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    Irradiated
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    1,0
    schlecht
    Irradiated

    Alles in einen Topf geworfen

    Von Lucas Barwenczik

    Es geht so viel schneller, als man es erwarten würde. Irgendwann sind die Toten gleichgültig und jeder verwundete, verwesende oder zerstörte Körper nur noch ein weiterer unter vielen. Explosionen werden buntes Licht, Feuerwerk, alles wird taub. Mit seinem Essayfilm „Irradiated“ sucht der kambodschanische Dokumentar-Regisseur Rithy Panh nach dem Krieg an sich. Nach der Essenz der Gewalt zwischen Menschen. Ein so anmaßendes wie sinnloses Unterfangen, das sehr bald zu einem endlos dahingleitenden Fluss menschlicher Gräueltaten wird. Jede Schlacht, jeder Mord, jede Hinrichtung Teil derselben diffusen Masse. Ein kolossaler, filmgewordener Irrtum eines Regisseurs, der es eigentlich besser kann und besser weiß.

    Über Archivaufnahmen, Modellarbeiten, Fotografien und Spielfilm-Ausschnitten erzählen ein Mann namens Lui (André Wilms) und eine Frau mit dem Namen Elle (Rebecca Marder) in poetischer Sprache vom Krieg. Sie sind Überlebende und beschreiben Last und Verantwortung, die daraus erwachsen. Zusätzlich gibt es Aufzeichnung einer Performance des Butoh-Tänzers Bion: Mit weißgeschminktem Körper tritt er als Opfer von Gewalttaten auf. Das Voiceover schlägt die Brücke zwischen verschiedenen Konflikten und Genoziden, von den Verbrechen der Roten Khmer, Nationalsozialisten oder Kommunisten bis hin zu den Atombombenangriffen auf Hiroshima und Nagasaki durch die Amerikaner.

    Auch der Film selbst ist ein Triptychon, das sich auf der Leinwand immer wieder in drei nebeneinanderstehende Bilder aufspaltet./center>

    „Irradiated“ ist ein Triptychon, meist zerfällt das Bild in drei gleich große Teile. Sie sind ungemein flach, oben und unten beherrschen große schwarze Flächen die Leinwand. Der Splitscreen zeigt entweder dreimal dasselbe Bild oder verschiedenen Aufnahmen parallel. Dann wieder verschwinden die dünnen Trennlinien und lassen ein Gesamtbild entstehen. Es ist vor allem eine Strategie der Vervielfältigung. Nicht nur werden tausende von Leichen, Ruinen, Exekutionen und verwüsteten Landstrichen gezeigt, der Film verdreifacht sie auch noch. Für „Irradiated“ ist zu viel gerade genug, die endlose Kakophonie des Schreckens will um jeden Preis überwältigen.

    Doch statt die Gewalt der Geschichte und das Leid der Überlebenden irgendwie erfahrbar oder auch nur annähernd verständlich zu machen, lässt der Film abstumpfen. Er ist ungemein repetitiv und prügelt mit seinen Effekten ohne Subtilität oder Unterlass auf den Zuschauer ein. „Man darf nicht friedlich filmen“, heißt es einmal gegen Ende von „Irradiated“. Die Aussage ist aus zwei Gründen fragwürdig. Zum einen fehlt so die Modulation, Kino braucht Kontrast und Abwechslung. Zum anderen wird der Film gegen Ende selbst ungemein friedlich, wenn er sich nach all der Gewalt in Blumen-und-Vogelgezwitscher-Kitsch und albernen Durchhalteparolen ergeht. Es ist kein suchender, unentschlossener Film, sondern einfach ein widersprüchlicher. Erst fallen Sätze wie „Ich kenne den tiefsten Punkt auf der Erde. Das ist der Mensch“; nur wenig später wird die Macht von Barmherzigkeit und Unschuld beschworen.

    Der Krieg an sich

    Die Grundmetapher des Kino-Essays ist schnell erschlossen, man kann sie einfach dem Titel „Irradiated“ = „Bestrahlt“ entnehmen. Der Krieg, so wird im Film immer wieder betont, ist wie atomare Strahlung. Er vergeht nicht einfach nach einem kurzen Aufflackern, sondern setzt sich fest. Unsichtbar dringt er in den Boden, in die Luft und den Körper. Noch Generationen später verformt und quält er. Gezeigt werden Bilder von Strahlungsschäden, körperlichen Behinderungen, aber auch Symbolbilder für seelische Leiden. „Das Böse bestrahlt“, erklärt der männliche Erzähler einmal.

