Faber vs. Graf – das große Finale!
Von Lars-Christian DanielsIm tollen Dortmunder „Tatort: Tollwut“ gab es eine Szene, die im Februar 2018 fast zehn Millionen Fernsehzuschauern in der Schlussminute das Blut in den Adern gefrieren ließ: Der gewiefte Serienmörder und Vergewaltiger Markus Graf war durch ein cleveres Manöver aus dem Gefängnis entkommen – und hinterließ neben seiner brutal ermordeten Anwältin auch noch eine unmissverständliche Botschaft, die auf ein baldiges Wiedersehen mit dem charismatischen Bösewicht schließen ließ.
Knapp zwei Jahre später ist es nun soweit: In Torsten C. Fischers „Tatort: Monster“, der auch ohne dieses Vorwissen funktioniert, kommt es zum Showdown zwischen Graf und der Dortmunder Kripo. Dass der Film nach ein paar überraschend durchschnittlichen Folgen des einst zu den stärksten „Tatort“-Teams zählenden Quartetts aus dem Ruhrpott wieder zu den besseren Beiträgen mit Kommissar Faber & Co. zählt, liegt aber weniger an der überraschend blutleeren Konfrontation mit Graf, sondern vielmehr an der beklemmenden Rahmenhandlung um pädophile Verbrecher und ein traumatisiertes Opfer. Keine leichte Kost – aber unterm Strich ein überzeugender Krimi.
Faber vs. Graf - der nächste Showdown auf einem Hochhausdach...
Die Dortmunder Hauptkommissare Peter Faber (Jörg Hartmann) und Martina Bönisch (Anna Schudt) werden zum Schauplatz eines Verbrechens gerufen: Evelyn Kohnai (Luisa-Céline Gaffron) sitzt neben der Leiche von Klaus Kaczmarek (Mike Reichenbach), den sie mit einem Messer getötet hat. Sie ergibt sich widerstandslos. Kaczmarek hat Kleinkinder über eine Online-Plattform für sexuelle Praktiken an Pädophile verkauft und musste dafür mit seinem Leben bezahlen. Kaum sind auch Fabers Kollegen Nora Dalay (Aylin Tezel) und Jan Pawlak (Rick Okon) am Tatort eingetroffen, erreicht Pawlak ein Anruf: Seine sechsjährige Tochter Mia (Eliza Heitz) wurde entführt und seine Frau Ella (Anke Retzlaff) schwebt in Lebensgefahr. Als die Ermittler kurz darauf Bilder von Mia im Netz entdecken, führt die Spur zu Fabers Erzfeind Markus Graf (Florian Bartholomäi), der nach der Flucht aus der JVA nur noch eines will: Faber soll sich das Leben nehmen und Mia damit retten…
Wer die reizvollen Duelle zwischen Mastermind Sherlock Holmes (Benedict Cumberbatch) und seinem kaum minder brillanten Erzfeind Professor Moriarty (Andrew Scott) in der BBC-Erfolgsserie „Sherlock“ gesehen hat, dürfte im 1119. „Tatort“ ein Déjà-Vu erleben: Vieles in diesem Krimi erinnert an die Begegnungen der zwei britischen Widersacher – vor allem eine frühe Sequenz auf dem Dach eines Hochhauses, die hier einen ähnlichen Ausgang nimmt und den Showdown aus dem „Tatort: Auf ewig Dein“ von 2014 aufgreift. Drehbuchautor Jürgen Werner, der auch die zwei vorherigen „Tatort“-Folgen mit Graf konzipierte, hat Fabers Kontrahenten an Moriarty angelehnt, was den Unterhaltungswert allerdings kaum schmälert – zumal hier mit Enfant Terrible Faber kein ausgewiesenes Detektivgenie auf die fleischgewordene kriminelle Arroganz angesetzt wird, sondern ein suizidgefährdeter Rüpel, der mit ganz anderen Methoden vorgeht als Holmes.
