EIN MANN FÜR ALLE FELLE
von Michael Grünwald / filmgenuss.com
Wo, wenn nicht in Norwegen, lässt sich die Rückkehr des archaischen Männerbildes besser zelebrieren? Man nehme zum Beispiel die beeindruckend in Szene gesetzte Legende von Ragnar Lodbrok her: ein Wikinger durch und durch. In der höchst erfolgreichen Serie Vikings dürfen tätowierte Kahlköpfe mit Rauschebart die Axt und sonst was schwingen. Es fließt Blut jede Menge, Ehre und Verrat wechseln sich auf verlässliche Weise immer wieder ab. Da weiß man wieder, was das für Männer waren. Männer, die es heutzutage nicht mehr gibt. Denn heutzutage zwängen sich Männer viel lieber in ihren Slim Fit-Anzug, schlüpfen in ihre Designerschuhe und schmeißen stundenlange Meetings. Oder aber sie ackern scheinbar endlos als Workaholic vor irgendwelchen Bildschirmen und sind zwar Meister der Informatik, haben aber sonst ganz vergessen, wie es sich anfühlt, in einen Ameisenhaufen zu steigen, einen Speer zu schnitzen oder eine Flamme zu entfachen, und zwar mit Zunder und Feuerstein.
Konnte das Ragnar Lodbrok auch? Vermutlich – wir wissen es nicht, und Martin, der gerade bis über beide Ohren in einer Midlife Crisis steckt, weiß es auch nicht, will aber der Sache auf den Grund gehen. Also lässt er Frau und Kind einfach im Stich und zieht von Dänemark nach Norwegen in die Wildnis. Dorthin, wo ihn niemand findet. Er wechselt seine Kleidung gegen Felle und lässt fast alles, was ihn sonst auch nur irgendwie an die müde Alltagsblase erinnert, hinter sich (außer seines Mobiltelefons: das ist für den Notfall, versteht sich). Womit er jagt, das sind Pfeil und Bogen. Doch das Besitzen dieser Dinge heißt nicht gleich, dass Mann damit umgehen kann. Martin kann es nicht und würde sonst verhungern, würde er nicht ab und an in den nächsten Tankstellenshop einfallen und Essbares rauben wie seinerzeit die vorbildlichen Männer aus grauer Vorzeit. Wenig später findet er in den Wäldern den verletzten Musa – einen Kriminellen, dem nicht wohlgesonnene Drogenschmuggler auf den Fersen sind. Die folgen dem Duo bald über die Berge, und auch die Polizei ist bald hinter Martin her, genauso wie dessen desperate Ehefrau, die dem Gatten ordentlich die Leviten lesen will.
Mit einer psychologisch durchdachten Komödie über das Scheitern eines überzeugten Aussteigers ist Wild Men vom Dänen Thomas Daneskov nur bedingt zu vergleichen. Oder aber auch gar nicht. In den ersten Szenen, in welchen ein bewusst unfreiwillig komischer Rasmus Bjerg nicht nur mit der Krise eines ereignislosen Alltagslebens hadert, sondern auch mit dem Vorhaben, dem Ideal des harten Mannes nahe zu sein, spielt Daneskov bereits die höchsten Karten aus. Der Einbruch in den Supermarkt ist das ironische Zeugnis eines Selbstbetrugs – aus dieser Situation hätte man ein tragikomisches Survivaldrama bergauf und bergab jagen können. Doch leider will der Regisseur etwas anderes. Er will eine kauzige Krimikomödie drehen, die sich trotz der ungewöhnlichen Ausgangssituation dem normalen Genrealltag des Kinos mehr anbiedert als für diese Thematik zu empfehlen gewesen wäre. Da jagen stereotype Verbrecher hinter Martin und seinem Schützling her, von der anderen Seite kommt die Staatsgewalt mit unmotivierten Polizisten, die zu Feierabend daheim sein wollen. Alles schön und gut, und ja – ganz nett. Aber dafür, dass der Film so klingt, als wäre er eine komödiantische Mischung aus Beim Sterben ist jeder der Erste und City Slickers, angereichert mit dem eigentümlichen und gerne sarkastischen Humor Skandinaviens, fällt Wild Men viel zu gezähmt aus. Oder soll genau das der ironische Witz sein?
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