Egal ob Fan oder nicht, dieser Film ist auf jeden Fall Hyper Hyper!
Von Christoph PetersenAls am 22. März 2020 der erste Corona-Lockdown in Deutschland verhängt wird, machte sich H.P. Baxxter keine großen Sorgen, wie das nun mit dem Einkaufen oder den Arztbesuchen funktionieren soll. Aber auf seine regelmäßigen Friseurbesuche, auf die könne er auf keinen Fall verzichten. Der Scooter-Frontmann ist wahrscheinlich einer der eitelsten Menschen, die jemals eine Kino-Dokumentation angeführt haben – aber zugleich ist er auch einer der offensten: Leichtfertig eingefangene Corona-Infektion; Rippenbrüche von der Saufparty im Ausland, wo das Feiern noch erlaubt ist; Zusammenscheißen von Bandkollegen, Fahrern und Assistenten, die ihm u. a. eine ganz bestimmte Art von 0,3-Liter-Glas bereitzustellen haben …
… all das ist drin im ungemein unterhaltsamen „FCK 2020 – Zweieinhalb Jahre mit Scooter“. H.P. Baxxter immer perfekt gestylt – und im selben Moment doch komplett ungeschminkt. Dabei ist es übrigens (fast) völlig egal, ob man mit Scooter und ihren poppigen Hardcore-Beats etwas anfangen kann oder nicht – nach dieser Spaßgranate von Regisseurin Cordula Kablitz-Post würde man jedenfalls viel dafür geben, dass H.P. Baxxter seine eigene 20-Staffeln-Reality-Soap á la „Keeping Up With The Kardashians“ bekommt.
Die schiere Energie von H.P. Baxxter auf der Bühne springt auch im Kinosaal ungehindert aufs Publikum über.
„FCK 2020 – Zweieinhalb Jahre mit Scooter“ beginnt mit einem Online-Konzert während des Lockdowns. H.P. Baxxter hofft einfach nur darauf, dass der Scheiß möglichst schnell wieder vorbeisein werde. Aber dann haben plötzlich mehr als 80.000 Menschen gleichzeitig zugeschaut – inklusive der eigenen Mama auf dem Handy. So viele gab es seit einem Russlandauftritt im Jahr 1996 nicht mehr – und damit ist dann auch H.P. Baxxter wieder versöhnt. Die Geschichte des Frontmanns ist seit den bescheidenen Anfängen in der norddeutschen Provinz, wo er von seiner Mutter noch zu einer Finanzbeamten-Ausbildung getrieben wurde, immer auch ein Kampf um (Selbst-)Bestätigung. Gerade diese oft ins Skurrile und manchmal auch ins Unangenehme abdriftende Getriebenheit macht die Kino-Dokumentation so unglaublich kurzweilig.
Die barock eingerichtete Protzvilla samt Tigerfell passt da fast schon zu perfekt ins Bild. Kein Gegenstand darf verrückt werden, wie an einem Filmset muss hier alles immer genau auf seinem Platz stehen (in seinem Kopf gäbe es schon genug Chaos, da muss zumindest das Zuhause aufgeräumt sein). Dass nur wenige Wochen vor Kinostart der Keyboarder Sebastian Schilde (nach vier Jahren) und der DJ Michael Simon (nach 16 Jahren) die Band – zum Teil nicht ganz harmonisch – verlassen haben und H.P. Baxxter nun erst einmal alleine dasteht, ist nach dem Schauen des Films jedenfalls keine Überraschung. Wer aufmuckt, wird ins Billighotel verbannt – und dass sich sein Keyboarder ständig dem „Barzwang“ (nach Auftritten MÜSSEN alle noch mit feiern gehen) widersetzt, passt dem Frontmann ebenfalls gar nicht.
H.P. Baxxter liegt damit auf der Sich-mitunter-wie-Arschlöcher-benehmende-Genies-Skala gerade noch in dem Bereich, wo es zwar auch mal cringe wird, aber man trotzdem noch (eine Menge!) Spaß damit haben kann. Die letzte Linie wird – zumindest im Film – nie überschritten, und seine unbedingte Leidenschaft sowie sein Herz (für Hardcore) nimmt man ihm jederzeit ab: Mit H.P. Baxxter hat Deutschland den besseren Ozzy Osbourne!
H.P. Baxxter in „FCK 2020 – Zweieinhalb Jahre mit Scooter“: Immer perfekt gestylt - und doch komplett ungeschminkt!
Zugleich ist „FCK 2020 – Zweieinhalb Jahre mit Scooter“ auch einer der bisher besten Corona-Filme überhaupt – mit einem präzisen Blick für all die skurrilen Kleinigkeiten, die die Pandemie und ihre Bekämpfung in den vergangenen drei Jahren so mit sich gebracht hat: Auf dem Spielbudenplatz an der Hamburger Reeperbahn prangt ein riesiges Werbeplakat mit dem Slogan „Mask-Have der Saison“ – und später werden bei einer Zugreise gerade mühsam die Maskenpflicht-Aufkleber vom Boden des Bahnhofs gekratzt. Sowieso offenbart Vieles, was in diesen Tagen geschehen ist, im Rückblick ein ungeahntes Humorpotenzial:
H.P. Baxxter verhängt jedenfalls direkt ein Schlabberlook-Verbot – und zeigt sich erleichtert, dass der Lockdown schon 2020 und nicht erst 2021 kommt, schließlich sei da ja eine große Stadiontour geplant (und das Publikum grinst mit dem Wissen der kommenden zwei Jahre – vielleicht sogar ein bisschen schadenfroh – in sich hinein). Auch der Schnitt aus dem Büro, wo H.P. Baxxter erzählt, dass er nie in einem Autokino auftreten würde, hin zu der Bühne eines Autokinos, wo Scooter gerade ein Konzert spielt, ist natürlich pures Comedy-Gold. Und irgendwann werden die Corona-Beschränkungen im Verlauf der titelgebenden zweieinhalb Jahre ja auch wieder gelockert – und damit steht der Comeback-Tour ja nichts mehr im Wege. Oder vielleicht doch? Losgehen soll es jedenfalls im April 2022 in Moskau…
Fazit: Es wird sicherlich noch viele Filme über die Corona-Zeit geben. Aber wir können uns kaum vorstellen, dass noch eine andere Pandemie-Chronik auch nur annähernd so saumäßig unterhaltsam ausfällt wie „FCK 2020 – Zweieinhalb Jahre mit Scooter“.
PS: Obwohl Cordula Kablitz-Post zweieinhalb Jahre lang so nah an Scooter dran war wie wohl noch niemand vor ihr, kann auch ihr Film die uns alle seit Jahren quälende Frage, wie viel der Fisch denn nun kostet, leider nicht abschließend beantworten…