Wie ist das anders zu sein?
Selten gab ein Film so gut eine Antwort darauf, wie dieser. Der italienische Regisseur Luca Guadagnino hat mich bisher mit „Call Me by Your Name“ und dem fantastischen Remake von „Suspiria“ von den Socken gehauen. Doch seit „Suspiria“ (2018) hatte Guadagnino keinen Film mehr gedreht, bis 2022. Da erschien seine Verfilmung von „Bones and All“, ein Buch von Camille DeAngelis über Kannibalismus. Ja, ein krasses Thema, aber auch ein interessantes, besonders in dieser Geschichte. Und herausgekommen ist ein heftiger, aber auch romantischer Film, der wie eine Mischung aus „Call Me by Your Name“ und „Suspiria“ wirkt.
Die 80er: Die junge Maren Yearly wird immer wieder von ihrem Drang übermannt Menschenfleisch zu essen. Sie will es zwar nicht, aber sie kann sich nicht dagegen wehren. Immer wieder müssen sie und ihr Vater fliehen, weil das junge Mädchen andere Menschen angreift. Doch selbst ihr Vater erträgt es irgendwann nicht mehr und verlässt sie. Auf sich allein gestellt sucht Maren nun ihre Mutter und trifft auf ihrer Reise erstaunlich viele Menschen, die denselben, diabolischen Drang haben…
Es ist hier sicherlich gut zu wissen, um was es in dem Film geht, denn bei uns im Kino sind einige Leute während des Films gegangen. Und „Bones and All“ ist ohne Zweifel ein heftiger Film mit blutigen Szenen, wobei diese niemals im Vordergrund stehen und vor allem nicht glorifiziert werden. Das Dilemma dieser fleischlichen „Lust“ ist stets zu spüren und wird von Lee, ein „Eater“, wie sie im Film genannt werden, stark zusammengefasst: „Wir haben nur drei Optionen: Selbstmord, einsperren lassen oder versuchen damit zu leben.“ Regisseur Guadagnino zeigt, dass selbst hinter einem Kannibalen ein Mensch mit Gefühlen und Ängsten steckt. Der Horror war für mich besonders der Gedanke, was man selbst zun würde, hätte man diese Gelüste. Wenn man weiß, dass das, was man tut furchtbar ist, aber man kann es nicht abstellen. Es gibt Theorien, dass der Kannibalismus im Film metaphorisch für Drogenkonsum oder andere Süchte stehen kann, aber ich finde die Thematik auch ohne Projektion sehr kraftvoll. Kannibalismus ist etwas, dass für viele als absolut niederträchtig und teuflisch angesehen wird, was es ja auch in vielerlei Hinsicht ist, gerade wenn Mord mit im Spiel ist. Im Film sehen wir aber auch Figuren, die niemals Menschen wehtun wollen, es aber auf lange Sicht einfach nicht schaffen. Wie geht man mit diesen Menschen um? Kann man ihnen helfen oder ist deren Schicksal ein Leben in einer Klinik oder Gefängnis?
Und bis zu einem bestimmten Punkt ist „Bones and All“ absolut großartig in der Umsetzung dieser brisanten Thematik. Für mich verliert der Film aber viel Kraft durch das unnötig, forcierte Ende. Ich will nicht spoilern, aber eine Figur wird hierdurch sehr eindimensional dargestellt, was ich schade finde. Und es fühlt sich so an als ob der Film plötzlich in die billigste Klischeekiste gerutscht wäre. Die Message des Films ist zwar eindeutig, aber hätte für mich viel subtiler und offener gelöst werden können. Die letzten zehn Minuten des Films hätte es in meinen Augen nicht gebraucht!
Wem man aber keinen Vorwurf machen kann, sind die fantastischen Darsteller! Taylor Russell als Maren ist großartig, ebenso wie der immer wieder tolle Timothée Chalamet, dessen Karriere immer höher und höher zu steigen scheint. Der heimliche Star dürfte aber Mark Rylance als Sully sein, der mit seiner Figur eine spannende Seite dieser düsteren Welt zeigt.
Optisch ist „Bones and All“ wieder wunderbar anzusehen. Arseni Khachaturan überzeugt mit einer kraftvollen Kamera, der Soundtrack von Atticus Ross und Trent Reznor ist ebenfalls überzeugend und besonders der Schnitt von Marco Costa macht den Film eindrucksvoll und besonders.
Fazit: Nur wenige Filme können Horror und Romantik so gut verbinden, wie „Bones and All“. Hätte der Film zehn Minuten früher geendet oder hätte ein kraftvolleres Ende, das nicht so übertrieben ist, wäre dies ohne Zweifel ein weiteres Juwel von Guadagnino. So bleibt es zumindest ein sehr kraftvoller Film mit spannender Thematik, tollen Darstellern und einer ordentlichen Portion Schockfaktor.