Netflix‘ Antwort auf Harry Potter: (Fast) Alles nur geklaut
Von Christoph PetersenWenn die Welt gerecht wäre, würde Netflix für die Verfilmung des ersten Bands von Soman Chainanis sechsteiliger Young-Adult-Bestseller-Reihe „The School For Good And Evil“ am 12. März 2023 einen Oscar abstauben: Denn was Regisseur Paul Feig („Brautalarm“) und seine Chefdesignerin Renee Ehrlich Kalfus (BAFTA-nominiert für „Chocolat“) in ihrem Fantasy-Abenteuer an Kostümen auffahren, ist wirklich der pure Wahnsinn – mitunter fühlt es sich fast an, als würde der ewige Kampf Gut gegen Böse nicht auf den Fluren der titelgebenden Zwillingsschule, sondern auf dem Laufsteg entschieden.
Klar, die Guten und die Bösen gehen mit Schwertern und Magie aufeinander los – aber am Ende scheint es dabei doch vor allem darum zu gehen, wer dabei das coolere Outfit trägt. Dass es am Ende wahrscheinlich trotzdem nicht zum Oscarsieg reichen wird, hat einen einfachen Grund: „The School For Good And Evil“ ist weder ein besonders guter noch ein besonders schlechter „Harry Potter“-Abklatsch – und deshalb dürfte er trotz Top-Besetzung zumindest außerhalb des engsten Fan-Zirkels schon lange vor dem Höhepunkt der gerade in die heiße Phase gehenden Oscarsaison wieder vergessen sein.
Die Freundschaft von Agatha (links: Sofia Wylie) und Sophie (Sophia Anne Caruso) wird in der „School For Good And Evil“ auf eine harte Probe gestellt.
Mit ihren glatten blonden Haaren träumt Sophie (Sophia Anne Caruso) seit jeher davon, einmal eine Prinzessin zu sein – stattdessen soll sie nach dem Tod ihrer leiblichen Mutter in einer Fabrik arbeiten, um ihre verarmte Familie zu unterstützen. Sophies beste Freundin Agatha (Sofia Wylie) wird mit ihren struppigen schwarzen Haaren und ihrem ungepflegten Äußeren von vielen Dorfbewohner*innen hingegen für eine Hexe gehalten. Als Sophie davon erfährt, dass es eine besondere Schule für gute und böse Märchenfiguren gibt, sieht sie ihre Chance gekommen – und bewirbt sich sofort. Agatha hat daran hingegen gar kein Interesse, wird aber offenbar versehentlich auch von dem Rauchmonster mit rotglühenden Augen mitgeschleift, als sie Sophie am Fortgehen zu hindern versucht.
Als die beiden in der Ferne die zwei Türme der Schule erspähen, der eine in dunklen Unwetterwolken verborgen, der andere ganz im Stile des berühmten Walt-Disney-Märchenschlosses, sieht sich Sophie bereits am Ende ihrer Träume angelangt – doch dann wird sie über der von Lady Lesso (Charlize Theron) geleiteten Schule der Bösen abgeworfen, während sich Agatha unter der Aufsicht von Professor Dovey (Kerry Washington) plötzlich zwischen allerlei arroganten Nachwuchs-Prinzessinnen und kaum weniger eitlen Nachwuchs-Märchenprinzen wiederfindet. Offenbar ist den Verantwortlichen hier ein folgenschwerer Fehler unterlaufen – aber der Schulleiter (Laurence Fishburne) würde diesen nur eingestehen, wenn Sophie ihre wahre Liebe findet und demjenigen einen Kuss gibt. Denn solche „und wenn sie nicht gestorben sind“-Momente waren in den Märchen schon immer nur den Guten vorbehalten…
Die Ankunft im Internat, die Aufteilung auf verschiedene Häuser, zwischen denen regelmäßig Wettkämpfe ausgefochten werden; dazu die strengen Dekan*innen, die skurrilen Lehrkräfte, der weise Schulleiter mit seiner lange Zeit undurchsichtigen Agenda: Es gibt viele „Harry Potter“-Klone – aber so schamlos nah dran wie zumindest der erste Band von „The School Of God And Evil“ sind wenige. Sogar ein Äquivalent für die Muggel-Halbblüter ist vorhanden: Hier sind das die sogenannten „Reader“, spricht Schüler*innen, die die Märchen nur durchs Lesen kennen und nicht selbst von berühmten Held*innen oder Erzfeind*innen abstammen. Bei einer solchen Nähe zum ersten Potter-Megahit aus dem November 2001 war es vielleicht auch nicht die beste Idee, in der englischen Fassung ausgerechnet die zweifache Oscargewinnerin Cate Blanchett („Tár“) als Erzählerin anzuheuern – schließlich füllte sie diesen Part auch schon in „Herr der Ringe“, also jenem Fantasy-Blockbuster, der nur einen Monat nach „Harry Potter und der Stein der Weisen“ in den Kinos angelaufen ist, mit ihrer absolut unverkennbaren Stimme aus.