    Doch nur weil Krieg etwas Böses ist, ist er nicht einfach das Böse an sich. Er ist kein abstraktes Prinzip und keine unabänderliche Menschheitskonstante. Gewalt und Konflikte habe mehr oder weniger klare Gründe, in der Regel politische oder ökonomische. Dass der Film Genozide in Deutschland, Russland und Kambodscha gleichwertig nebeneinanderstellt, ist unhaltbar und geschichtsvergessen. Der Krieg ist keine Gottheit, kein bösartiges Zauberwesen, er entsteht nicht – wie es im Film heißt – weil „die Seele der Welt verletzt“ wurde. Wer ihn so beschreibt, verklärt ihn. Das weiß eigentlich auch Rithy Pahn, der selbst Opfer der roten Khmer wurde.

    Mensch oder Maschine

    Der Film bleibt tatsächlich nicht immer auf der Ebene von Metaphysik und Küchenpsychologie. Die Kritik am Krieg und am Bösen ist in „Irradiated“ immer auch eine Technikkritik. Die Atombombe ist ein zentrales Symbol für die entfesselte Wissenschaft, die keine Hemmungen mehr kennt. Es gibt Bilder von Tier- und Menschenversuchen. Flugzeugaufnahmen, auf denen Landschaften menschenleer und abstrakt werden, zeigen, wie gleichgültig der Mensch durch seine Werkzeuge werden kann. „Der Pilot ist eine Maschine“, raunt es aus dem Off. Auch das ist zu kurz gedacht und wirkt über weite Strecken vor allem ungemein naiv. Erschreckend ist doch gerade, dass er auch als Bomberpilot ein Mensch bleibt.

    Und dann rauscht der Film auch noch, ohne sich der Ironie bewusst zu sein, selbst mit Pilotenblick über sein Thema. Er behauptet zwar immerzu die Einzigartigkeit der Schicksale und die Bedeutung eines jeden Lebens, doch diese Szenen klingen wie laute falsche Töne in einer Symphonie. Sie fügen sich nicht ins Gesamtbild ein. Es sind Fotografien von Opfern zu sehen, doch sie ertrinken im Bildstrom und werden achtlos fortgespült. Die Form von „Irradiated“ erzählt immerzu von der Vergleichbarkeit und damit von der Austauschbarkeit der Verbrechen. Schon die Verdreifachung vieler Bilder nimmt ihnen die Eigenständigkeit. Es ist ein Film voller Echos, erfolglos auf der Suche nach dem ursprünglichen Ton.

    Die Bilder der Gewalt, jedes für sich ein kraftvolles Zeugnis des Schreckens, verlieren in der Überwältigungsstrategie von "Irradiated" irgendwann ihre Wirkung.

    Mit der Poesie der Sprache geht hier auch eine Ästhetisierung einher. Wenn mit wohligem Schaudern von der Schönheit der weißen Kreuze im Abendrot gesprochen wird, dann klingt das ein wenig nach dem deutschen Autor Ernst Jünger und seinem berühmten Tagebuch „Strahlungen“. Dort stehen die Erdbeeren im Burgunderglas und der Sonnenaufgang im Vordergrund, während gerade deutsche Bomber Angriffe auf Paris fliegen. In „Irradiated“ sehen wir in Zeitlupe Bomben und Patronenhülsen fallen. Weil die Schrecken des Krieges so pathetisch überhöht werden, schimmert immer auch eine gewisse Bewunderung zwischen den Zeilen hervor. Ist es nicht egal, aus welchem Grund man sich vor seinem Feind in den Staub wirft? Das Ergebnis ist stets dasselbe.

    Fazit: Ein fragwürdiges Konzept wird schwach umgesetzt. Einfältiges und esoterisches Überwältigungskino ohne Schönheit und Wahrheit.

    Wir haben „Irradiated“ im Rahmen der Berlinale gesehen, wo er als Teil des offiziellen Wettbewerbs gezeigt wurde.

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