Und doch birgt das Duell einen Schwachpunkt, was auch daran liegt, dass Florian Bartholomäi, Rekordhalter für die meisten Auftritte als „Tatort“-Mörder, in der Krimireihe langsam, aber sicher verbraucht ist: Sein Graf wirkt im Auftreten oft affektiert, den Kommissaren intellektuell überlegen und subtil bedrohlich, aber wirklich liefern tut er selten. Die emotionalen Duelle mit Faber wirken überraschend blutleer, ja fast substanzlos. Graf mordet und vergewaltigt nie vor der Kamera, wir lesen nur Botschaften oder hören ihn gekünstelte Sätze wie „Es wäre mir fürwahr eine Freude!“ in den Hörer säuseln. Die behauptete Überlegenheit gegenüber den Kommissaren entfaltet nie die Brisanz, die sich die Filmemacher offensichtlich erhoffen. Im Vergleich zu den Psychoduellen zwischen dem Kieler „Tatort“-Kommissar Klaus Borowski (Axel Milberg) und dem kaltblütigen Killer Kai Korthals (Lars Eidinger) beispielsweise kann Graf nicht mithalten.
... aber die eigentliche Stärke des Krimis sind die Ermittlungen gegen einen perfiden Pädophilen-Ring.
Spaß macht das Zuschauen trotzdem, denn unter Regie von Torsten C. Fischer („Romy“) ist ein spannender, wenn auch stellenweise etwas effekthascherisch inszenierter Wettlauf gegen die Uhr entstanden, in dem das heterogene Ermittlerteam voll in seinem Element ist – und das, ohne sich diesmal gegenseitig zu zerfleischen. Eine (für Faber schmerzhafte) Verfolgung durch ein Treppenhaus ist ebenso packend inszeniert wie eine spätere Hetzjagd durch einen Wald – und der schon oft bemühte Drehbuchkniff, dass mit Pawlak und Faber gleich zwei Kommissare persönlich vom Fall betroffen sind, steigert den Reiz der Geschichte mit einfachen, aber effektiven Mitteln. Zugleich dient das der Charakterzeichnung, weil das Stammpublikum die Familie des Kommissars bei dessen fünftem „Tatort“-Auftritt erstmalig zu Gesicht bekommt. Kollegin Dalay, die die Krimireihe noch in diesem Jahr verlässt, hält sich diesmal zurück – und Bönisch sorgt mit einer spontanen Verwandlungsnummer für den größten Lacher des Films, der sich allerdings nur schwer mit dem ernsten Erzählton und der ansonsten bedrückenden Atmosphäre in Einklang bringen lassen will.
Deutlich mitreißender als die Begegnungen mit Graf gestalten sich nämlich die Ermittlungen gegen den Pädophilenring, der ohne das gewohnte Whodunit-Prinzip auskommt und etwas umständlich mit der Suche nach Fabers Erzfeind verknüpft wird: Die beklemmenden Ausführungen der jungen Evelyn, die im Verhörraum Erschütterndes zu berichten hat, lassen allenfalls erahnen, was es in der Seele eines kleinen Mädchens anrichten muss, vom eigenen Vater vergewaltigt und an fremde Männer verkauft zu werden. Die glänzend aufgelegte Jungschauspielerin Luisa-Céline Gaffron wirft ihr ganzes Können in die Waagschale und darf diesmal deutlich mehr zeigen als bei ihrem letzten Auftritt im Freiburger „Tatort: Für immer und dich“. Auch deshalb entwickelt die Handlung deutlich mehr Durchschlagskraft als im jüngsten Hamburger „Tatort: Tschill Out“, in dem Nick Tschiller (Til Schweiger) und Yalcin Gümer (Fahri Yardim) ebenfalls ein pädophiles Netzwerk sprengten.
Fazit: Ein spannender und beklemmender Krimi, der im Pädophilenmilieu spielt – aber im Hinblick auf den Showdown zwischen Faber und Graf ist der „Tatort: Monster“ eine kleine Enttäuschung.