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    Sprich mit ihr
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Sprich mit ihr
    Von Christian Schön

    Die Filmlandschaft Spaniens ist geprägt von Extremen. Zum einen hat das Land Filmemacher wie Luis Buñuel hervorgebracht, der, gemeinsam mit Salvador Dali, mit dem Film „Un Chien Andalou“ 1929 Filmgeschichte geschrieben hat. Danach gab es, bleibt man im Bild der Filmlandschaft, eine lange Dürreperiode, verschuldet durch die Herrschaft des militanten Faschisten General Francisco Franco. Die harsche Zensur unter dem Regime verwehrte den freien Filmschaffenden, ihre Filme zu produzieren beziehungsweise sie dem Publikum zugängig zu machen. Solch politisches Klima ist ein idealer Nährboden für eine florierende Untergrundszene. Aus eben dieser stammt der, als Regiewunder Spaniens gehandelte, Regisseur Pedro Almodovar. Schnell avancierte dieser zum Star der Festivals. Seine frühen Filme sind sperrig und bevölkert von den Randfiguren der Gesellschaft. Für eben diese setzt Almodovar sich ein, wenn er auf dem politischen Parkett unterwegs ist. Unter anderem in dieser Hinsicht erfüllt „Sprich mit ihr“ alle Erwartungen, die man an einen Film von Almodovar stellt.

    Seit langem setzt sich der Spanier für die Sache der Frauen ein und variiert das Thema bis zu seinem zuletzt in den Filmkunsthäusern gezeigten Film Volver. Es gibt aber Unterschiede, die diesen Film, durchaus positiv, gerade von den früheren Werken abhebt. In Filmen wie „Kika“, „High Heels“ oder „Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs“ sind Frauen im wörtlichsten Sinn groteske Figuren: Überspitzt, exaltiert und immer nahe der Hysterie stehen die weiblichen Protagonisten mal mehr, mal weniger gefestigt im Leben. Die Charaktere in „Sprich mit ihr“ sind da viel realistischer und nur noch eine ins Fernsehen verbannte Moderatorin erinnert noch an die vergangenen Zeiten.

    Laut wissenschaftlicher Studien brauchen Frauen rund 23.000 Worte, um einen Tag lang die Dinge der Welt mit Worten zu fassen, während Männer mit durchschnittlich 12.000 Worten auskommen sollen. Angesichts dieser Zahlen klingt die Aufforderung des Titels, der sich an eine der männlichen Hauptfiguren des Films richtet, fast zynisch. Nicht weniger ironisch ist die Tatsache, dass die Frauen in „Sprich mit ihr“ still gestellt sind – die beiden Frauen liegen im Koma und haben, ganz im Gegensatz zu Frauenfiguren aus den gerade genannten Filmen, die im normalen Leben garantiert den Durchschnittswert aufgewandten Vokabulars weit überschreiten würden, die Sprache verloren.

    Die Handlung von Almodovars Filmen auf ein übersichtliches Minimum herunter zu brechen, bringt unweigerlich eine Verstümmelung der Geschichte mit sich. Zu vielschichtig sind die Verknüpfungen und Verweise innerhalb der Handlungsstränge. Deshalb sollen an dieser Stelle die wichtigsten Hauptlinien des Plots so kurz wie möglich und nötig wiedergegeben werden:

    Während eines Theaterbesuchs treffen der Schriftsteller Marco Zuluaga (Darío Grandinetti) und der Krankenpfleger Benigno Martin (Javier Cámara) zum ersten Mal zusammen, ohne aber ins Gespräch zu kommen. Benigno ist Krankenpfleger in einer Klinik und versorgt die seit einem Autounfall im Koma liegende Alicia (Leonor Watling). Marco ist als Journalist tätig und entscheidet sich bei der Ausstrahlung eines Fernsehinterviews spontan dafür, einen Bericht über eine Torera namens Lydia Gonzales (Rosario Flores) zu schreiben. Nach anfänglichen Schwierigkeiten entwickelt sich eine heftige Liebesbeziehung zwischen den beiden. Diese wird dann jäh durch einen Unfall von Lydia während eines Stierkampfs beendet. Lydia fällt ins Koma und wird ebenfalls in die Klinik eingeliefert, in der sich auch Alicia und Benigno befinden. Marco lernt so zwei neue Menschen kennen, die ihm bald sehr wichtig werden. Im Krankenhaus erfährt Marco allerdings auch, dass Lydia vorhatte, sich von ihm zu trennen. Enttäuscht verlässt Marco Spanien und fliegt nach Jordanien, um einen Reiseführer über das Land zu schreiben.

