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    The Quiet Girl
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    FILMGENUSS
    FILMGENUSS

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    4,0
    Veröffentlicht am 24. November 2023
    DAS WUNDER DER WERTSCHÄTZUNG

    Wie heisst es so schön? Durchs Reden kommen die Leute zusammen. Eigentlich gar nicht wahr. Sie mögen zwar miteinander interagieren, diese Leute, doch Nähe entsteht dadurch keine. Reden kann man viel, wenn der Tag lang ist. Man kann ihn auffüllen mit hohlen Phrasen und jeder Menge Smalltalk, die im Grunde zu nichts führt. Das wirklich Wichtige lässt sich zwischen den Wörtern verorten; es sind Gesten, Blicke und Berührungen. Aufmerksamkeiten und Signale, die das Gegenüber wissen lassen: es wird wertgeschätzt. Im Leben der jungen Cáit ist Wertschätzung etwas, dass sich ihre Familie nicht leisten kann – oder will. Cáits Eltern führen mehr schlecht als Recht einen Hof, hinten und vorne fehlt das Geld und das sechste Kind wird in Kürze das Licht der Welt erblicken. Es herrscht ein gehetzter, entnervter Dauerzustand, vor allem von Seiten der Mutter – und der Vater ertränkt seine Gefühle lieber im Alkohol. Um dem Ganzen ein bisschen den Druck zu nehmen, wird das neunjährige Mädchen zur Cousine an die irische Küste gebracht – diese lebt mit ihrem Mann in scheinbar harmonischer Abgeschiedenheit zwischen Sandstrand, Wald und Feld. Die Kühe geben Milch, die Quelle klares Wasser. Cáit eröffnen sich Welten, die sie zuvor nicht gekannt hat: Zuneigung, Liebenswürdigkeit und Aufmerksamkeit, zumindest von Seiten Eibhlíns, die ihrer entfernten Verwandten mit unbändiger Gastfreundschaft begegnet. Sie merkt, dass mit Cáit etwas nicht stimmt. Sie will ihr Bestes tun, um der Kleinen einen glücklichen Sommer zu bescheren.

    So steht die junge Catherine Clinch in ihrer ersten Filmrolle wie Alice im Wunderland vor dem Kaninchenbau, als sie aus dem Auto ihres Vaters steigt. Schmutzig und leicht verwahrlost, wortlos und verschreckt. Doch das, was ihr widerfährt, ist die Möglichkeit, Vertrauen zu entwickeln, Nähe anzunehmen und endlich gesehen zu werden. Als unsichtbares Mädchen, von kaum jemanden beachtet, scheint Cáits Persönlichkeit am Anfang des Films regelrecht zu verblassen. Und dann geschieht das Wunder. Das Wunder der Wertschätzung. Das Wunder, anderen einfach Gutes zu tun. Filmemacher Colm Bairéad, der mit The Quiet Girl nicht nur sein Spielfilmdebüt hingelegt, sondern auch bei den Oscars für Aufsehen gesorgt hat, gelingt es, sich eineinhalb Stunden lang und mit hypnotischer Wirkung auf das Wesentliche zu konzentrieren. Keine Floskeln, keine Phrasen, keine Worthülsen, nirgendwo auch nur der geringste Overflow. Seine Arbeit ist fokussiert, zurückhaltend und entschleunigt. Doch weder elegisch noch auf sinnierende Weise entrückt. The Quiet Girl steht mit beiden Beinen am Boden, doch stampft es nicht auf. Der Film zentriert sich in seiner Gegenwart, fängt die junge Cáit nicht auf beobachtende, geschweige denn voyeuristische Art ein, sondern lässt es zu, dass sich diese dem Auge der Kamera von selbst nähert. Es ist diese erfrischende Bereitschaft, wahrgenommen werden zu wollen. Und da ist sie. In ihrer ganzen Persönlichkeit, in ihrer ganzen Sehnsucht und ihrem Mut, Nähe zuzulassen. Spätestens wenn der von Andrew Bennett dargestellte Seán als Vaterfigur für den Sommer mit Cáit langsam, aber doch, eine für beide Seiten bereichernde Basis der Koexistenz findet, wird deutlich, worauf es im Leben wirklich ankommt.

