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    Malignant
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Malignant

    Die Geburtsstunde eines neuen Kult-Killers

    Von Christoph Petersen

    Abgesehen vom eher müden Puppen-Horror „Dead Silence“ ist die Trefferquote von Regisseur James Wan als Franchise-Starter im Horror-Genre mehr als erstaunlich: „Saw“ hat es mit neun Filmen auf mehr als eine Milliarde Dollar Umsatz an den weltweiten Kinokassen gebracht, während die vier „Insidious“-Teile immerhin noch überragende 530 Millionen Dollar umgesetzt haben – und die achtteilige „Conjuring“-Reihe ist mit einem Einspielergebnis von mehr als 2,1 Milliarden Dollar inzwischen sogar das erfolgreichste Horrorfilm-Franchise aller Zeiten.

    Sein blutiger Slasher „Malignant“ wird nun wohl eher nicht in ähnliche Box-Office-Sphären vorstoßen. Das hat allerdings nichts mit der Qualität des Films zu tun, ganz im Gegenteil: James Wan hat in der Pause zwischen „Aquaman“ und „Aquaman 2“ offensichtlich sein hervorragendes Standing beim Hollywoodstudio Warner ausgenutzt, um vor der Rückkehr ins Comic-Blockbuster-Geschäft noch ein erkennbar persönliches Herzensprojekt einzuschieben. „Malignant“ ist ganz klar ein Film von einem Horrorfan für Horrorfans – und die werden in diesem Jahr kaum mehr Spaß im Kino haben als mit dieser ebenso gnadenlos-abgefahrenen wie grandios-unterhaltsamen Giallo-Hommage.

    Zu Beginn fackelt James Wan noch einige seiner "Conjuring"-Haunted-House-Tricks ab, bevor der Film immer abgedrehter wird...

    Madison (Annabelle Wallis) verliert ihren Ehemann und ihr ungeborenes Baby, als eines Nachts ein Fremder in ihr Haus eindringt. Aber damit fängt der eigentliche Schrecken erst an: In der Folge erlebt sie immer wieder Visionen von grausamen Morden, die sich für sie anfühlen, als würde sie selbst am Tatort live zusehen – und tatsächlich stellt sich wenig später heraus, dass die blutigen Verbrechen wirklich genauso stattgefunden haben.

    Kein Wunder also, dass Madison mit ihrem speziellen Täterwissen ganz oben auf der Liste der Verdächtigen landet. Dabei hat sie doch eigentlich gar kein Motiv für die Morde. Aber dann erhärtet sich ein Verdacht, der im ersten Moment wenig Sinn ergibt: Offenbar haben die Verbrechen etwas mit Gabriel zu tun – dem imaginären Freund aus Madisons Kindheit, den sie eigentlich schon längst ganz weit hinten in ihrem Hirn vergraben hatte…

    Die ultimative Horror-Hommage

    „Malignant“ beginnt mit einem Kameraflug hin zu einem an einer Steilküste gelegenen Sanatorium, das genauso gut auch aus einem Gruselfilm-Klassiker der legendären Hammer-Studios stammen könnte. Die ersten blutigen Action-Spitzen erinnern an eine Horror-Version der X-Men – und dann macht der Film einen Zeitsprung von mehr als 20 Jahren ins Haus von Madison, wo James Wan noch mal all seine alten „Conjuring“-Tricks auspackt, um innerhalb weniger Minuten ein verdammt wirkungsvolles Haunted-House-Best-of abzufackeln – mit der simplen Einstellung eines Sofakissens als effektivem Höhepunkt.

    Vielleicht hört man es aus dieser Beschreibung schon heraus: „Malignant“ profitiert gerade in der ersten Hälfte extrem davon, wenn man vorab möglichst wenig über den Plot weiß – schließlich hat man selbst nach 30 Minuten noch nicht wirklich einen Schimmer, in was für einer Art von Horrorfilm man hier eigentlich gerade sitzt. Auf jeden Fall ist es eine abgefahrene, immer wieder überraschende Tour de Force – bis sich dann so langsam herauskristallisiert, dass sich James Wan nach dieser spaßigen Spritztour durch die Horror-Historie diesmal vor allem auf das maßgeblich von Dario Argento („Rosso – Farbe des Todes“) und Mario Bava („Blutige Seite“) geprägte Giallo-Genre fokussiert.

