Schon Polanski, Fellini und sogar die Rolling Stones waren ganz begeistert!
Von Michael MeynsGeschrieben während des stalinistischen Terrors der 1930er Jahre, dann ein Vierteljahrhundert lang verboten und erst 1976 in zensierter Fassung veröffentlicht: Nach seinem Erscheinen inspirierte der Roman die Rolling Stones, Regisseure wie Roman Polański, Federico Fellini, Terry Gilliam – und auch „Moulin Rouge“-Mastermind Baz Luhrmann wollten den Stoff verfilmen, scheiterten aber an der Umsetzung. Die Rede ist von „Der Meister und Margarita“ des in Kiew geborenen russischen Autors Mikael Bulgakov.
In Russland wurde der Roman schon oft fürs Kino oder Fernsehen verfilmt, jedoch noch nie so aufwändig wie nun von Michael Lockshin. 17 Millionen Euro soll das Budget für das mehr als zweieinhalb Stunden lange Epos betragen haben, internationale Stars wie August Diehl und Claes Bang spielen den Teufel bzw. Pontius Pilatus. Bizarre Fantasy-Elemente werden hier mit philosophischen Exkursen verknüpft – und all das versteckt eine autoritätskritische Haltung, was es nur noch erstaunlicher macht, dass dieser Film in Putins Russland produziert werden konnte.
Moskau, in den späten 1930er Jahren: Die Herrschaft Stalins macht es Künstler*innen immer schwerer, sich frei zu äußern. Einer der Betroffenen ist ein namenlos bleibender Autor (Evgeniy Tsyganov), der gerade ein Stück über Pontius Pilatus, den römischen Statthalter in Judäa, der Jesus Christus zum Tode am Kreuz verurteilte, geschrieben hat. Die Proben werden unterbrochen, das Stück wird verboten und der Autor aus der Schriftstellervereinigung ausgeschlossen.
Wie aus dem Nichts taucht ein eleganter, ganz in schwarz gekleideter Mann auf, der sich als Woland (August Diehl) vorstellt und sich schon bald als der leibhaftige Teufel erweist. Er spornt den Autor an, einen satirischen Roman über sein Schicksal zu schreiben. Gute Idee, denkt dieser und macht sich ans Werk, unterstützt von seiner Geliebten Margarita (Yulia Snigir), die den Autor nur als Meister bezeichnet. Allerdings wird Margarita bald zur Hexe und lässt gemeinsam mit dem Teufel Moskau brennen…
Ein deutscher Teufel, der nach Moskau kommt und für Chaos sorgt. Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg hat das sicherlich eine spezielle Note. Aber als Mikael Bulgakow diese Fantasie in den 1930er Jahren aufschrieb, war noch nicht absehbar, was die Zukunft bringen sollte. Bulgakow selbst erlebte es nicht mehr, er starb bereits 1940, das Manuskript zu seinem epochalen Roman „Der Meister und Margarita“ blieb lange unter Verschluss und konnte erst 1967 in gekürzter Fassung erscheinen. Kein Wunder, denn der Roman ist eine unverhohlene Kritik an der stalinistischen Politik, an Säuberungen, willkürlichen Verhaftungen, der Unterdrückung von künstlerischer Freiheit. Also ziemlich genau das, was auch über das gegenwärtige Russland unter Putin gesagt werden könnte.
Umso erstaunlicher, dass mit russischer Finanzierung, darunter auch staatlicher Kulturförderung, eine Neuverfilmung von Bulgakovs Roman realisiert werden konnte. Regie führt Michael Lockshin, ein in den USA geborener Russe, dessen Eltern schon bald nach der Geburt des Sohnes in ihre Heimat emigrierten. Dort wurde Lockshin zum Regisseur, dessen Debüt „Silver Skates“ der erste von Netflix finanzierte russische Film wurde und der inzwischen auch ein vehementer Kritiker des russischen Krieges in der Ukraine ist. Noch während der Post-Produktion musste Lockshin daher Russland verlassen. Er überwachte den Schnitt aus dem Exil und konnte so nur aus der Ferne erleben, wie „Der Meister und Margarita“ Anfang 2024 zu einem großen Erfolg im russischen Kino wurde. Rund 2,3 Milliarden Rubel spielte der Film dort ein, das entspricht gut 24 Millionen Euro. Putins Anhänger gingen schon bald auf die Barrikaden, so als hätten sie erst jetzt bemerkt, dass Bulgakovs eine beißende Satire über autoritäre Regime geschrieben hatte.
Dabei ist die Regimekritik versteckt und oft widersprüchlich: Passagen im alten Jerusalem erzählen von der Begegnung von Jesus, der hier Jeschua heißt, und Pontius Pilatus, gespielt vom Dänen Claes Bang („The Square“), der sich an gebrochenem Latein und Hebräisch versucht. Als Urform des Kommunismus könnte man nun Jesus Lehren von einer in Frieden und Harmonie lebenden Gemeinschaft verstehen, die aber durch das Wesen der Menschen immer wieder an der Realisierung gehindert wird. Im Moskau der Dreißigerjahre läuft es nicht anders ab, die intellektuelle Klasse feiert dekadente Partys, während die Arbeiter*innen darben. Und mittendrin stets der Teufel, der immer wieder von seinen Begegnungen mit historischen Figuren berichtet. Es war dieser Aspekt, der Mick Jagger zu seinem Text zum Song „Sympathy For The Devil“ inspirierte, wo es heißt: „I was 'round when Jesus Christ / Had his moment of doubt and pain / Made damn sure that Pilate / Washed his hands and sealed his fate.“
Gleichermaßen lose und doch genau wirkt Michael Lockshins Adaption eines Romans, der wenig klare Handlung enthält, dafür aber umso mehr ausufernde Dialogpassagen und philosophische Exkurse. Davon findet sich in der Filmversion natürlich weniger, dafür gibt es aufwändige Musical-Nummern, eine sprechende Katze namens Behemoth und eine mystische Party, die entfernt an die Orgie aus „Eyes Wide Shut“ erinnert. Ein wilder Exzess, den ein russischer Kritiker als letzten unabhängigen Film des Landes bezeichnete, bevor das Putin-Regime endgültig durchgriff und unabhängige (künstlerische) Positionen unterband. Dass so viele Russen und Russinnen sich diese Neuverfilmung von „Der Meister und Margarita“ angeschaut haben, will man da gerne als Zeichen verstehen, dass es auch in Putins Russland doch noch den Wunsch nach Wandel gibt.
Fazit: In seiner Literaturverfilmung „Meister und Margarita“ benutzt Michail Lockshin den berühmten, unter der Diktatur Stalins geschriebenen Roman von Mikael Bulgakov als Allegorie und beißende Satire über das zeitgenössische Russland. Eine überbordende, exzentrische, exzessive Verfilmung eines der berühmtesten Romane des 20. Jahrhunderts.