    Und wenn dann doch gesprochen wird, dann erklingt schönstes Gälisch, von dem man kein Wort versteht, die Sprache aber wesentlich dazu beiträgt, den Film auch in seiner Zeit und seinem Ort zu verankern. Sprache ist hier Poesie, die einen ungeschmückten, aber nicht schmucklosen Film auf nuancierte Weise veredelt. Der Klang ist eine Sache, die Details, die Bairéad für wichtig erachtet – Cáits Schuhe, am Tisch ein Keks, die schillernde Oberfläche des Wassers – das visuelle Vokabular eines intimen, schnörkellosen Portraits einer Gemeinschaft auf Zeit, in der Geben und Nehmen im intuitiven Einklang geschieht. Es sind keine tragischen Ereignisse, wilden Begebenheiten und spannenden Wendungen, zu denen sich The Quiet Girl hinreißen lässt. Es ist die zum Durchatmen einladende, angenehm entreizte Tiefe, in die der Film vordringt, als würde man, um sich von Last und Kummer zu befreien, den Kopf mal tief ins kühle, stille Wasser eines kleinen Waldsees tauchen.
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    Cursha
    Cursha

    7.060 Follower 1.055 Kritiken User folgen

    4,5
    Veröffentlicht am 24. November 2023
    "The Quiet Girl" ist ein auf den ersten Blick recht unauffälliger Film, inszenatorisch genau so ruhig und unaufgeregt daher kommt wie seine Protagonistin. Die langsamen Kamerafahrten, wie warmen Bilder und liebevolle Optik erzeugen beim Zuschauen ein wohliges Gefühl und lässt genug Zeit um sich von der Atmosphäre der Welt einsaugen zu lassen. Das Handwerk ist hier ganz entscheidend für die Tonalität, aber auch für die Botschaft, die der Film vermitteln will. Dabei wirkt das ganze nie manipulierend, sondern stets authentisch und greifbar. Die Figuren lassen ebenfalls lieber die Bilder sprechen und sind eher wortkarg. Dabei schafft der Film in seinen knapp 90 Minuten Laufzeit eine Menge zu erzählen und ist primär eine Geschichte rund um die Elternschaft und Liebe. Führsorge und die Gefahren der emotionalen Verwahrlosung sind Kernthemen, die in den 80er Jahren genauso präsent waren, wie sie es heute leider zu häufig noch sind. Kurz: Ein ruhiger, stiller, aber warmer und authentischer Film, der keiner großen Worte bedarf um dennoch große Gefühle zu vermitteln.
    beco
    beco

    64 Follower 366 Kritiken User folgen

    4,0
    Veröffentlicht am 21. November 2023
    Ein berührender Film, dem es gelingt die Wichtigkeit von Bindung und Fürsorge zu zeigen und bewusst zu machen, wie häufig das misslingen kann. Das Irland der frühen 80er Jahre bildet dazu den Hintergrund, ländlich und katholisch geprägt, mit Figuren, die dem alten Irland verhaftet sind und die noch nichts von den anstehenden ökonomischen Veränderungen spüren. Der Film lebt aber besondere durch Cáit (Catherine Clinch), die in jeder Szene eine überzeugende Glaubwürdigkeit vermittelt.
    Sehenswert
    Kinobengel
    Kinobengel

    465 Follower 552 Kritiken User folgen

    4,0
    Veröffentlicht am 5. August 2023
    Anfang der 1980er in Irland: Die zurückhaltende Cáit (Catherine Clinch) hat Schwierigkeiten in der Schule, die Familie lebt an der Armutsgrenze. Da ihre Mutter (Kate Nic Chonaonaigh) zudem hochschwanger ist, übernimmt deren Cousine Eibhlín (Carrie Crowley) während der Sommerferien die Obhut über Cáit.

    „The Quiet Girl“ wurde im Rahmen der 71. Filmkunstwochen in München als Preview aufgeführt, unter anderem die Originalvertonung in gälischer Sprache.

    Beobachtungskino pur präsentiert Regisseur Colm Bairéad, der auf eine komplex verästelte Story verzichtet. Er setzt den Fokus auf das herrlich subtil inszenierte Aufblühen des mutlos und schüchtern wirkenden Mädchens im menschlichen Miteinander. Eibhlín agiert einfühlsam, ihr Ehemann Seán (Andrew Bennett) zunächst weniger.

    Das bessergestellte kinderlose Ehepaar hat die Möglichkeiten, der vernachlässigten Cáit sogar mehr als die ersehnte Zuneigung zu geben. Beide werden sympathisch dargestellt, überdies in einer (auch optisch) angenehmen Umgebung. Man kann dem Filmemacher vorwerfen, dass er dadurch ein einfaches Spiel hat, das Publikum auf die Seite der Umsorgenden zu ziehen, doch in der sorgfältig ausgesuchten Konstellation sind die Charaktere keineswegs stereotypisch oder gar weltfremd. Hinzu kommt das soziale Netzwerk, welches von heute aus gesehen vor guten vierzig Jahren am Dorfausgang seine Grenzen hat. Manch schrullige Einwohner sowie einige Ereignisse sorgen ferner für gewisse Unterhaltungswerte. Ein Familiengeheimnis hält eine bestimmte Hintergrundspannung aufrecht und unterfüttert die bemerkenswert herausgearbeitete Herzlichkeit.

    Letztendlich trägt die prächtig aufspielende Hauptdarstellerin Catherine Clinch den Film über die Ziellinie, denn ihre intensiv vorgetragene Verzagtheit ist kaum zu übertreffen.

    Colm Bairéad setzt mit „The Quiet Girl“ eine berührende Perle in die Kinolandschaft.
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