Sandra Bullock zeigt, was einen echten Hollywood-Star ausmacht!
Von Sidney ScheringGibt es überhaupt noch Filmstars im klassischen Sinne? Das fragen sich Hollywood-Analyst*innen bereits seit einer ganzen Reihe von Jahren. Schließlich sind es inzwischen nicht mehr unbedingt die Schauspieler*innen, die Projekte zum Hit machen, sondern meist Marken und Franchises, die den Erfolg garantieren (sollen). Mit Corona hat sich dieser Trend noch verstärkt – zwar gibt es seit Wiedereröffnung der Kinos auch wieder veritable Hits wie „Spider-Man: No Way Home“, „The Batman“ oder zuletzt „Sonic The Hedgehog 2“, die durchaus Einspielergebnisse auf Vor-Pandemie-Niveau erreichen. Aber gerade etwas ältere Zuschauer*innen trauen sich hingegen oft doch noch nicht wieder in die Lichtspielhäuser.
Aber zumindest in den USA gab es da auch den einen großen Hoffnungsschimmer für alle Kinobetreiber*innen, Verleiher*innen und alle, die die große Leinwand lieben. Mit der Strahlkraft von Oscargewinnerin Sandra Bullock („Blind Side“) avancierte ihr Starvehikel „The Lost City – Das Geheimnis der verlorenen Stadt“ in den USA zum Kinohit – gerade beim nicht mehr ganz jungen Publikum. Die Brüder Adam Nee & Aaron Nee stellen in ihrer Abenteuer-Romantikkomödie das ungebrochene Charisma ihrer Hauptdarstellerin so sehr ins Zentrum wie schon lange kein Film mehr. Und das ist immer noch so magnetisch, dass Bullocks ebenfalls toll aufgelegten Co-Stars Channing Tatum, Brad Pitt und Daniel Radcliffe fast nur noch wie ein netter Bonus daherkommen.
Sie schreibt Abenteuerromane, er ist ein Model für die Cover - und nun müssen sich Loretta (Sandra Bullock) und Alan (Channing Tatum) tatsächlich durch den gefährlichen Dschungel schlagen.
Die Bestsellerautorin Loretta Sage (Sandra Bullock) ist seit dem Tod ihres Mannes völlig demotiviert, übrigens sehr zum Ärger ihrer Verlegerin Beth Hatten (Da'Vine Joy Randolph). Die drängelt Loretta dann auch dazu, anlässlich einer längst gebuchten Promotour endlich ein neues Buch zu schreiben. Das Ergebnis ist ein liebloser Mix aus schmachtender Erotik und Abenteuer-Thrill, das einmal mehr mit Lorettas Stamm-Covermodel Alan (Channing Tatum) beworben wird. Während Loretta wenig von Alan hält, hält er umgekehrt große Stücke auf sie – sogar so große Stücke, dass er gemeinsam mit seinem Mediationsguru Jack Trainer (Brad Pitt) eine Rettungsaktion startet, als Loretta vom exzentrischen Milliardär Fairfax (Daniel Radcliffe) entführt wird. Fairfax glaubt nämlich, dass die Autorin ihn zu einem verschollenen Schatz führen kann...
Obwohl „The Lost City“ keine offizielle Vorlage hat, ist die spaßige Dschungelhatz kein sonderlich origineller Film: Ungleiche Mann-Frau-Doppel, die sich durch turbulente Situationen kämpfen und währenddessen verlieben, gibt es im Kino schließlich zuhauf. Vor allem Robert Zemeckis' Abenteuerhit „Auf der Jagd nach dem grünen Diamanten“ mit Kathleen Turner und Michael Douglas lässt da wiederholt grüßen. Dass sowohl Bullock als auch Turner Schriftstellerinnen spielen, ist nur eine von vielen Parallelen, was die Macher*innen von „The Lost City“ auch selbst augenzwinkernd kommentieren: Ein Werbeposter mit einem „Romancing The Page“-Schriftzug dient hier als freundlicher Verweis auf das Vorbild aus dem Jahr 1984, dessen Originaltitel „Romancing The Stone“ lautet.
An die Action-Passagen seines semi-heimlichen Vorbilds reicht „The Lost City“ allerdings nicht heran. Generell ist die Inszenierung der Nee-Brüder recht trocken und nüchtern – wenngleich sie dadurch aufgewertet wird, dass der Film zu großen Teilen an realen Schauplätzen statt im Studio vor Greenscreen gedreht wurde. Die sattgrünen Aufnahmen, die Kameramann Jonathan Sela („John Wick“) von der Dominikanischen Republik macht, wecken Fernweh und sind obendrein willkommenes Gegengift zur Überzahl an rein digitalen Dschungelpanoramen im aktuellen Blockbuster-Kino.
