Die gigantischen Erwartungen werden sogar noch übertroffen
Von Joana MüllerMit „Dune” hat sich Denis Villeneuve einen Lebenstraum erfüllt und den ersten Teil von Frank Herberts wegweisendem Sci-Fi-Roman-Klassiker „Der Wüstenplanet” auf die große Kinoleinwand gebracht. Dabei wollte er natürlich unbedingt vermeiden, ein ähnliches Schicksal wie David Lynch zu erleiden. Der „Mullholland Drive”-Regisseur distanzierte sich schließlich im Nachhinein sogar von seiner im Schnitt drastisch gekürzten und die umfangreiche Geschichte so nicht annähernd adäquat erzählenden Adaption aus dem Jahr 1984. Für Villeneuve war daher von Anfang an klar, dass er Herberts rund 600 Seiten dicken Roman in zwei Teilen adaptieren muss. Wie uns der Kanadier im FILMSTARTS-Interview verriet, nahm er nach der Veröffentlichung des ersten Films dann auch direkt und ohne Pause wieder die Arbeit auf.
Dass er sich damit ganze sechs Jahre am Stück in der Welt von „Dune” und auf dem im Zentrum der Handlung stehenden Wüstenplaneten Arrakis herumgetrieben hat, zahlt sich nun aus. Denn wenn der visionäre Regisseur nun nach einer aus den Hollywood-Streiks im Jahr 2023 resultierenden viereinhalbmonatigen Verspätung endlich „Dune: Part Two” aufs Publikum loslässt, erfüllt er damit nicht nur die immens hohen Erwartungen, sondern übertrifft sie sogar. Der zweite Teil seiner Sci-Fi-Saga wird von ihm dabei nicht als Sequel, sondern als Kontinuität gesehen – erst beide Filme zusammen ergeben eine große Geschichte. Wo „Dune” die Figuren und ihre Welt zunächst etablierte und dabei in vielen Bereichen zwangsläufig noch an der Oberfläche kratzte, taucht „Dune: Part Two” nun tiefer in die komplexe Materie ein und steigert den bereits meisterhaften Auftakt in jeglicher Hinsicht.
Nach dem Tod seines Vaters und dem Angriff auf Arrakeen durch die feindlichen Harkonnen fanden Paul Atreidis (Timothée Chalamet) und seine Mutter Jessica (Rebecca Ferguson) Zuflucht bei dem Volk der Fremen. Während Paul zunächst nur ihre ungewohnten Lebensweisen erlernen will, sehen Teile der Fremen in ihm einen von der Schwesternschaft der Bene Gesserit vorhergesehenen Messias. Nur Chani (Zendaya) teilt Pauls Ansicht, dass es sich bei der Prophezeiung um eine konstruierte Geschichte handelt, die nur erzählt wird, um das freiheitsliebende Volk zu kontrollieren.
In Paul brodelt ohnehin ein ganz anderer Wunsch: Er will seinen Vater rächen und die Harkonnen um Baron Vladimir (Stellan Skarsgård) sowie den im Hintergrund die Strippen ziehenden Imperator (Christopher Walken) zu Fall bringen. Doch dieser Gedanke lässt ihn auch immer wieder an seinem Weg zweifeln. Zudem manipuliert Jessica ihren Sohn vermehrt aus den Schatten – insbesondere nachdem sie zur Reverend Mother der Fremen ernannt wird. Schließlich muss Paul sich entscheiden, ob er die Fremen in den Heiligen Krieg führen will, den er bereits aus seinen Visionen fürchtet – oder ob er sich diesem ihm vorgezeichneten Schicksal widersetzt…
In den ersten Minuten von „Dune: Part Two” werden Paul und die Fremen von harkonnischen Soldaten im Gebirge von Arrakis überfallen. Wenn die feindlichen Krieger dabei nacheinander mit so einem Getöse vom Himmel fallen, dass der Kinosessel vibriert, dann holt uns Denis Villeneuve direkt dort wieder ab, wo er uns mit „Dune” 2021 aus den Lichtspielhäusern entlassen hat: in einem audiovisuellen Erlebnis für wirklich (fast) alle Sinne!
Denn es begeistern nicht nur die gewaltigen, in der Wüste Jordaniens entstandenen Bilder sowie Hans Zimmers metallische Klänge, die nicht von dieser Welt zu stammen scheinen. All das ist auch haptisch zu fühlen. Bis ins Knochenmark ist die Imposanz zu spüren, die Anspannung treibt einem die Schweißperlen auf das Gesicht. Da ist man wirklich froh, dass einem in der stattlichen Laufzeit von fast drei Stunden auch immer wieder dringend notwendige Verschnaufpausen gewährt werden. Wobei „Dune: Part Two” in diesen Momenten natürlich nicht stillsteht. Ständig gibt es in dieser reichen Welt Neues zu entdecken, zu verstehen und zu erleben.
