VOM VATER, DER NIE DA WAR
von Michael Grünwald / filmgenuss.com
Wie hieß die deutsche Comedyserie doch gleich? Ach ja, willkommen in der Schillerstraße! Sämtliche Spaßmacher, von Cordula Stratmann über Ralf Schmitz bis Dirk Bach durften da auf Anweisung eines Moderators zu teilweise wirklich absurden Regieanweisungen ihren Text und ihr Schauspiel improvisieren. Aber Achtung: das ganze musste in den Kontext passen. Gerne lässt sich sowas auf rustikalen Sommerbühnen auch als Stegreif bezeichnen. Kein Text also, dafür aber den roten Faden wie auch immer im Blick behaltend.
Jung-Professor-Xavier und Shyamalan-Psychopath James McAvoy hatte da eine ähnliche Herausforderung angenommen, nur gibt’s bei ihm rein gar nichts zu lachen. Er übernimmt die Rolle eines desperaten, jedoch bei seinem Nachwuchs recht wenig präsent gewesenen Familienvaters im Thrillerdrama My Son, dem Remake eines französischen Originals aus dem Jahre 2017 unter der Regie von Christian Carion. Den Herrn kennt man womöglich aufgrund seines Weltkriegsdramas Merry Christmas mit Diane Kruger und Daniel Brühl. Mit My Son wird vielleicht deshalb im selben Atemzug miterwähnt werden, weil er James McAvoy drehbuchtechnisch von der Leine gelassen hat. Wüsste man diesen Umstand aber nicht, würde man auch nicht zwingend auf die Idee kommen, dass hier irgendetwas anders wäre. Zumindest nicht so sehr anders.
Die überschaubare Story hat Carion selbst verfasst und lässt sich auch in zwei Sätzen problemlos umschreiben: Der elfjährige Sohn eines getrennt lebenden Ehepaares – Clair Foy und eben James McAvoy – verschwindet während eines Aufenthalts in einem Feriencamp irgendwo in den schottischen Highlands scheinbar spurlos. Alles sieht nach Kidnapping aus, die Eltern sind verzweifelt, beteiligen sich an Suchaktionen und gehen der Sache gar selbst nach. Auf diesem Wege geht der Vater eine Spur zu weit, als er den neuen Lover seiner Ex verdächtigt und mit dieser Einschätzung nicht hinterm Berg hält. Seltsamerweise macht auch die Polizei einen Rückzieher, was bedeutet, dass Mama und Papa auf sich allein gestellt sind. Die große Spurensuche hebt an, was den recht eifrig aufspielenden James McAvoy immer mehr aus der Reserve lockt.
Allerdings ist dann, wenn es wirklich spannend wird, keine Zeit mehr dafür, große Worte zu finden. Gegen Ende gelingt My Son zumindest über mehrere Minuten hinweg, das Katz- und Mausspiel eines Films wie Don’t Breathe nachzuahmen und für flachatmende Spannung zu sorgen, die gänzlich ohne Worte auskommt, da alles andere als Schleichen und Schweigen in Momenten wie diesen wirklich nicht gefragt ist. Zu diesem Herzstück des soliden Kriminaldramas kommt man als Zuseher allerdings auf Umwegen, und da ich vorhin schon bemerkt habe, dass zwar alles an diesem Film ganz normal erscheint, aber irgendetwas doch nicht stimmt, dann liegt das womöglich an McAvoy höchstpersönlich, der sich anfangs bemüht, aus der hirneigenen Improvisationsmühle einen schlagfertigen verbalen Support zu leisten. Wird schon, denkt man sich, und da wartet man und sieht zu, wie er mit kleinen, situationsangepassten Floskeln seine Rolle auf die Spur bringt. Ja klar, es wird schon. Claire Foy und all die anderen beteiligten Rollen hätten ja auch improvisieren können – wie wäre der Film dann wohl geworden? Vielleicht hätte sich McAvoy nicht so im Stich gelassen gefühlt, so ganz ohne Skript. Dann hätten sich wohl alle wohl gegenseitig etwas besser gepusht. Und vielleicht wären ihnen dann auch ein paar Hänger in Sachen Plausibilität aufgefallen. Wenn sie dann noch die Freiheit gehabt hätten, auch den Plot entsprechend umzukrempeln, wär‘s womöglich zu viel der Anarchie, aber reizvoller gewesen.
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