Unter Genrefans entwickelte sich der umstrittene Science-Fiction-Film „Avalon“ zum Geheimtipp und mehr als nur eine Alternative zur „Matrix“. Seinen Weg fand er nicht in die deutschen Kinos, sondern verschwand sofort in den Regalen von Videotheken, Kaufhäusern und Fachhändlern. Dort fristet Mamoru Oshis Werk nun sein Dasein und findet weniger Beachtung als ihm zustünde.
In einer nahen, finsteren Zukunft erfreut sich ein illegales Kriegsspiel namens Avalon großer Beliebtheit. In einer virtuellen Realität messen verschiedene Kämpfer und Kämpferinnen in diversen Missionen ihr kriegerisches Können. Ash (Malgorzata Foremniak) gehört zu den besten und ist eine Einzelkämpferin. Gerüchte über einen Special Level A machen sie auf eine versteckte Ebene, das höchste mögliche Level, aufmerksam. Eine geheime Welt, die schwer zu erreichen ist und an der schon viele gescheitert sind. Wer in Avalon scheitert und den virtuellen Tod erleidet, riskiert in der Realität erhebliche Hirnschäden und ist zum Dahinvegetieren verdammt. Trotzdem stellt sich Ash der Herausforderung, muss für diese aber ein Team zusammenstellen, was auf Grund eines Geschehens in ihrer Spielvergangenheit nicht so einfach ist...
Um „Avalon“ richtig schätzen zu können, benötigt der geneigte Zuschauer schon eine gute Portion Geduld und Aufgeschlossenheit. Aufgeschlossenheit gegenüber dem so genannten Mut zur Lücke, welche in diesem Film ganz besonders stark ausgeprägt ist. Nicht einmal das Nötigste wird dem Zuschauer erläutert. Sofort findet dieser sich in einer fremden Welt wieder, wo vieles vorerst als gegeben hingenommen werden muss. Spartanischer können Dialoge kaum geführt werden. Mit der Preisgabe von Informationen wird ebenfalls gegeizt. Längen scheinen da nur die konsequente Folge, die in der experimentellen aber ansprechenden Inszenierung leider nicht gänzlich untergehen können. „Avalon“ erfordert Konzentration und alle Aufmerksamkeit des Zuschauers; ein hohes Maß an Mitdenken wird vorausgesetzt. Viele Fragen werden angerissen, aber nur geringfügig vertieft oder gar beantwortet. Die Unverbindlichkeit in seiner Aussage und Fragenstellung tut dem Film nur bedingt gut. Zwar ist lobenswerterweise auf einen alles erklärenden, philosophischen Unterbau verzichtet worden, andererseits hätte „Avalon“ auf einige Fragen näher eingehen sollen und müssen. So ist „Avalon“ nur ein guter Film geworden. Nicht die Meisterleistung, die er hätte sein können. Nicht die vielschichtige Science-Fiction-Parabel, die er hätte sein sollen. Nichtsdestotrotz ist dies ein wertvoller, ein beachtens- und ein lobenswerter Beitrag zum Science-Fiction-Genre.
Denn „Avalon“ ist anders. Mit „Matrix“ schien sich die anspruchsvolle Science-Fiction dem Mainstream genähert zu haben, mit „Avalon“ entfernte sie sich wieder davon. Bis zur sogenannten letzten Ebene, in die Ash vorzustoßen sucht, bleibt der Film optisch von einer erstaunlich finsteren Konsequenz, wie sie nur in wenigen Werken durchgehalten wird. Ausgedünnte Brauntöne dominieren in Verbindung mit schwarz und grau das Bild. Die einzigen Farbtupfer: einige Nahrungsmittel. Es wird viel und laut gegessen in „Avalon“, als sei dies der einzige Bezug zur Realität, die Ash und die Personen ihrer Umgebung haben. Ihr Hund ist ein weiterer scheinbarer Beweis für ihr reales Leben abseits des Spiels. Aber das Spiel ist für sie zur Sucht geworden. Längst scheint Ash in ihrer Scheinwelt gefangen zu sein und der Hund ist plötzlich verschwunden. Bilder werden wiederholt, die dem Zuschauer eigentlich schon bekannt sind. Ein Versuch, den Film länger erscheinen zu lassen, als er ist? Vielleicht. Die Realität lässt sich immer schwerer von der virtuellen Welt Avalons unterscheiden. Ein Zufall? Jeglicher Bruch, jegliche Einlage gegen die Logik, scheint nicht das Produkt eines Zufall oder Fehlers zu sein. Es mutet fast so an, als sei jede Unstimmigkeit, auch im kleinsten Detail, vom Regisseur so gedacht und geplant gewesen. Sie regen zum Nachdenken an, lassen Zweifel im Zuschauer aufkeimen und werfen zahlreiche Fragen auf. Fragen allerdings, die in der Mehrzahl unbeantwortet bleiben müssen.
