So haben wir die österreichische Kaiserin garantiert noch nie gesehen!
Von Kamil Moll„Licht an, Licht aus“: Irma (Sandra Hüller) sitzt in einer Kutsche auf dem Weg zum Hof von Kaiserin Elisabeth von Österreich-Ungarn und wiederholt zur Beruhigung mantraartig den immer selben Satz. Das Licht im Kaiserreich des späten 19. Jahrhunderts ist für alle Untertanen die Kaiserin, damals wie heute stets nur Sisi genannt. Und Irma soll als neue Hofdame dafür sorgen, „dass nichts aus dem Ruder läuft“.
Für ihre Mutter, die sie begleitet und insgeheim tief verachtet, ist Irma die denkbar schlechteste Wahl dafür: Die Haare müssen ihr mühsam gerichtet, der Grind unter den Fingernägeln herausgeschabt werden. Als Irma sich am Hofe in einem Spiegel betrachtet und einen auf der Stirn entdeckten Pickel ausdrücken will, schlägt ihre Mutter ihr wütend mit der Hand ins Gesicht. Mit blutverschmiertem Kleid tritt Irma so ihre neue Anstellung an und wird zunächst wie Vieh gemustert und gewogen. Damit ist von Anfang an der Ton gesetzt für Frauke Finsterwalders großartigen Film „Sisi & Ich“.
Nicht mal ihre eigene Mutter glaubt, dass Irma (Sandra Hüller) es am kaiserlichen Hof zu etwas bringen könnte.
Sisi (Susanne Wolff) hat zu diesem Zeitpunkt das Hofleben in Wien hinter sich gelassen und lebt auf der griechischen Insel Korfu gemeinsam mit zwei weiteren jungen Hofdamen in einem Arrangement, das an eine frühe Form von Kommune erinnert – einem Rückzugsort aus der Gesellschaft, der nach eigenen, exzentrischen Spielregeln funktioniert. Auch Irma wird ein Teil davon, lernt so komplizierte wie überspannte Essensvorgaben und Diäten kennen, die aus Kokainextrakten und frisch ins Glas gemolkener Ziegenmilch bestehen. Apfeltee als Mittagessen ersetzt schwere Fleischgerichte. Nichts soll auf der Insel an die schwerfälligen und erdrückenden Riten am Kaiserhof ihres Mannes Franz Josef erinnern …
… und so ist selbst die Kleiderordnung eine andere: Anstelle des „Firlefanz aus Wien“, gerüschten und aufgeplusterten Gewändern, tragen die Frauen moderne, fremdartige Kleider aus Japan mit geraden, schlichten Linien ohne Verzierungen. Das gemeinsame Leben soll ein leichtes, eigenmächtig ästhetisiertes sein, Sisi will für immer ihr früheres Leben vergessen. Doch ihre Bedürfnisse schlagen oft um ins Manische, allzu Bedürftige: Nur damit sie ein Mimoseneis probieren kann, muss Irma sie nach Algier begleiten. Zerstreuung bietet dort letztlich nur eine ordentliche Dröhnung Rauschmittel, wovon die Kaiserin abhängig werden wird.
Georg Friedrich erweist sich als Erzherzog Viktor mit seinen unerhört-derben Sprüchen als wahrer Szenendieb.
Als Komödie ist „Sisi & Ich“ dabei großartig pointiert und bösartig, mit viel Gespür fürs Derbe und Grobe. Insbesondere Georg Friedrich („Sparta“) brilliert als Erzherzog Viktor, dem aufgrund seines exzessiven Lebensstils am Hofe geschasste Bruder von Franz Josef. Was es denn überhaupt noch im Körper zu entschlacken gebe, wenn sie sonst nichts mehr essen würde, fragt er seine Schwägerin, worauf ihn Sisi belehrt, im menschlichen Darm befänden sich Ablagerungen von Nahrungsmitteln, die bis zu drei Jahre alt sein könnten. Dann befänden sich wohl, so Viktor, in seinem Darm noch „mehrere Hektoliter Offizierssamen“.
Wie schon Frauke Finsterwalders Debütfilm „Finsterworld“ gleitet auch „Sisi & Ich“ in der zweiten Hälfte fast unmerklich in eine entschieden düstere Stimmung, verdunkelt sich schrittweise, aber unumkehrbar. Die Rückkehr in die Adelswelt wird für Sisi zu einer Reise in eine Hölle, der sie auf ewig entkommen wollte, und der Film mutiert im selben Moment zu einem Drama, das sich vor keiner Drastik scheut: Auf Meeresluft und unbeschwerte Reisen folgen Demütigungen, Missbrauch und erbrochenes Gulasch. „Kein Mensch braucht einen anderen Menschen“, sagt Sisi ernüchtert und entzaubert zu Irma, deren bedingungslose Zuneigung ein Leben lang eine rein einseitige bleiben wird. So begleitet Irma Elisabeth bis zu ihrem Tod, der als alternative Geschichtsumschreibung nicht in einer reinen Gewalttat endet (Sisi wurde eigentlich von einem italienischen Anarchisten niedergestochen), sondern zu einem überraschenden Liebesdienst umgedeutet wird: „Licht an. Und Licht aus.“
Fazit: Zwischen derber Komödie und furchtlos drastischem Drama gelingt Frauke Finsterwalder eine ebenso eigenwillige wie brillante Neuinterpretation des ewigen Sisi-Mythos.
Wir haben „Sisi & Ich“ im Rahmen der Berlinale 2023 gesehen.