Das hätte richtig gut werden können
Von Christoph PetersenNoch vor zwei, drei Jahren hat es vollkommen ausgereicht, einen Superheld*innen-Film zu drehen, der nicht allzu viel falsch macht, um an den Kinokassen abzusahnen. Aber die Stimmung hat sich innerhalb nur weniger Monate um 180 Grad gedreht: Mit der plötzlich über Hollywood hereingebrochenen Superheld*innen-Müdigkeit des Publikums muss es jetzt wieder darum gehen, mit jedem neuen Genrebeitrag etwas möglichst Besonderes abzuliefern – und „Madame Web“ von Regisseurin S.J. Clarkson („Marvel’s The Defenders“) hätte genau dazu auch das Zeug gehabt.
Während der knapp zweistündigen Spielzeit deutet sich immer wieder an, dass sich der Film zu einer Art Comic-Blockbuster trifft „Final Destination“ entwickeln könnte – mit einer Protagonistin, die dank ihrer hellseherischen Spinnenpower zwar von künftigen schrecklichen Katastrophen weiß, aber dann ganz ohne zusätzliche Superkräfte ausbaldowern muss, wie sich diese doch noch abwenden lassen. Mein Gott, was hätte man aus diesem Konzept alles Cooles herausholen können? Aber Pustekuchen! „Madame Web“ liefert trotz starker Hauptdarstellerin doch nur das übliche Genre-Einerlei – ohne spektakuläre Höhepunkte, aber dafür mit teils grauenhaften Dialogen, einem besonders nichtssagenden Bösewicht und scheunengroßen Logiklöchern.
Die Krankenwagenfahrerin Cassandra Webb (Dakota Johnson) kann mit sozialen Kontakten im Allgemeinen und mit Minderjährigen im Speziellen so gar nichts anfangen. Als ihr der kleine Sohn eines Mannes, dem sie das Leben gerettet hat, aus Dank ein selbstgemaltes Bild schenken möchte, nimmt sie es erst an, als es ihr Partner Ben Parker (Adam Scott) regelrecht befiehlt – und selbst dann weiß sie nicht, was sie nun eigentlich damit anfangen soll. Nach einer Nahtod-Erfahrung entwickelt sie allerdings besondere Kräfte – und sieht immer wieder kurze Zukunftsschnipsel, die dann auch tatsächlich eintreten (wobei sich das Vorhergesehene durchaus in eine andere Richtung entwickelt, sobald Cassandra ihr eigenes Verhalten ändert).
Während sie noch dabei ist zu verstehen, was da überhaupt mit ihr geschieht, hat sie in der Bahn plötzlich die Vision eines Mannes mit spinnenartigen Superkräften, der scheinbar wahllos drei ebenfalls im Abteil sitzende Teenagerinnen tötet. Cassandra kann das Trio gerade noch rechtzeitig überreden, mit ihr auszusteigen. Während sie herauszufinden versucht, warum es der Fremde gerade auf diese Mädchen abgesehen hat, muss die überzeugte Einzelgängerin im selben Moment lernen, Verantwortung für die aus gutem Grund verängstigten Mattie Franklin (Celeste O'Connor), Anya Corazon (Isabela Merced) und Julia Cornwall (Sydney Sweeney) zu übernehmen…
Erst während Nachdrehs wurde die Handlung von „Madame Web“ aus dem Jahr 1993 ins Jahr 2003 verlegt, um zeitlich besser in den Kanon von Sonys Spider-Man-Universum hineinzupassen. Es gibt so jede Menge Easter Eggs – wobei jene Anspielungen am besten zünden, bei denen es darum geht, dass Spider-Man zu diesem Zeitpunkt eben noch nicht existiert: Wenn Cassandra ihren Widersacher zum ersten Mal an der Decke entlangkrabbeln sieht, fehlen ihr die Worte, um die Kreatur zu beschreiben – bis ihr irgendwann die wenig überzeugende Bezeichnung „Spider-Person“ über die Lippen geht. Die ersten Minuten des Films spielen allerdings erst einmal im Jahr 1973 in Peru – und konkurrieren direkt um den Titel des schlechtesten Auftakts eines modernen Comic-Blockbusters überhaupt:
Cassandras hochschwangere Mutter Constance (Kerry Bishé) sucht im Dschungel nach einer superseltenen Spinnenart, bis sie von ihrem Leibwächter Ezekiel Sims (Tahar Rahim) verraten und niedergeschossen wird. Die quasi nur aus Exposition bestehenden Dialoge klingen dabei derart künstlich, dass man ernsthaft bezweifelt, ob die insgesamt vier Drehbuchautor*innen schon mal zwei Menschen miteinander haben sprechen hören. „Höhepunkt“ ist dann eine Ein-Satz-Motivationsbeschreibung, die Ezekiel vom Start weg zu einem der leersten Bösewichte im Marvel-Universum macht. Und wenn dann die Spinnenmänner affengleich von Baum zu Baum hüpfen, gibt es wegen der miesen CGI-Effekte gleich noch den nächsten unfreiwilligen Lacher.