Nicht nur Fans von Frank Herberts Roman wird es freuen, dass „Dune: Part Two” viel tiefer in die zahlreichen Themen von Umwelt über Kolonialismus bis hin zu Religion eintaucht und uns nun auch viele der Figuren näher vorstellt. Wie in der Vorlage tritt Prinzessin Irulan (Florence Pugh) nun als Erzählerin der Rahmenhandlung sowie mit ihrem Vater, dem Imperator, auch in einigen schicksalhaften Szenen auf. Daneben erfahren wir noch mehr über die von Paul so sehr gehassten Harkonnen. Ihre perfide Lebensweise wird nicht nur noch weiter beleuchtet, sondern mit dem neueingeführten Feyd-Rautha (Austin Butler) gar auf die Spitze getrieben.
Wurden die Harkonnen im ersten Film noch von dem zwar grausamen, aber eher im Verborgenden agierenden Baron Vladimir vertreten, steht mit Feyd-Rautha nun ein offen soziopathischer Mörder im Mittelpunkt. Er bildet vor allem einen deutlichen Gegensatz zu dem aufbrausenden Rabban (Dave Bautista), der bislang die Interessen der Familie auf Arrakis durchzusetzen wusste. Er trägt seine Brutalität nicht nur aktiv zur Schau, sondern verfügt zugleich über ein faszinierendes Charisma, welches ihm die Loyalität seiner Gefolgschaft sichert. Schon seine Einführung in einem beeindruckenden, in schwarz-weiß mit faschistischer Ästhetik gedrehten Kampf in der Gladiatorenarena von Giedi Prime ist hochklassig.
Die eigentlichen Stars des Films sind jedoch die Fremen, die uns in überwältigender Anzahl und ihrer so pragmatisch wie überlebensnahen Ausstattung präsentiert werden. Mit ihrem bereits aus dem ersten Teil bekannten Anführer Stilgar (Javier Bardem) und der so jungen wie talentierten Kämpferin Chani stehen sich innerhalb der Gemeinschaft zwei Lager gegenüber, die Paul unterschiedlich wahrnehmen. Während Stilgar in ihm und seinen Taten schon bald den seit Jahrhunderten prophezeiten Messias sieht und den Fremden deshalb zum Teil seines Volkes machen will, blickt Chani zunächst skeptisch auf den Eindringling, der sich in ihren Augen erst noch beweisen muss. Schließlich hat die Geschichte ihrem Volk nichts als Ausbeutung und Gier auf das so lebenswichtige Spice Melange durch die großen Häuser der Galaxis gelehrt. Das hat die Fremen zu so erbitterten wie unabhängigen Kämpfer*innen gemacht – und damit auch zum interessantesten der Völker in „Dune”.
Ein festes Ritual stellt der Ritt auf einem der gefährlichen Sandwürmer von Arrakis dar, der von jedem Fremen-Kind gemeistert werden muss. Auch Paul muss sich dieser Prüfung stellen – und bekommt es natürlich direkt dem größten Exemplar zu tun, welches die Fremen je gesehen haben. Egal wie oft ihr die heiß erwartete und daher sogar vor Kinostart bereits online veröffentlichte Szene bereits zu Hause geschaut habt, sie ist auf der großen Kinoleinwand noch einmal deutlich mitreißender. Villeneuve entfesselt hier ein immersives Action-Spektakel, bringt mit schnellen Schnitten und hautnahen Kameraeinstellungen das Herz einmal mehr zum Rasen. Wenn Paul darum kämpft, Halt an dem Dünen-Biest zu finden, und es schließlich unter tosendem Geräusch-Bombast und dem Jubel der Fremen bezwingt, ist bereits eindrücklich zu erahnen, welche Rolle die Sandwürmer im weiteren Verlauf des Films noch spielen werden.
Villeneuve erzählt die aufkeimende Liebesgeschichte zwischen Paul und Chani im Zentrum des Sci-Fi-Epos sehr zurückhaltend und trotzdem mit viel Gefühl. Nur langsam erwärmt sich Chanis Herz, doch sie bleibt voller Zweifel. Denn sie fürchtet, dass Paul durch all das Messias-Gerede in eine fanatische Richtung abdriften könnte. Gespiegelt wird dies durch Pauls Sorge, seinerseits Chani durch einen Heiligen Krieg zu verlieren. Dass Villeneuve und der ihn erneut beim Drehbuch unterstützende „Prometheus“-Autor Jon Spaihts die Rolle der Fremen-Kriegerin gegenüber der Vorlage deutlich ausgebaut haben, erweist sich dabei als goldrichtige Entscheidung.
