Mitte der 90er Jahre sorgten Alan Moore und Eddie Campbell für großes Aufsehen in der Comic-Szene. Ihre mehr als 500 Seiten starke „From Hell“-Reihe beleuchtete die historisch verbürgte, legendäre Mordserie des unter dem Namen „Jack The Ripper“ bekannt gewordenen Schlächters, der die Londoner Bevölkerung Ende des 19. Jahrhunderts in Angst und Schrecken versetzte. Die hochtalentierten Jung-Regisseure Allen und Albert Hughes versuchen sich an einer Verfilmung, begeistern dabei mit sensationell stimmiger Atmosphäre, scheitern aber inhaltlich an der Komplexität der Vorlage.
London, 1888. Im Arbeiter- und Armenviertel Whitechapel wird eine Prostituierte bestialisch ermordet und ausgeweidet. Sergeant Godley (Robbie Coltrane) setzt seinen besten Mann auf den Fall an. Zunächst muss er den schwer drogensüchtigen Inspektor Abberline (Johnny Depp) aber erst einmal in einer Opiumhölle ausfindig machen. Der unkonventionelle Polizist ist eine Art Medium, das sich durch Drogenkonsum in eine andere Bewusstseinsebene transferiert und dort Visionen tatsächlich stattfindender Geschehnisse hat. Von seinen Vorsetzten unter Druck gesetzt („das kann nur ein Ausländer getan haben, auf keinen Fall ein Engländer“), lässt sich Abberline nicht täuschen, sucht den Täter - der über explizite anatomische Kenntnisse verfügt - in der reichen Londoner Oberschicht. Die Morde gehen weiter, aber schon bald kommt Abberline dem Ripper näher. Doch der wird von höchster Stelle gedeckt und der Ermittler stößt auf eine Maurer des Schweigens…
Die Ripper-Legende aus der Sicht des kultisch verehrten „From Hell“-Comics zu erzählen ist sicherlich ein ehrenwerter und plausibler Ansatz. Immerhin setzten die detailgetreuen Federstrichzeichnungen von Alan Moore und Eddie Campbell in ihrem Genre einen neuen Standard. Aber die Reihe ist viel zu umfang- und figurenreich, dass sie in zwei Stunden Hollywood-Film hätte gepresst werden können. Also hieß es, streichen, kürzen, verknappen. Und genau das sollte für das ambitionierte Regie-Duo Allen und Albert Hughes, die zuvor mit den Ghetto-Dramen „Menace II Society“ und „Dead Presidents“ für Furore sorgten, zum Problem werden. Die Theorie, dass der Geheimbund der Freimaurer hinter den Morden steckt, ist durchaus legitim, doch insgesamt krankt „From Hell“ an einem eher unterdurchschnittlichen Drehbuch (von Terry Hayes und Rafael Yglesias). Gradlinig, aber ohne große Raffinesse werden die Stationen des Ripper-Falls abgehakt. Dabei geht’s herzhaft blutig zu - garniert mit Zutaten aus dem Gothic-Horror. Doch im Laufe der Zeit kann das Schlächten nicht mehr so recht schocken, es wird zur Routine. Deswegen legen die Hughes-Brüder zum Finale noch eine Schippe drauf und steigern den Ekel-Faktor bis zum Anschlag. Das kann jedoch nicht verhindern, dass die Enthüllung der Identität Rippers nicht wirklich überraschend ausfällt.
Anstatt sich auf eine ausgeklügelte Handlung innerhalb ihrer selbst gewählten „Whodunit“-Strukur zu setzen, stecken die Hughes-Brothers ihre ganze Energie in das Erzeugen einer gespenstischen, horrorartigen Atmosphäre. Und genau das ist die große Stärke der Verfilmung. In „From Hell“ gibt es nur zwei Grundtöne: Entweder tiefschwarz oder blutrot. Optisch eine Augenweide, erinnert das Set-Design an Tim Burtons „Sleepy Hollow“, in dem Johnny Depp die ähnlich angelegte Rolle des Ermittlers Ichabod Crane verkörperte. Allerdings dort mit größerer Wirkung. Denn die „From Hell“-Variante Depps bleibt viel zu zurückhaltend, um mitzureißen. Außerdem ist die Attitüde des Opium- und Absinthsüchtigen zumindest gewöhnungsbedürftig.
Die Interpretation Depps steht übrigens in krassem Gegensatz zur letzten großen Ripper-Adaption. 1988 gab Michael Caine den Inspektor Abberline in einer 200-minütigen TV-Fassung von David Wickes in einer schauspielerischen Glanzleistung als einen alkoholsüchtigen und hochgradig jähzornigen Heißsporn, der sich von nichts und niemanden von der Lösung des Falls abbringen ließ. Trotzdem hat Depp natürlich genug Charisma, die Emotionslosigkeit seiner Figur abzufedern, aber glänzen kann er halt nicht. Die besten Szenen stehlen sich sowieso die gut besetzten Nebenakteure. Der Ripper-Darsteller, ein Meister seines Fachs ganz nebenbei bemerkt, liefert eine perfekt nuancierte Performance, die schon beängstigende Züge annimmt. Die Tatsache, dass die Motivation, die Opfer auch noch brutal zu schlächten und ihnen Organe zu entfernen, unklar bleibt, ist schließlich dem Drehbuch anzulasten und nicht dem Schauspieler. Daneben weiß auch Robbie Coltrane zu gefallen. Nur Heather Graham fällt als Bordsteinschwalbe aus dem Rahmen. Während ihre Kolleginnen authentisch wirken und man ihnen die Huren abnimmt, ist dies in Grahams Fall nie so. Immer mit porentief reiner Kleidung unterwegs sieht sie stets so aus, als würde sie gerade frisch gefönt und frisiert aus dem Gard-Haarstudio kommen. Zudem ist ihre angedeutete Liebesgeschichte mit Abberline so unglaubwürdig wie überflüssig.
Auf Grund der angesprochenen Mängel kann „From Hell“ zwar inhaltlich nicht überzeugen, beschert dem Zuschauer aber alternativ einen optisch, aufregenden Trip in die Finsternis der Vergangenheit, der wie im modernen Hollywood-Kino üblich auf Tiefe verzichtet und stattdessen an der blitzblank polierten Oberfläche bleibt und durch Schauwerte glänzt.