Mit dem Spritzbeutel zum WM-Titel
Von Lars-Christian DanielsDie Vita des französischen Starkonditors Yazid Ichemrahen liest sich wie eine klassische Vom-Tellerwäscher-zum-Millionär-Geschichte: In schwierigen Verhältnissen aufgewachsen, biss sich das marokkanische Einwandererkind durch und lernte schon als Jugendlicher bei erstklassigen Ausbildern sein Handwerk. Das Ausnahmetalent am Schneebesen und Spritzbeutel wurde Souschef in einem Luxushotel in Monaco und später Weltmeister für Tiefkühldesserts. Heute besitzt der Selfmademan und Unternehmer edle Konditoreien in Europa sowie im Nahen Osten und beliefert zudem ganze Hotelketten mit seinen Köstlichkeiten.
„Sterne zum Dessert“, den man auf keinen Fall mit leerem Magen schauen sollte, erzählt seine Geschichte: Regisseur Sébastien Tulard entführt uns in seinem kurzweiligen Debütfilm in die Welt der hektischen Sterneküchen und fantasievoll komponierten Süßspeisen. Die Kreuzung aus warmherzigem Wohlfühl-Biopic und bedrückendem Sozialdrama geht allerdings nicht immer auf: Für unbeschwerte Unterhaltung ist der Beigeschmack zu bitter, gleichzeitig sind die Zugeständnisse an die Feel-Good-Zielgruppe zu groß, als dass der Film seine Wucht voll entfalten würde. Und dramaturgisch ist das alles ohnehin sehr ausrechenbar.
Schon in jungen Jahren zeigt Yazid (Marwan Amesker) ein außergewöhnliches Talent für Desserts.
Der kleine Yazid (als Kind: Marwan Amesker, als Teenager: Influencer Riadh Belaïche) wächst in der französischen Kleinstadt Épernay in einem kritischen sozialen Umfeld auf. Seine alleinerziehende Mutter Samia (Loubna Abidar) ist überfordert, so dass er bald in die Pflegefamilie von Simone (Christine Citti) und Pascal (Patrick d'Assumçao) gegeben wird. Als Teenager landet Yazid in einem Kinderheim, in dem er kaum gefördert wird. Heimleiterin Victoria (Sandrine Dumas) hat den Jungen aufgegeben und will ihn sogar in eine andere Einrichtung abschieben.
Dabei hat Yazid ein großes Talent, das allein sein Erzieher Samy (Saïd Benchnafa) erkennt: Aus simplen Zutaten und mit bescheidenem Küchenequipment vermag er köstliche Desserts zu kreieren. Yazid träumt davon, einer der besten Konditoren der Welt zu werden und heuert trotz des weiten Anfahrtswegs als Azubi in einem Sternerestaurant in Paris an. Schon bald muss er lernen, dass Talent allein nicht alles und ihm nicht jeder Patissier in der Küche wohlgesonnen ist…
Das Drehbuch von Cédric Ido, das auf Yazid Ichemrahens Autobiografie basiert, zeichnet dessen Werdegang bis zur Konditoren-WM im Jahr 2016 nach und spielt auf drei Zeitebenen: Während das Finale von der WM und seiner Zeit in einer Grand-Hotel-Küche an der Cote d’Azur im Jahr 2013 erzählt, spielen die ersten zwei Drittel überwiegend im Jahr 2006. Yazid pendelt als Teenager zwischen Heim und Restaurant, um sich seine ersten Sporen zu verdienen und in der Welt der Patissiers Fuß zu fassen. Parallel dazu werden Rückblicke in Yazids Kindheit montiert, die Anfang der 90er Jahre von Armut und Perspektivlosigkeit geprägt ist: Seine Mutter ist zwar mit allen Wassern gewaschen, kümmert sich aber kaum um ihn. In der Pflegefamilie findet Yazid Halt und bedankt sich mit exquisiten Geburtstagstorten.
Für die Charakterzeichnung sind diese Rückblicke elementar. Wir erleben, wie Yazid zu Yazid wird, und dafür braucht es manchmal keinen Dialog. Klaut der Junge in der Eröffnungssequenz ein paar Eier, Mehl und Schokolade im Supermarkt, weil seine Rabenmutter ihm kein Geld gibt, verstehen wir auch ohne Worte: Yazid ist ein Steh-Auf-Männchen, das sich nicht mit seinem Schicksal abfindet, sondern sein Glück selbst in die Hand nimmt. Geschenkt wird ihm nichts. Für das Publikum ist er eine sympathische Identifikationsfigur – sieht man von seiner meist unverschuldeten Unpünktlichkeit ab, hätten ihm ein paar mehr Ecken und Kanten allerdings gut zu Gesicht gestanden.
Yazid (Riadh Belaïche) will nicht einfach nur ein guter Koch werden, sondern die besten Desserts des Planeten krieren.
Mit Blick auf die Nebenfiguren regieren hingegen Stereotypen. Da ist der äußerst strenge und oft cholerische, Spitzenleistungen aber anerkennende Küchenchef Massena (Jean-Yves Berteloot), der früher selbst ein gefeierter Starkonditor war. Da ist der nie um einen witzigen Spruch verlegene Buddy Manu (Dycosh), natürlich nicht halb so talentiert wie Yazid, aber ein treuer Unterstützer. Und da ist der sadistische Hoteliersohn und Erzrivale Julien (Estéban), der Yazid ebenfalls nicht das Wasser reichen kann und als Bilderbuch-Ekelpaket keine Gelegenheit auslässt, ihm eins auszuwischen. Das gab es schon unzählige Male. Entsprechend rar sind die Überraschungen gesät, die sich aus dieser abgegriffenen Konstellation ergeben.
Dramaturgisch verläuft „Sterne zum Dessert“ also in penibel geordneten Bahnen – und zwar im Stile eines Sportfilms, der auf das große Finale in Form eines Wettkampfs hinsteuert. Man muss ein wenig schmunzeln, wenn Manu nach einem Konflikt mit Julien auf einen legendären Kinnhaken in „Rocky“ verweist. Tiefschlag um Tiefschlag im Privatleben wird weggesteckt, Vorkampf für Vorkampf in der Sterneküche gewonnen – und wenn Yazid kurz vor Beginn des Wettkampfs eine Hiobsbotschaft am Telefon aushalten muss und auf seiner Showbühne für einen kurzen Moment der Strom ausfällt, dann ahnen wir bereits: Auch davon wird sich der tapfere Konditor nicht unterkriegen lassen.
Fazit: „Sterne zum Dessert“ ist ein herzerwärmender Mutmacher-Film, bietet mit Blick auf die Figuren und die Dramaturgie aber eher Tiefkühlkost als Sterneküche.
Wir haben „Sterne zum Dessert“ beim 19. Festival des deutschen Films in Ludwigshafen gesehen, wo er 2023 als Gastbeitrag aus Frankreich gezeigt wurde.