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    Godland
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Godland

    Ein Kniefall vor der Macht der isländischen Natur

    Von Ulf Lepelmeier

    Ausgehend von sieben realen historischen Fotografien, auf denen die Natur und die Einwohner Islands zu sehen sind, erzählt Regisseur Hlynur Palmason („Weißer weißer Tag“) in epischen Bildern fiktive Geschichten darüber, wie diese alten Aufnahmen möglicherweise entstanden sein könnten. Dabei lässt er das Publikum gemeinsam mit einem dänischen Priester eine lange und harte Reise antreten, in der die kolonialistische Hybris von der Kraft der Natur regelrecht zerschmettert wird. Elegisch und ruhig im Aufbau und mehr auf die beeindruckende Natur als auf die Figuren bezogen, fordert „Godland“ so auch den Zuschauenden einiges ab.

    Der junge dänische Priester Lucas (Elliott Crosset Hove) wird Endes des 19. Jahrhundert in das unter dänischer Herrschaft stehende Island geschickt, um dort in einem kleinen Ort im Nordosten eine Kirche zu errichten. Um Land und Leute kennenzulernen, wählt er nicht die direkte Schiffsüberfahrt zu seinem Bestimmungsort, sondern den beschwerlichen Landweg durch überwiegend menschenleeres Gebiet. Mit zahlreichen Büchern, einem massiven Holzkreuz sowie einer umfangreichen Fotoausrüstung im Gepäck macht er sich gemeinsam mit einer kleinen Reisegruppe erwartungsvoll auf, nur um dann schnell erkennen zu müssen, dass ihm die rauen Gegebenheiten des Landes vermutlich alles abverlangen werden…

    Priester Lucas (Elliott Crosset Hove) hat sich ganz bewusst für den beschwerlichen Weg entschieden.

    Mit der überraschenden Wahl eines kastenförmigen 4:3-Bildformats schafft Hlynur Palmason einen besonderen Kontrast zwischen den scheinbar endlosen Landschaften Islands und der eingeschränkten menschlichen Perspektive. Zugleich unterstreicht er die Kleingeistigkeit des Priesters, der sich nicht auf die Natur und die besonderen Gegebenheiten einstellen kann. Lucas ist ein idealistischer junger Mann, der denkt, sich auf eine spannende Reise für Glaube und Vaterland zu begeben. Er geht fest davon aus, dass er in Island gebraucht wird. Zudem möchte er mit seinen Fotografien gerade auch für die dänische Kolonialmacht Eindrücke von Land und Leuten einfangen. Von einem Dolmetscher versucht er zu Beginn noch die verschiedenen Ausdrücke für Regen in der isländischen Sprache zu erlernen. Doch seine Offenheit für die ihm unkultiviert erscheinende Sprache erlischt schnell wieder.

    Stattdessen gelangt er auf dem langen, rauen Weg durch Island zunehmend an seine Grenzen. So muss er nicht nur immer mehr von seinem Reisegepäck – wie etwa das für die Kirche bestimmte große Holzkreuz – zurücklassen, sondern auch mit Hunger, Kälte und andauernder Erschöpfung klarkommen. Irgendwann beginnt er ihn so heimtückisch begrüßende Land regelrecht zu hassen. Der schrittweise psychische Bruch findet seine Verdeutlichung dabei auch in den verschiedenen körperlichen Zusammenbrüchen auf der Tour: Lange, durchaus spirituell aufgeladene Aufnahmen von vereisten Territorien, endlosen Wiesen oder langsam vor sich hin wabernder Lava unterstreichen die ungezügelte Macht der Natur, der der Mensch am Ende eben doch nichts entgegenzusetzen hat, was auch Lucas immer wieder auf schmerzliche Weise erfahren muss.

    Auch die dänischen Schwestern Anna (Vic Carmen Sonne) und Ida (Ida Mekkin Hlynsdottir) können Lucas seinen nach der kräftezehrenden Reise angeknacksten Glauben nicht zurückgeben.

    An einem Punkt der Reise lässt Palmason seine Kamerafrau Maria von Hausswolff eine Sumpfwiese mit einer immensen Ruhe abtasten. Hier schwellen Stimmen von Insekten und Vögeln an, die aber nicht sichtbar werden. So wenig sich hier eigentlich tut, so wirkungsvoll gerät diese Szene, die der unendlich erscheinenden Weite der Glaslandschaft huldigt und dem Zuschauenden dabei das Gefühl des Verlorenseins quasi einimpft. Die beschwerliche Tour nimmt die erste Hälfte des Filmes ein, während die zweite von dem Aufbau der hölzernen Kirche und Lucas Hadern mit seiner Situation und seinem neuen Lebensmittelpunkt geprägt ist. Mit dem ansässigen Dänen Carl (Jacob Lohmann) und seinen Töchtern Anna (Vic Carmen Sonne) und Ida (Ida Mekkin Hlynsdottir) kann sich Lucas zumindest auf Dänisch unterhalten, während er der isländischen Sprache weiterhin nur ablehnend gegenübersteht. Seine Ablehnung gegen dieses ihm fremde Land hat sich so in ihn eingefressen, dass es für ihn keine Hoffnung mehr zu geben scheint.

    Elliott Crosset Hove („Wildland“) spielt den Pfarrer, der voller Erwartung aufbricht und nach der beschwerlichen Durchquerung Islands schon bei der Ankunft an dem Ort seiner Bestimmung vollkommen desillusioniert ist, mit großer Zurückhaltung. Allein mit seiner ausgemergelten Physis und seinem Minenspiel macht er klar, wie sehr Lucas innerlich leidet und mit seinem Schicksal in Island hadert. Dem Kirchengesandten als Stellvertreter der dänischen Kolonialmacht stellt der Regisseur den hünenhaften, die Expedition anführenden Isländer Ragnar (Ingvar Sigurðsson) gegenüber. Als Symbolfigur des isländischen Freiheitsdranges lehnt er es ab, Dänisch zu sprechen. Er verhält sich Lukas gegenüber von Beginn an abweisend, während dieser ihn wiederrum seine höhere Stellung auf demütigende Weise spüren lässt. Eine Antipathie, die sich zu einer Feindschaft ausweitet und die dänisch-isländischen Konfliktpotenziale spiegelt.

    Fazit: „Godland“ mag lang und sperrig sein, huldigt aber in atemberaubenden Aufnahmen der faszinierenden Natur. Kann man sich auf den elegischen Verlauf des historischen Dramas einlassen, zieht Regisseur Hlynur Palmason einen mitten hinein in eine raue, spirituell aufgeladene Expedition in das eisige Herz Islands.

    Wir haben „Godland“ beim Seville European Film Festival gesehen.

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