, dass er an Kinski keine neuen Facetten mehr entdecken konnte. Die kreative Kraft, diese kritische Masse, die die beiden bildeten, war versiegt. Das ist „Cobra Verde“ bereits anzumerken. Nach Meinung Herzogs steckte Kinski, der erst einen halben Tag vor Drehbeginn in Ghana anreiste, bereits gedanklich an der Umsetzung seines Wunschprojektes „Paganini“, das Herzog ablehnte, weil er die 600-seitige Drehbuchbasis von Kinski für unverfilmbar hielt. Diese geistige Abwesenheit ist der Leistung Kinskis auch anzumerken. Einen Großteil der Zeit lässt er den hemmungslosen Berserker heraus, der mit wüsten, langen blonden Haaren und tiefen Falten auf der Stirn auf seine Gegner einrennt. Das hat nichts mehr von dem nuancierten, herausragenden Spiel der ersten vier gemeinsamen Filme. In den Phasen der Ruhe wirkt Kinski abwesend und weniger ausdrucksstark als sonst. Zudem verhielt er sich am Set noch wüster als bisher, was Herzog erstmals zur Resignation brachte. Diese schlechte Setstimmung zeigt auch Steff Grubers für das deutsche Fernsehen produzierte Dokumentation „Herzog in Afrika“, die der Schweizer über die Dreharbeiten filmte. Herzog war genervt und Kinski kaum noch zu bändigen, völlig außer Rand und Band. Gruber traute sich nicht einmal, ihn direkt für die Doku zu interviewen, so viel Respekt hatte er vor dessen Ausbrüchen. Wenn er sich Kinski näherte, dann zumeist aus der Ferne - in gehörigem Sicherheitsabstand.

    Dazu machte der internationalen Kritik, die den Film 1987 verriss, vor allem die Betrachtungsweise Herzogs zu schaffen. Er attackiert die Sehgewohnheiten der Zuschauer und erzählt seine Geschichte aus der Sicht des unsympathischen Despoten, der keinerlei Identifikation erlaubt. Es fehlt die innere Sprengkraft, der Charakter entwickelt sich während des Films nicht weiter. AZ-Kritiker Ponkie verspottete Kinski damals als „Blondzombi“, der renommierte Spiegel-Schreiber Hellmuth Karasek kanzelte den Film als „schmutziges Stück Männerphantasie, als klappriges Herrenmenschentum, geritten auf der Mähre Kinski“ ab. Kritik hat „Cobra Verde“ ohne Zweifel verdient, aber nicht in dem Maße. Auch wenn der Film inhaltlich als gescheitert zu werten ist, bietet er jedoch optisch, ohnehin die große Stärke Herzogs, wieder Vorzügliches. Das Schlussbild, in dem Kinski unter unmenschlichen Anstrengungen vergeblich versucht, ein Boot vom Strand ins Wasser zu ziehen, ist visuell beispielhaft großartig wie der ganze Film inszeniert. Alle Aufnahmen entstanden wie bei Herzog üblich an Originalschauplätzen in Ghana, Brasilien und Kolumbien. Das kommt der Atmosphäre zugute, die sehr authentisch wirkt. Die Kameraarbeit von Victor Ruzicka, der Herzogs „Aguirre“- und>„Fitzcarraldo“-Gefährten Thomas Mauch vertrat, ist ebenso hervorragend. Der Score seines Hauskomponisten Florian Fricke (alias Popol Vuh) orientiert sich an afrikanischen Klängen und fällt diesmal weniger dominant und auffallend aus.

    Dazu gewinnt „Cobra Verde“ dem Thema Sklavenhandel eine neue Betrachtungsweise ab, die sich grundlegend von Afrika-Romantik à la „Jenseits von Afrika“ abhebt. Die Bräuche und Sitten, die innerhalb der afrikanischen Stämme herrschen, stehen präsenter im Mittelpunkt. Realismus wollte Herzog zeigen, was ihm die vernichtenden, oben angeführten Kritiken einbrachte. „Cobra Verde“ ist nicht so schlecht, wie er gemacht wurde - immer noch ein Film, der über dem Durchschnitt steht. Aber das ist nach den Maßstäben eines Werner Herzog natürlich zu wenig. Das weiß er. In der heutigen Zeit distanziert er sich auch teils von dem Werk, das ihm immer „irgendwie fremd“ blieb, wie der in seiner wunderbaren Kinski-Dokumentation>„Mein liebster Feind“ (1999) bekennt...

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