Mit VERGIFTETE WAHRHEIT haben wir im Kinoherbst 2020 ein wahres Highlight! Regisseur Todd Haynes liefert einen fast makellosen Justizthriller ab, dessen Botschaft jeden einzelnen auch nach dem Kinobesuch nicht loslassen wird. Unserem Körper gelingt es nicht gewisse Stoffe abzubauen. Diese „ewigen Chemikalien“ bleiben in uns und können für eine Vielzahl von Krankheiten verantwortlich sein. Auf eine genaue Auflistung wird an dieser Stelle verzichtet. Das komplette Ausmaß zeichnet der Film in erschreckender Brillanz anhand von Robs steinigem Rechtsweg ab. Der Fokus liegt konstant auf Haynes Protagonisten. Wir erleben den steigenden Druck auf das Familienleben, den stagnierenden Berufsweg, der aufgrund der Langwierigkeit und dem Umstand der Zugehörigkeit in einem eigentlich der Chemieindustrie zugewandten Arbeitsverhältnisses, sowie die Folgen für das körperliche und seelische Wohlbefinden Robs hautnah mit.
Wo immer man sich befindet, die Welt scheint von Gelb-, Grau, und Brauntönen dominiert zu sein. Rob kämpft sich durch einen Schleier der Pestilenz, der vom präzise ausgearbeiteten Farbarrangement dicht gewoben wird. Die gebotenen Einstellungen werden so konstant von einer Farbdramaturgie geleitet, die das Gefühl eines kranken Systems verstärkt.
Traurige Realität im Gewand einer spannungsgeladenen Handlung bewirkt, dass die Verkettung an Vertuschungen uns mit noch mehr Entsetzen erfüllt als der Artikel aus dem Sonntagsmagazin der New York Times, auf dem der Film basiert. Einigen realen Akteuren wird übrigens in Form von Cameoauftritten Respekt gezollt.
Es ist immer zu begrüßen, wenn das Kino es vermag, Themenkomplexe von bedeutsamer Relevanz einem größeren Publikum erschließen zu können. Jeder Beitrag in einem obgleich auflagestarken Printerzeugnis, wird es mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht vermögen an die Durchschlagskraft einer großen Filmproduktion heranzureichen. So entsteht eine für die Gesellschaft lehrreiche Kombination, die mit filmischem Erzählen zu begeistern weiß. Selbst als rein fiktionales Erzeugnis, hätten wir es mit einem fantastischen Film zu tun. Das
großartig aufgelegte Ensemble, angeführt von Mark Ruffalo, zeigt uns das beruflich und persönliche Spannungsfeld auf, durch das die involvierten Personen schreiten müssen. Ein Schritt näher zur Gerechtigkeit bedeutet eine Abkehr von erstrebenswerten Zuständen in der individuellen Selbstverwirklichung. Famos unterstützt wird er von seiner Filmpartnerin Anne Hathaway. Ihre Ehefrau Sarah verkörpert das in seiner Erfülltheit gefährdete Privatleben Robs. Ein exzellenter Bill Camp als Farmer Wilbur erzeugt mit Ruffalo eine mitreißende Dynamik, in der er Rob stellvertretend für das Publikum immer mehr von der Möglichkeit einer verborgenen Bedrohung überzeugt, die unsichtbar auf seiner Farm für Trostlosigkeit in ihrer Endgültigkeit gesorgt hat.
Protagonisten wie Rob Billot sind Helden, die Opfer für das größere Allgemeingut bringen. Aber nicht nur Mark Ruffalo handelt heroisch. In einem der eindrücklichsten Momente des Justizdramas wird daran erinnert, dass eine soziale Klasse nicht über moralische Werte und dem Streben nach Recht entscheidet. Solch eine Erschütterung verankerter Weltbilder, die gefährliches Klassendenken mit einem nur auserwählten Teilen der Bevölkerung vorbehaltenem Anspruch auf essentielle Privilegien des Lebens verfestigen, ist notwendig. Damit man die Fragilität des Alltags nicht vergisst und bewahrt, was uns alle eint. Der Tod kommt für jeden, er sollte nur nicht durch menschliche Fahrlässigkeit verfrüht über Einzelne hereinbrechen.
FAZIT
VERGIFTETE WAHRHEIT schickt uns passend zu seinem Originaltitel -DARK WATERS- in dunkle Gefilde. Dabei schafft es das Werk von Todd Haynes, spannungsvolle Unterhaltung mit ernsten Hintergründen inmitten brillanten Schauspiels einzubetten. Der Kinobesuch entwickelt den visuell perfekt auf die Thematik abgestimmten Sog einer erschütternden Gerichtsverhandlung, bei der wir alle auf der Klägerbank Platz nehmen können.