Ein würdiger Nachfolger für "Your Name."
Von Karin JirsakWenn wir seine drohenden Entwicklungen nicht gerade im Kontext des Klimawandels diskutieren, gilt das Wetter normalerweise ja eher als Thema für langweiligen Smalltalk und wehleidige Social-Media-Posts. Aber nicht so für Makoto Shinkai: Mit seinem einmaligen Gespür für Dynamiken von Licht und Schatten sowie visuelle Poesie widmet sich der Shootingstar des japanischen Animationsfilms dem scheinbar so banalen Sujet und macht mit seiner federleichten Coming-of-Age-Geschichte seiner Herzensstadt Tokio und ihren großen und kleinen Wundern eine zärtliche Liebeserklärung. Wie schon in seinem Überraschungs-Megahit „Your Name.“, der international zum erfolgreichsten Anime aller Zeiten avancierte, verfilmt der Regisseur und Schriftsteller auch mit „Weathering With You – Das Mädchen, das die Sonne berührte“ nun einen seiner eigenen Romane.
Der Teenager Hodaka (deutsche Synchronstimme: Sebastian Fitzner) hat sein altes Leben satt und haut nach Tokio ab. Dummerweise regnet es dort unaufhörlich, was den Neustart in der Metropole nicht gerade einfacher macht. Nachdem er eine Zeit lang auf den Straßen herumgeirrt ist, heuert er als „Mädchen für alles“ bei einem zwielichtigen Magazin an, das über unerklärliche Phänomene berichtet. Ein solches begegnet Hodaka dann auch tatsächlich in Gestalt der gleichaltrigen Hina (Léa Mariage), die eine ganz besondere Gabe besetzt: Nur durch ein Gebet kann sie den Himmel zum Aufklaren bringen. Das bringt Hodaka auf eine Geschäftsidee: Gemeinsam mit Hinas kleinem Bruder Nagi (Hannes Ploner) ziehen die beiden durch die Stadt und sorgen für gutes Wetter bei Flohmärkten, Hochzeiten und Cosplay-Events. Doch die geheimnisvolle Kraft hat ihren Preis...
Hina kann nur durch ein Gebet das Wetter verändern.
„Ain't No Sunshine“, „Crying In The Rain“, „The Sun Ain't Gonna Shine Anymore“, „Here Comes The Rain Again“ – (nicht nur) in der westlichen Popkultur ist die Tradition fest verankert, Gefühle und insbesondere die Abwesenheit von Liebe mit (spröden) Wetterbedingungen zu bebildern. Auf visueller Ebene nutzt nun auch Makoto Shinkai die Klaviatur der Witterungen, um die aufmerksam beobachteten Stimmungsnuancen seiner jungen Protagonisten und die besondere Verbindung zwischen Mensch und Stadt zu poetisieren. Verwoben mit ebenso akribischen wie sinnlich inszenierten Detailstudien seiner geliebten Viertel in Tokio komponiert er so einen magisch-realistischen Raum, in dem sich die außergewöhnliche Geschichte einer ersten großen Liebe entfalten kann.
Das fantastische Moment beschränkt sich dabei im Grunde auf die Prämisse, dass es in Tokio Menschen gibt, die das Wetter manipulieren können – wie eben auch die junge Hina, die von ihrer neuen Bekanntschaft Hodaka auf die Idee gebracht wird, aus ihrem Alleinstellungsmerkmal ein kleines Start-up zu machen. Wobei es sich eigentlich gar nicht um ein Alleinstellungsmerkmal handelt, wie Hodaka und (auch der Zuschauer) bei einer seiner Recherchen für das Okkultblatt des windigen Herausgebers Keisuke Suga (Rainer Fritzsche) erfährt: Anscheinend gibt es noch mehr Sonnenschein- und auch Regenmädchen, die hier allerdings nicht in Erscheinung treten.
Und während so eine gute Wetterfee wie Hina im westlichen Kino sehr wahrscheinlich eine Art böse Gewitterhexe zur Gegenspielerin hätte, gibt es hier angenehmerweise auch keinen ernstzunehmenden konkreten Feind, den es zu überwinden gilt – bis auf den Großstadtkapitalismus vielleicht, dessen Funktionsweisen Hina schließlich dazu bewegen, ihre wundersame Kraft auszubeuten, um sich und ihren kleinen Bruder, mit dem sie seit dem Tod der Mutter allein lebt, durchzubringen – mit gefährlichen Folgen. Allzu deutlich formuliert Shinkai diese Kritik allerdings nicht aus, fast so, als wolle er den fragilen Wohlfühlzauber seiner Geschichte nicht mit harten Realitäten zerstören. Dem Filmgenuss tut das zwar keinen Abbruch – dass man diese zumindest indirekte Kritik dann allerdings mit aufdringlichem McDonald's- und Apple-Product-Placement konterkariert, ist aber dennoch ein kleiner Wermutstropfen im ansonsten sehr süffigen, aber eben auch sehr gefälligen Zaubertrank, den Makoto Shinkai hier kredenzt.
Vom (recht harmlos beschriebenen) Überlebenskampf im Metropolen-Dschungel abgesehen, konzentriert sich die Erzählung vor allem auf die von Verständnis für die Gedanken und Gefühle von Teenagern geprägte Annäherung von Hodaka und Hina, deren emotionale Welten sich auf magische Weise im Wetter widerspiegeln: Glitzernde Tropfen, spiegelnde Pfützen, tosende Sintflut, Sonnenlicht, das die bleischwere Wolkendecke durchbricht und die Seelen der Großstädter zum Leuchten bringt – all das und noch viel mehr ist hier in allen Formen und Schattierungen zu bewundern, und das wird auch über fast zwei Stunden Laufzeit nicht langweilig. Für die große Leinwand animiert wurden die Wetterspektakel (und auch die Hintergründe) von Hiroshi Takiguchi, der sich schon bei „The Garden Of Words“ an Shinkais Lieblingsmotiv bewähren konnte. Und so nett die Coming-of-Age-Helden hier auch daherkommen: Das Wetter ist ganz klar der eigentliche Star dieses mit behutsamer Hand beseelten technischen Glanzstücks.
Makoto Shinkai spielt ganz meisterhaft auf der Klaviatur der Witterungen.
Nicht immer zahlt sich hohe künstlerische Qualität auch an den Kinokassen aus, für „Weathering With You“ gilt das zumindest in Japan aber schon mal nicht: Nach dem internationalen Erfolg von „Your Name.“ strömten die Japaner auch diesmal wieder in Scharen in die Kinos. Nach seinem kometenhaften Aufstieg trauen wir dem romantischen Himmelsstürmer Makoto Shinkai, nach dem 2018 übrigens ein Asteroid benannt wurde, inzwischen tatsächlich zu, dass er sich in den nächsten zehn bis 20 Jahren wirklich zu einem würdigen Nachfolger für den bisherigen Anime-Gott Hayao Miyazaki („Chihiros Reise ins Zauberland“) entwickelt.
Fazit: Magischer Realismus trifft auf einen verregneten Sommer in Tokio – Makoto Shinkai bringt seine Wetter- und Großstadtstudien mit Herz und Seele auf den Punkt und kreiert einmal mehr technisch perfektes Animationskino zum Staunen, Schwelgen und Träumen.