Aber es gibt zum Glück auch frische Ideen: Wo es in „Harry Potter“ ja gerade darum geht, dass der Titelheld in Hogwarts und dort speziell im Haus Gryffindor ein Zuhause findet, in das er perfekt hineinpasst, wird in „The School Of God And Evil“ gleich eine doppelte Fish-out-of-Water-Story erzählt. Speziell wie sich die selbsternannte Prinzessinnenanwärterin Sophie zwischen all den angehenden Hexen und Dämonen zurechtfinden muss, macht schon auch Spaß – ebenso wie das Aufeinanderprallen der zutiefst empathischen Agatha, die gar nicht damit einverstanden ist, dass die angeblich so „guten“ Prinzessinnen um sie herum alle kein Problem damit zu haben scheinen, dass jeder, der den (Schönheits-)Ansprüchen der Schule nicht genügt, zur Strafe in ein Wünsche erfüllendes Tier zwangsverwandelt wird. Dabei hilft natürlich auch, dass Paul Feig mit den Nachwuchsstars Sophia Anne Caruso und Sofia Wylie („High School Musical: Das Musical: Die Serie“) gleich zwei Volltreffer gelandet hat.
Kerry Washington und Charlize Theron sind nur zwei einer ganzen Reihe von Stars – auch Laurence Fishburne und Michelle Yeoh sind hier Teil des Lehrkörpers.
Leider scheitern die Verantwortlichen der Verfilmung vollkommen damit, die titelgebende „School For Good And Evil“ zu einem atmenden Ort zu entwickeln. Klar, es gibt die Ankunft, das Erklären der Schulregeln, ein paar auf gute und böse Märchenfiguren zugeschnittene Unterrichtsstunden – aber überall holzt der extrem Expositions-lastige Film mit einem solchen Affenzahn durch, dass nichts davon wirklich zum Leben erwacht (also ganz anders als bei seinem Vorbild, wo die Ikonografie des Ortes Hogwarts schon ab Teil 1 immer zu den zentralen Stärken des Filmfranchises gehörte). Zu diesem Eindruck trägt auch das Spiel einiger der erwachsenen Co-Stars bei: Speziell Kerry Washington („Django Unchained“) und Charlize Theron („Fast & Furious 9“) geben dem Affen mit ihren divenhaft-kabbelnden Auftritten sowie Dialogzeilen wie „Es ist dir vor deinem Abschluss nicht erlaubt, jemanden zu töten“ ordentlich Zucker. Das macht auf einem B-Movie-Niveau zwar durchaus Laune, lässt aber die für die zunehmend düsterer werdende Story nötige Gravität vermissen (zumindest eine Maggie Smith hätte da womöglich schon Wunder bewirkt).
So aber wirkt vieles nur wie abgespult, der Märchenhintergrund gerät gar zur reinen Staffage, wenn in der Schule Rotkäppchens Mantel und Aschenputtels Kutsche ausgestellt herumstehen, aber daraus anders als bei Disneys „Descendants“ oder der ABC-Serie „Once Upon A Time …“ kaum etwas Cleveres entwickelt wird. Stattdessen gibt es einige halbgare Ansätze in Richtung Female Empowerment, bei denen es vor allem darum geht, dass Agatha ihren Mit-Prinzessinnen beizubringen versucht, dass Aussehen, Schminke und prunkvolle Kleider nicht alles sind, was zählt – nur damit Paul Feig sich in der nächsten Szene dann wieder völlig seinem Kostüm-Fetisch hingibt und den gerade gemachten Punkt damit ein Stück weit ad absurdum führt. Aber trotz des ganzen Geredes über die Subjektivität von Gut und Böse, Schönheit und Hässlichkeit: Die Spezialeffekte sehen an vielen Stellen wirklich auffällig mies aus.
Fazit: Ausstattung, Kostüme und auch die meisten Schauspieler*innen sind top – aber was hilft das alles, wenn der Film so sehr durch seinen „Harry Potter“-Gedächtnisplot hetzt, dass einem zum Staunen und Bewundern sowieso kaum Zeit bleibt – und die teilweise sehr fragwürdige Effektqualität zieht den Sehgenuss zusätzlich runter.