    Rückblende: Benigno und Alicia lernten sich noch vor Alicias Unfall kennen. Benigno bewohnte zusammen mit seiner Mutter eine Wohnung direkt gegenüber der Ballettschule, in der Alicia Unterricht nahm. Benigno konnte sie daher jeden Tag beobachten und entwickelte, ohne sie richtig zu kennen, starke Gefühle zu ihr. Erst nach dem Tod seiner Mutter versucht Benigno in die Nähe von Alicia zu kommen, findet diese aber erst, als er ihr Pfleger im Krankenhaus wird. In der Phantasie von Benigno geht die Beziehung zu Alicia aber weit über das normale Patienten-Pfleger-Verhältnis hinaus. Eines Nachts schwängert er Alicia und kommt, nachdem der Umstand erkannt wurde, deswegen in eine psychiatrische Anstalt. Da er außer Marco keine Freunde besitzt, bittet er diesen Informationen über Alicia zu besorgen. Gemeinsam mit Benignos Anwalt beschließt Marco, dass Benigno nicht über alle Ereignisse um Alicia, die nach seiner Inhaftierung geschehen sind, informiert werden sollte…

    Wie bereits erwähnt, ist Pedro Almodovar eng mit der Filmszene in Spanien verwachsen, da er sie auf ihrem langen Weg aus der dunklen Zeit der Diktatur begleitet hat, und sie inzwischen stark prägt. Viele Schauspieler wurden von ihm entdeckt und verdanken ihm ihren Erfolg. In „Sprich mit ihr“ gibt es eine musikvideoähnliche Einspielung, in der eine Band einer kleinen Audienz das „Lied von der Taube“ darbietet. In dieser Szene sieht man die Schauspielerinnen fast aller wichtigen Frauenrollen aus Almodovars Filmen – eine kleine Hommage. Sie alle lauschen stumm (!) und andächtig der Musik. Die kleine Frauenfamilie hat nach diesem Film Zuwachs bekommen. Die Besetzung kann nicht mit etablierten Stars glänzen aber mit glänzenden Nachwuchstalenten, und zwar nicht nur auf weiblicher Seite. Javier Cámara durfte nach seiner großartig gespielten Rolle des Benignos im Film La Mala Educacion wieder an der Seite von Almodovar drehen.

    Ein interessanter Aspekt im Film „Sprich mit ihr“ sind die Schauplätze, an denen die Handlung stattfindet. Die vier wichtigsten Orte sind das Theater, die Stierkampfarena, die Klinik und das Gefängnis (wird im Film so genannt, obwohl es sich um eine geschlossene psychiatrische Einrichtung handelt). In diesen vier Institutionen herrschen besondere Gesetzmäßigkeiten des Schauens: Die Schauplätze Theater und Arena, die zudem den beiden Frauenfiguren zuzuordnen sind (Theater – Alicia, Arena – Lydia), sind Orte, an denen einem Publikum eine Vorführung dargeboten wird. Das Gefängnis und die Klinik hingegen sind die visuellen Orte der Macht. Im Krankenhaus werden ohnmächtige Körper den Angehörigen zur Schau gestellt, und versorgt, wobei die Ärzte angesichts der komatösen Patienten machtlos sind. Und auch im Gefängnis, besonders in der Gefängnisarchitektur, manifestieren sich die Machtstrukturen einer Gesellschaft. Durch eine Glasscheibe getrennt, kann man die Gefangenen zwar noch betrachten, diese selbst sind aber entmachtet, stehen ständig unter kontrollierender Beobachtung und sind ihrer Freiheit beraubt. Die Frage nach der Freiheit ist an dieser Stelle die Entscheidende. Derjenige, der sich frei an bzw. zu diesen Orten des Visuellen bewegen kann, ist nämlich der Held der Geschichte – der sensible Schriftsteller Marco Zuluaga. Er ist an den jeweiligen Orten immer nur zu Besuch, für kurze Zeit zu Gast. Freundschaften oder Liebesbeziehungen führen ihn an die jeweiligen Schauplätze, an die seine Freunde und Liebschaften jedoch gebunden sind.

    Die Suche nach dem Haar in der Suppe der Filme von Almodovar ist durchaus, und Gott sei’s gedankt, kein einfaches Unterfangen. Und wenn es sich auch nur um eine Kleinigkeit handelt, wird man hier fündig. Choreographie ist eines der Kernmotive in „Sprich mit ihr“. Dieses taucht, ganz platt, im Theater- und Ballettmilieu auf, hat aber dann immer eine zusätzliche symbolische Bedeutungsebene. Aber auch andere Bereiche im Filmleben berühren den choreographischen Bereich: der Stierkampf, die Pflege der Komapatienten im Krankenhaus, die Vergewaltigung von Alicia als Choreographie in einem Stummfilm oder die Prozeduren in der psychiatrischen Klinik. Hier gilt wie in der Lebensmittelchemie, dass die Menge das Gift macht. Die Bahnen, in denen die Geschichte verläuft, wirken, als Ganzes gesehen, zu streng komponiert, zu gewollt. Dieser Kritikpunkt sollte einen aber auf keinen Fall abhalten, diesen Film anzuschauen. Dreiecksgeschichten gibt es gar viele. Aber eine, auf so erfrischende und vielfältige Weise erzählte und hervorragend inszenierte findet man sehr selten.

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