Deutlich wichtiger ist allerdings, dass die Regisseure und die mit ihnen gemeinsam für das Drehbuch verantwortlichen Oren Uziel und Dana Fox vergnügliche Rollen geschaffen haben, in denen sich die Cast-Mitglieder mit derart bezirzendem Charme austoben, dass die inszenatorischen Mängel und erzählerisch ausgetretenen Pfade schnell ins Hintertreffen geraten. Ganz vornean steht dabei Sandra Bullock als Schriftstellerin, die ihre eigenen Schnulzen und deren Publikum mit voller Inbrunst verachtet.
Daniel Radcliffe beweist als schmieriger Bösewicht-Millionär einmal mehr den Mut zur Selbstironie...
Ihr schneidender Zynismus ist allerdings kein Ausdruck von Arroganz: Loretta ist ihrem Job einfach überdrüssig geworden, die Trauer um ihren Ehemann hat diese Lage verschlimmert – und dann kommt noch der Frust dazu, dass sie sich mit bloßem Entertainment über Wasser hält, obwohl sie einst ernsthafte Ambitionen als Archäologin hatte. Bullock vermittelt die verhärmte Seite Lorettas glaubhaft und mit ausreichend dramatischer Schwere, um dann auch noch die absurdesten Eskapaden des Films emotional zu erden: Man kann kaum anders, als Loretta anzufeuern, wenn sie ihrem Abenteuer- und Forscherdrang nachgibt, ganz gleich, wie leichtsinnig sie dabei auch handelt. Hauptsache, sie wird im Laufe dieser ungeplant-riskanten Reise irgendwie wieder glücklich.
So belesen Loretta ist, so sehr sticht Alan sie in Sachen sozialer Intelligenz aus: Der durchtrainierte Schönling mag eklatante Wissenslücken haben, jedoch ist er ehrlich, selbstkritisch, empathisch, fürsorglich und oftmals besser als sie selbst darin, Lorettas wahren Bedürfnisse zu erkennen. Dank Tatums ironischem Umgang mit seiner Muskelmann-Physik und seinem spätestens seit „22 Jump Street“ perfektionierten komödiantischen Timing ist Alan Witzfigur und Sympathieträger zugleich. Ebenso wie er je nach Situation Lorettas Schützling oder ihr Beschützer ist – Dynamikwechsel, die in „The Lost City“ mit beeindruckender Mühelosigkeit erfolgen.
Das Star-Duo allein könnte einen vergnüglichen Film tragen. Zumal Bullock und Tatum nicht nur in spritzig geschriebenen Momenten glänzen, sondern sogar dann mit Leichtigkeit romantisch-komische Funken sprühen lassen, wenn das Skript ihnen auch mal abgestandene Scherze in den Mund legt. Aber dazu kommt eben auch noch eine ebenso namhafte wie gut aufgelegte Riege an Nebendarsteller*innen: Daniel Radcliffe („Swiss Army Man“) macht als geltungssüchtiger Millionenerbe, der kopflos zwischen Bond-Superschurke, Möchtegern-Kavalier und hedonistischem Prahlhans rotiert, einfach eine Menge Spaß. Und der erst kürzlich mit einem Oscar prämierte Brad Pitt („Once Upon A Time In… Hollywood“) stiehlt in seinen Szenen als taffer, hyperfähiger Abenteurer sowieso allen die Show.
Da'Vine Joy Randolph („Dolemite Is My Name“) schlussendlich gelingt es, aus einer bosshaften Verlegerin sukzessive eine quirlige Nebenfigur zu machen, die mit ihrem riesigen Sturkopf und ihrer von Herzen kommenden Sorge um Loretta für Erfrischung sorgt, wann immer der Haupt-Handlungsfaden zu ermüden droht. Schade, dass irgendwer hinter den „The Lost City“-Kulissen geglaubt hat, die eh schon hohe Gagdichte derart verkrampft steigern zu müssen, dass Dialog-Frotzeleien gelegentlich selbst über Aufnahmen gelegt werden, in denen Bullock und Tatum der Kamera gerade mit geschlossenem Mund den Rücken zudrehen.
Der Spaß, den Brad Pitt offensichtlich bei den Dreharbeiten hatte, ist einfach unglaublich ansteckend.
Aufgrund des sympathischen Ensembles und der sich so überzeugend wie kurzweilig entwickelnden Beziehungen fallen solche Formfehler allerdings ebenso wenig ins Gewicht wie der uninspirierte Score von Pinar Toprak („Captain Marvel“). Eine Tonspur mit mehr Abenteuerschmiss und eine engagiertere Inszenierung hätten diese Artefakt- und Partnersuche gewiss hübscher verschnürt. Doch wie selbst Buchcover-Model Alan beteuert: Das Innere zählt – und sowohl das Entdeckerherz als auch das nach Romantik schmachtende Herz von „The Lost City“ pochen stark…
Fazit: „The Lost City“ ist weder originell erzählt noch ambitioniert inszeniert – und liefert trotzdem genau das, was man sich von dem Projekt erhofft: Ein kurzweiliges Abenteuer mit Herz und Witz, das vor allem Sandra Bullock und Channing Tatum in absoluter (Charme-)Hochform präsentiert.