So verschaffen sie der bereits aus den 1960er-Jahren stammenden Geschichte nicht nur eine benötigte Aktualisierung mit deutlich spannenderen Reibungspunkten. Sie gestalten auch eine der wichtigsten und nahbarsten Figuren des Films – herausragend verkörpert von Zendaya. Die im ersten Teil noch mit kaum Screentime unterbeschäftigte „Euphoria”-Darstellerin kann mit vielfältigen Emotionen in einem mitreißenden Konflikt nun so richtig glänzen.
Der neue Fokus auf Chani geht übrigens nicht zu Lasten von Paul. Dessen Entwicklung wird trotzdem so eindrücklich wie ergreifend erzählt. Immer mehr beginnt er, das Geschehen in der Galaxis und seine Position darin zu verstehen, während er von seinen trügerischen Visionen in eine ungewisse Zukunft geleitet wird. Timothée Chalamet („Wonka”) kann hier so wie seine Figur Paul, die sich vom ruhigen, rational agierenden Jungen zum mitreißenden Anführer entwickelt und schließlich in den folgenschweren Kampf getrieben wird, über sich hinauswachsen.
Seine Mutter Jessica entwickelt sich hingegen zur furchteinflößenden Strippenzieherin der Bene Gesserit. Sie verdeutlicht uns die Macht der antiken Schwesternschaft und ihren Einfluss auf das politische Geschehen in der Welt von „Dune”. Rebecca Fergusons komplexe Figur macht dabei nicht nur mächtig Lust auf die seit langer Zeit angekündigte Prequel-Serie „Dune: Prophecy”, die nach mehreren Verschiebungen im Laufe des Jahres 2024 nun endlich erscheinen und uns mehr über die Bene Gesserit und ihre geheimen Machenschaften erzählen soll. Vor allem nutzt Villeneuve die Figur geschickt, um die Spannungsschraube in seinem Film noch weiter anzuziehen.
Da werden direkt Erinnerungen an die Worte von Jessicas Mann Leto (Oscar Isaac) im ersten Teil geschürt: Der fragte, ob sie Paul als Mutter beschützen oder den Wünschen der Bene Gesserit nachgeben wird, wenn sie eine Entscheidung fällen muss. Welchen Weg Jessica wohl einschlagen wird, ist aufgrund der unheimlichen Aura der Figur, die sich immer wieder in scharf flüsternder Stimme mit der ungeborenen Tochter in ihrem Schwangerschaftsbauch berät, mehr als unsicher. Genau wie die Frage, wem Paul am Ende folgt. Wenn Denis Villeneuve schließlich den Bogen zum so unvermeidbaren wie bombastischen Finale spannt, schließt er damit jedoch nicht (wie vielleicht von einigen erwartet) mit dem von ihm beschriebenen großen Ganzen ab. Das Ende öffnet gleichzeitig das Tor für einen dritten Teil: Mit „Dune Messiah” dürfen wir mittlerweile wohl so sicher rechnen, wie wir nach „Dune” wussten, dass noch „Part Two” folgen wird.
Denn mit so einem erschütternden Cliffhanger aufzuhören, wäre für die dann unvollendete Geschichte um Paul Atreides wirklich katastrophal. Das Problem ist nur, wann Denis Villeneuve sich bereit fühlt, wieder in diese so komplexe wie faszinierende Welt einzutauchen. Denn der kanadische Filmemacher ist erst einmal erschöpft, braucht, wie er uns im Gespräch erzählt, nach sechs langen Jahren in der Wüste eine Pause. Das Einzige, was dieses Meisterwerk schmälern könnte, wäre also, wenn es nicht in ein paar Jahren noch weiter fortgesetzt wird.
Fazit: „Dune: Part Two” ist die überragende Weiterführung des ersten Teils, die diesen noch einmal in so ziemlich jeder Hinsicht in den Schatten stellt. Mit atemberaubender Bildgewalt, auditivem Bombast und großartigen Performances lässt sie uns voll und ganz in die komplexe Welt von „Dune” eintauchen. Das ist Science-Fiction-Kino auf allerhöchstem Niveau, das von Denis Villeneuve mit „Dune Messiah” hoffentlich noch weiter ausgebaut wird.