„Avalon“ ist nicht „Matrix“. Vergleiche liegen nahe, aber nur auf den ersten Blick. „Avalon“ ist finster und melancholisch. Hier scheint der Mensch in erster Linie gegen sich selbst zu kämpfen. Nicht die Maschinen sind das große Angst- und Feindbild. „Avalon“ ist ein eigenständiger Film, frei von „Matrix“-Einflüssen und sicherlich nicht im Fahrwasser dieser Erfolgsproduktion entstanden. Stilistisch bietet „Avalon“ ebenso Schönes wie Düsteres. Die These ist so falsch nicht, dass „Avalon“ visuell zu den eindringlichsten Beiträgen zum Medium Film überhaupt gehört. Die visuelle Brillanz macht auch einen großen Reiz aus, verliert sich aber gelegentlich in selbstverliebten Mätzchen und kann über die Längen auch nicht hinwegtäuschen. Untermalt von einer passenden Musik und einem epischen Operngesang baut der innovative, optische Stil eine beengende Atmosphäre auf. Akustisch und optisch bewegt sich „Avalon“ auf höchstem Niveau und braucht sich vor Konkurrenz aus Hollywood nicht zu verstecken.
Regisseur Mamoru Oshi drehte in Polen und bekam dabei tatkräftige Unterstützung von der polnischen Armee. Dies hat zur Folge, dass im Film auf ein beachtliches Waffenarsenal zurückgegriffen werden kann. Wider Erwarten hat der sehr langsam und bedächtig gedrehte Film aber keinen übermäßigen Wert auf die Actionszenen gelegt, so dass die Pausen zwischen selbigen einen Zuschauer mit falscher Erwaltungshaltung unter Umständen bitter enttäuschen könnten. Auch wenn nicht immer klar ist, was der Regisseur auszusagen gedachte, ist sein nachdenklicher Ansatz doch lobenswert. Insoweit erscheint die differenzierte Auseinandersetzung mit Gewaltspielen, Sucht und deren Auswirkungen durchaus gewährleistet. Leider geht „Avalon“ dieses heiße Eisen nur ansatzweise an, lässt zwar vieles erahnen, sich aber nicht zu einer klaren Aussage hinreißen. Das ist besser als in reißerische Sphären zu gelangen, aber nicht ideal. Für die Fragen nach Realität und Scheinwelt, nach Sein und Nichtsein oder Sinn und Unsinn des Lebens gilt gleiches, angerissen wird zwar einiges, zufriedenstellend zu Ende geführt hingegen nicht.
Bei den spärlichen Dialogen und der fast überstilisierten Inszenierung fällt es schwer, die schauspielerische Qualität der Darsteller zu beurteilen. Malgorzata Foremniak alias Ash schweigt überzeugend, ihre versteinerte Mine passt zum Charakter, lässt aber auch partout keine Identifikation zu. Die wenigen Nebendarsteller tun sich nicht groß hervor, fallen aber auch nicht negativ auf. Einzig Bartek Swiderski als Stunner quasselt wie ein Wasserfall. Er bringt ein kleines bisschen Humor in das ansonsten trostlose, finstere Ambiente, fällt aber zum Glück nicht zu weit aus dem Rahmen.
Geht’s dann zum Finale, dürfte der eine oder andere Zuschauer durch einen radikalen, stilistischen Umbruch überrascht werden. Sind die Details und Hinweise zuvor aber richtig gedeutet worden, so entpuppt sich diese Wende als gar nicht so erstaunlich. Auf jeden Fall wirft es wieder einmal einige Fragen auf. Auch wenn es stilistisch nicht ganz so zum Vorhergesehen passen mag, durch seine Andersartigkeit im Hinblick auf den Rest des Films wird sogleich dieselbe beklemmende Atmosphäre erzeugt. Die mystischen Bezüge zu Avalon überzeugen weitgehend und geben dem Film einen leicht zeitlosen Touch. Die Geschichte vom Geist in Kindesgestalt, ein scheinbarer Bug im Avalon-System, muss so angenommen werden, ist auf Grund des Avalon-Mythoses ein elementarer Bestandteil der Story, wirkt zugleich aber auch ein wenig trashig. Dieser Einschub erinnert an japanische Geister- und Horrorfilme und scheint ein wenig Fehl am. „Avalon“ hat einige schätzenswerte Stärken, aber auch seine Schwächen. Alles in allem handelt es sich aber um einen bemerkenswerten Science-Fiction-Film abseits des Mainstreams, der gerade Liebhaber anspruchsvoller Science-Fiction durchaus zu empfehlen ist.