Mit schwachen Dialogen und maximal mittelprächtigen Effekten haben auch die folgenden knapp zwei Stunden zu kämpfen – aber ein vergleichbarer Tiefpunkt wird zum Glück nicht mehr erreicht: Das liegt zu einem großen Teil sicherlich an Dakota Johnson („Fifty Shades Of Grey“), die ihre sozial mindestens ungeschickte Protagonistin mit viel trockenem Humor und einnehmendem Augenrollen verkörpert. Aber so richtig in Fahrt kommt „Madame Web“ trotzdem nie – und das, obwohl S.J. Clarkson auf die merkwürdig anmutende Idee kommt, die Krankenwagenfahrten so übertrieben-rasant wie in Michael Bays „Ambulance“ zu schneiden, was hier aber weder ästhetisch noch tonal zum Rest des Films passt.
In ihren anfänglichen Visionen sieht Cassandra etwa einen Grill mit zu hohen Flammen – und man erwartet nun, dass etwas Schlimmes passiert, das sie dann im „realen“ Durchgang verhindern muss. Aber das passiert einfach nicht – bis auf eine in der Vorhersehung gegen die Scheibe geknallte Taube, für die sie dann einfach das Fenster aufmacht, wird aus dem zentralen Gimmick des Films kaum etwas herausgeholt. Stattdessen fährt Cassandra ihren Widersacher einfach mehrfach mit einem Auto um, bevor ihre Vision wahr werden kann. Im großen Finale sehen wir sogar gar nichts mehr vorher: Stattdessen sagt Cassandra ihren Mädels einfach, wann wer den Kopf runternehmen soll, um nicht getroffen zu werden – sonderlich spannend ist das leider nicht. (Dass zwischendrin ein mit Baumstämmen beladender Schwertransporter prominent ins Bild gerückt wird, lässt einen natürlich nur noch schmerzhafter an den unvergessen-grandiosen Auftakt von „Final Destination 2“ zurückdenken, wo ein vergleichbares Konzept noch so viel spektakulärer und spaßiger umgesetzt wurde.)
Nachdem Cassandra den Mädchen das Leben gerettet hat, geht sie bei der Flucht in einem Taxi tief in sich, um den nächsten Schritt zu überlegen. Nur ist der mega-offensichtlich: Es gibt nicht den geringsten Grund, nach dem Anschlag auf ihr Leben nicht einfach direkt zur nächsten Polizeiwache zu fahren (dass das für Anya ein Problem wäre, erfahren wir und Cassandra schließlich erst viel später im Film). Stattdessen lädt sie das Trio aber einfach irgendwo im Wald ab – wo jede von ihnen zwei, drei Sätze bekommt, um ihre Persönlichkeit zu etablieren. Da erfahren wir etwa, dass Mattie gegen ihren meist abwesenden Vater rebelliert, weil der sein Vermögen in Asien mit die Meere verschmutzendem Plastik verdient. Diese Information kommt übrigens, nachdem die Teenagerin nur eine (!) Szene zuvor ihre leere Chipstüte achtlos in einen Busch geschmissen hat. Wir können uns kaum vorstellen, dass das eine satirische Spitze gegen die Doppelmoral der Fridays-For-Future-Generation sein soll. Eine weitere von vielen Achtlosigkeiten des Skripts erscheint da schon deutlich wahrscheinlicher.
Dass das angehende Superheldinnen-Trio – trotz einer szenenstehlenden Schulmädchen-Perücke für Shooting-Star Sydney Sweeny („Wo die Lüge hinfällt“) – relativ blass bleibt, ist aber gar nicht das größte Problem. Vielmehr ist auch ihr Zusammenwachsen – sowohl untereinander wie auch mit ihrer neuen „Mutter“ Cassandra – bloße Behauptung. Gerade war noch alles total weird zwischen allen – und dann treten sie plötzlich so eng verbunden auf, als wären sie sich einander schon ewig eine Ersatzfamilie. Absolut kein Vergleich zum MCU-Spider-Man (Tom Holland) und seinem Ersatz-Papa Tony Stark (Robert Downey Jr.).
Fazit: „Madame Web“ hat abseits der tollen Dakota Johnson nicht allzu viel zu bieten, um der offensichtlich einsetzenden Superheld*innen-Müdigkeit eines Teils des Publikums etwas entgegenzusetzen.