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    First Cow
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    3,5
    Veröffentlicht am 7. Juli 2021
    WALKING ON THE MILKY WAY
    von Michael Grünwald / filmgenuss.com

    Denn die einen sind im Dunkeln und die andern sind im Licht und man siehet die im Lichte die im Dunkeln sieht man nicht. Bertold Brecht hat in seiner Dreigroschenoper mit Sicherheit etwas ganz anderes damit gemeint als ich es hier in Verbindung bringen will. Das Licht am Tage und in der Nacht macht sich Kelly Reichardt in ihrem besonders eigentümlichen Western nämlich auf diese Art zunutze. Denn Reichardt arbeitet mit den Mitteln, die ihr der Tag und die Nacht zur Verfügung stellen. Künstliches Licht gibt’s keines. Wenn es Nacht ist, ist es Nacht. Und wenn selbst der Mond nicht scheint, lässt uns die Regisseurin im Dunkeln. Doch im Dunkeln lässt sich so einiges anstellen. Wie zum Beispiel Kühe melken. Die Besinnung auf das, was von vornherein zur Verfügung steht, lehnt sich fast schon an die dänische Künstlerinitiative Dogma95 an, in denen Lars von Trier und Thomas Vinterberg ohne technischen Schnickschnack denkwürdige Filme machten. Reichardt geht den Weg weiter, Richtung Oregon. Dort, wo es nach Herbstlaub und feuchtem Waldboden riecht, wo einem der Duft von Pfifferlingen förmlich in die Nase steigt. Wir, die den europäischen Wald quasi vor der Tür haben, können da leicht auf eine Geruchsdatenbank zurückgreifen. Schon wird First Cow zu einem hautnahen Pirschen durchs Unterholz. Dann, auf einer nahen Lichtung, notdürftig zusammengeschusterte Holzhütten, Tendenz Bretterverschlag, glimmende Kochstellen, rückkehrende Jäger mit geschulterter Beute.

    Wir schreiben das Jahr 1820, westlichste Provinz, tief in den Wäldern. Der Vagabund Cookie Figowitz (John Magaro, u.a. The Umbrella Academy, The Big Short) zieht mit einer Gruppe Pelzjäger durch den Forst. Es sind die denkbar schlechtesten Zeiten für Biber. Aus aller Welt kommen die Menschen hierher, um ihr Glück zu versuchen. Sind es keine Biber, dann lockt das Gold. Oder eine andere Quelle, denn die scheinen unbegrenzt. Aus nichts kann alles entstehen. Man braucht nur Geschick. Oder eine Fügung des Schicksals. Letzteres scheint Figowitz zu widerfahren, da er eines Nachts auf den Flüchtigen Chinesen King Lu stößt. Er gibt dem Hungernden Essen, etwas zum Anziehen und einen Schlafplatz. Klingt fast schon nach Heiligem Martin. Einige Zeit später treffen beide abermals aufeinander, es ist Freundschaft (nicht Liebe) auf den zweiten Blick. Fu und Figowitz tun sich zusammen, hängen ihren Träumen von Ruhm und Reichtum nach, und haben tatsächlich auch eine brillante Geschäftsidee auf Lager. Wie wäre es, für Erste mal mit frittierten Backwaren die dörfliche Marktlücke zu schließen? Figowitz, gelernter Koch, kann das. Was allerdings fehlt, ist Milch. Kühe sind rar in der Gegend, einzig der Dorfchef hat eine auf der Wiese stehen. Die des Nächtens ja gemolken werden kann.

    Wir kennen alle diese gehaltvollen Mehlspeisen – auch bekannt als Gebackene Mäuse, nur ohne Hefe. Löffelweise in kochendes Öl getaucht, sind diese Leckereien außen knusprig, innen weich. Nach dazu mit Honig bestrichen und mit Zimt bestreut – und die Dinger gehen weg wie die warmen Semmeln. Ein Western, indem es ums Backen geht? Nur bedingt. Ein Western, indem sich um zwölf Uhr mittags niemand auf die Straße stellt, um die Rechnung zu begleichen? Mit Sicherheit. First Cow trollt mit dem Tempo eines lange unterwegs Gewesenen aus der Reihe herkömmlicher Versatzstücke und versucht, auf Grundlage des Romans von Jonathan Raymond, etwas ganz anderes zu erzählen. Eine Geschichte über Pläne, Ideen und Potenzial. In einem Land, das keine Grenzen kennt, dass so wild und unerschlossen scheint, als wäre hier jeder, der diese Breitengrade erreicht, ein Pionier. In diesem nach Kälte, Holz und Feuer riechenden Niemandsland, indem nebst Vertreter aus aller Herren Länder in völliger Entspanntheit die indigene Bevölkerung einen Teil der Gesellschaft bildet, ist der Wilde Westen ein Ort des erschöpften Durchatmens und Durchstartens. Kelly Reichardt ist zudem nicht zum ersten Mal in dieser Gegend. 2010 verschlug es schon Michelle Williams auf den Meek’s Cutoff, ebenfalls nach einem Drehbuch von Raymond. Nun, im Bundesstaat angekommen, erzählt sie in ihrem bereits 2019 produzierten Film die karge Geschichte einer kleinen, aber verhängnisvollen Gaunerei, konzentriert sich aber lieber auf ihre bemerkenswerte Fähigkeit, Impressionen aus vergangenen Zeiten einer fotografischen Galerie gleich zur atmenden, kuriosen und exotischen Bühne ihres Dramas zu machen. First Cow ist eine Reise in eine konsequente Finsternis, die naturbedingt Teil einer Welt ist, die sich der Mensch urbar macht.
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