LEBENSMENSCHEN UND IHRE BEDEUTUNG
Du entschuldige, i kenn di… Das ist der Titel eines Austropop-Klassikers aus den Achtzigern, vorgetragen von Peter Cornelius und bis heute sowohl zeitlos als auch ein Kind seiner Zeit. Darin beschreibt der Singer/Songwriter das zufällige Zusammentreffen seiner selbst mit einer lange Zeit aus den Augen verlorenen Jugendliebe. Jetzt, viele Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte später, springt der Funke nun endlich über und die Chance, ein Paar zu werden, rückt in greifbare Nähe.
Eine ähnliche Geschichte beschreibt Celine Songs Freundschafts- und Beziehungsdrama, nur an ganz anderen Orten, zu einer ganz anderen Zeit und über rund 24 Jahre hinweg. Das wiederum klingt episch – ist es aber nicht. Denn Celine Song pickt sich aus ihrer fast schon eine ganze Generation umspannenden Romanze genau jene Schlüsselszenen heraus, die erforderlich sind dafür, eine kompakte, kleine, komprimierte Geschichte zu erzählen, ohne dabei aber deren Bedeutung dahinter ebenfalls zu stutzen: Das Gefühl, jemanden aus den Augen zu verlieren und wiederzufinden, bestimmt die Wahrnehmung und das Denken von Exil-Koreanerin Nora, vormals als Young Na in Seoul aufgewachsen und dick befreundet gewesen mit dem Jungen Hae Sung. Der hat sich damals, im Alter von zwölf Jahren, überhaupt gar nicht so richtig von seiner Jugendliebe verabschieden können. Plötzlich war sie weg gewesen, zog mit ihren Eltern nach Kanada. Aus den Augen, aber nicht aus dem Sinn. Wie durch Zufall finden beide zumindest wieder über Skype zueinander. Eine kuriose Situation, man hat sich viel zu erzählen, und da ist plötzlich noch mehr, als Nora lieb ist. Dieses Gefühl des Zueinander-Gehörens beruht letztlich auf Gegenseitigkeit, doch das nun zur jungen Frau herangereifte Mädchen von damals hat nun andere Pläne und Ziele, ist also ein anderer Mensch geworden. Einen Platz in ihrem Herzen für den Jungen aus Korea? Darf es den geben? Oder ist das nur die Sehnsucht nach einer zurückgelassenen Heimat und einer Kindheit, die in einem früheren Leben passiert ist?
Beide scheinen zwar nicht schlaflos in Seattle, aber schlaflos in New York oder Seoul zu sein. Beide ergründen auf ihre Art das Konzept des In-Yun, die koreanische Begrifflichkeit von Schicksal und Bestimmung, die wiederum auf Begegnungen aus früheren Leben fußt. Celine Song ist dabei eine Könnerin, wenn es darum geht, eine entkitschte Romanze zu erzählen, die eigentlich gar keine ist. Die Geschichte einer Freundschaft zu erzählen, die Past Lives genauso wenig sein will. Irgendwo dazwischen, in einer staaten- wie zeitlosen Transitzone, treffen die Gedanken und Gefühle der beiden aufeinander, nur erkennbar durch lange, intensive Blicke, die den jeweils anderen zu ergründen versuchen. Song inszeniert sehr viel zwischen den Zeilen, lässt all den unnötigen Firlefanz, der nun mal in diesem Genre Fuß fassen will, außen vor. Und wenn nicht, definiert sie zum Beispiel die Rolle des amerikanischen Ehemanns insofern um, dass dieser, statt nur einen notwendigen Wendepunkt zu verkörpern, an welchem sich die beiden Hauptcharaktere aufreiben, plötzlich selbst ins Zentrum rückt – als empfindsame, gar nicht stereotype, liebende Figur, durch die ein loses Dreieck entsteht, deren Kanten in Wechselwirkung zueinanderstehen.
Ein mustergültiges Psychogramm ist Past Lives geworden, ohne sich dabei anzumaßen, Lösungen zu finden. All diese Stimmungen füllen eine im Grunde recht überschaubare Geschichte, die anderswo vielleicht zum Epilog gereichen würde. Die anderswo vielleicht nur Teil eines größeren, vielleicht wieder schwülstigen Melodrams geworden wäre. Wer genug Geduld hat, und weiß, wie es sich anfühlt, dem unwiderbringbar Vergangenen nachzuhängen und sich dabei auszumalen, wie es anders hätte laufen können – der bekommt einen leisen, gewissenhaft beobachteten Film geboten, welcher sich die Zeit nimmt, die er braucht, um dann, ganz intuitiv, zum Ende eines emotional verwirrenden Lebensabschnitts zu gelangen.
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