    Im Hintergrund erhebt sich ein neuer Kult-Killer!

    Die italienische Spielart des Slashers ist berüchtigt für seine brutalen Morde, seinen auffälligen Inszenierungsstil und seine häufig besonders abgedrehten Auflösungen. James Wan liefert allerdings keine Hommage, die explizit aussehen soll wie ein Giallo von damals, sondern nimmt sich vielmehr die Grundzutaten des Genres, um daraus seinen modernen Horror-Schocker zu schnüren – und dazu gehört natürlich zuallererst ein einprägsamer Killer: Ob der Mörder im schwarzen Ledermantel mit den langen schwarzen Haaren, der in einem Versteck mit einem überdimensionierten Ventilator im Hintergrund haust, nun tatsächlich der eigentlich ja nur eingebildete Kindheitsfreund von Madison ist oder nicht, spielt dabei sogar nur eine nachgeordnete Rolle …

    … viel wichtiger ist schließlich, dass er in „Malignant“ ordentlich abliefert – und das steht wohl außer Frage: Bei einem seiner ersten Morde lässt er einen Pokal mitgehen, den er sich anschließend selbst zu einem goldenen Ritualdolch schleift. Warum der Killer solch eine Schleifbank bei sich rumstehen hat? Völlig egal, aber die ganze Sequenz erinnert ebenso an die Klassiker des Genres wie die kurzen, aber effektiven Mordszenen, in denen weder der Killer noch James Wan irgendwelche Gefangenen macht. In „Malignant“ werden die Opfer nicht einfach erdolcht, sondern bis zur absoluten Unkenntlichkeit zerstochen.

    Rückwärts sieht so viel cooler aus

    Fast noch eindrucksvoller sind allerdings seine Bewegungen: Man braucht schon eine ganze Zeit und muss schon sehr genau hinschauen, um zu begreifen, dass dieser ebenso verstörende wie faszinierende Effekt dadurch erzielt wird, dass sich der Killer zumindest teilweise rückwärts fortzubewegen scheint – was wiederum die Verfolgungsjagden durch ein unterirdisches Gewölbe oder über eine Feuerleiter zu den visuell aufregendsten macht, die wir seit langer Zeit gesehen haben. Da merkt man dann doch, dass James Wan als Studioliebling ein ganz anderes Budget zur Verfügung stand, als normalerweise jemand für ein solch dreckiges und durchgeknalltes Genre-Experiment locker machen würde.

    Das extra Geld nutzt James Wan dann auch, um zwei ebenso hochtourige wie ultrabrutale Splatter-Action-Sequenzen abzufackeln – bei einem genreaffinen Publikum ist der Szenenapplaus da quasi vorprogrammiert! Die Auflösung der Identität des Killers (inklusive der visuellen Umsetzung) wird die Zuschauer*innen hingegen sicherlich spalten – gerade wer ins Slasher-Kino erst mit „Scream!“ oder sogar noch später eingestiegen ist, mag das absurd oder albern finden. Aber James Wan und seiner Drehbuchautorin Akela Cooper („Hell Fest“) ist das offensichtlich egal – und so feiern sie die oft eben auch ganz schön trashige Seite des Giallo-Genres mit einer selbstbewussten Inbrunst, die einfach mitreißt. So etwas traut sich wohl nur ein Genreverrückter, der zudem sicher weiß, dass er den Regiejob bei „Aquaman 2“ ohnehin schon sicher in der Tasche hat…

    Fazit: „Malignant“ ist ein visuell herausragender und dazu auch noch saumäßig unterhaltsamer Horror-Slasher, der sich vornehmlich an Fans und Kenner*innen des Genres richtet und auch sonst keinerlei Zugeständnisse an ein Mainstreampublikum macht – weder beim Gewaltgrad noch bei all dem durchgeknallten Wahnsinn, der sich hier vor unseren Augen auf der Leinwand entfaltet.

     

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