In den vergangenen Jahren setzten mehrere Filme in der Kreation und Anwendung von Computertechnik zur Erschaffung virtueller Realitäten Meilensteine. George Lucas' „Episode I“ ließ gewaltige, so noch nie zuvor gesehene computergenerierte Armeen aufeinander losmarschieren, Zeichentrickgenie Don Bluth kreierte mit „Titan A.E.“ das erste Science-Fiction-Epos aus 20 Prozent zweidimensionalem Zeichentrick und 80 Prozent digitalen 3D-Effekten. Die Grenze zum reinen virtuellen Kinofilm durchstießen schließlich die Disney-Studios mit ihrem komplett am Bildschirm komponierten „Dinosaurier“. Nach den hyperrealistisch animierten Urzeitriesen war es nur noch ein kleiner Schritt zum nächsten ganz großen Durchbruch: Mit „Final Fantasy“ entstand der erste vollständige Spielfilm mit ausschließlich digital erschaffenen menschlichen Darstellern. Die Entwicklung, die letztendlich zu „Final Fantasy“ führte, fußt weniger auf konventionellen, mit digitaler Tricktechnik versetzten Filmgenres, sondern fast ausschließlich auf den technischen Errungenschaften zeitgenössischer Videospiele. Mit der gleichen Technik, nur weit weniger aufwendig, gestalteten viele Spielhersteller die von Release zu Release immer detailfreudigeren Filmsequenzen ihrer Produkte. „Final Fantasy“ geht meilenweit über alle diese Vorgänger hinaus: 150 Digitalkünstler und 200 Computeranimatoren waren vier Jahre am Werk, um diesen atemberaubenden Bildersturm der Animationstechnik in Szene zu setzen.
Einem Naturgesetz aller Verfilmungen von Computerspielen gehorchend verlässt der Film, der formal auf einem gleichnamigen Videospiel beruht, inhaltlich kaum konventionelles Terrain. Die Story ist ein sehr vorhersehbares, aber atmosphärisch ungeheuer dichtes und durchgängig stimmiges Patchwork zahlloser großer Science-Fiction-Klassiker. Die Geschichte der jungen, unerschrockenen Wissenschaftlerin Aki, die im Jahr 2065 die letzten Überlebenden der Menschheit vor monströsen außerirdischen Invasoren zu retten versucht, zitiert munter „Krieg der Sterne“, „Alien“, „The Cell“ und den bereits oben genannten „Titan A.E.“ rauf und runter. Die riesenhaften, luminiszenten außerirdischen Monster orientieren sich stark an den Bugs aus „Starship Troopers“, auch ihre menschlichen Gegner zeigen in ihren Panzerungen und der schweren Bewaffnung eine unübersehbare Affinität zu Paul Verhoevens Käferfilm. Vor allem dürften aber die von Howard Philipps Lovecraft für seine Cthulhu-Romane ersonnenen „großen Alten“ für die tentakel-, krallen- und klauenbewehrten Videospiel-Kreaturen und ihre Leinwand-Inkarnation Pate gestanden haben. Damit stellt sich die fast ausnahmslos aus Zitaten und Adaptionen bestehende Handlung in Korrelation zum Grundtenor des Ganzen: Wie der gesamte Film ist sie ein reines synthetisches Kunstprodukt, das seine Künstlichkeit in keinem Moment zu verbergen sucht, sondern statt dessen zum zentralen Sujet macht.
Die inhaltliche Charakterisierung der menschlichen Figuren ist ganz im Gegensatz zu ihrer photorealistischen optischen Umsetzung sehr eindimensional ausgefallen und lässt kaum ein Klischee aus, angefangen von der idealistischen, aber von einem dunklen Geheimnis umgebenen Heldin über ihren väterlichen Freund und wissenschaftlichen Mentor, den tapferen (und äußerst Ben-Affleck-ähnlichen) männlichen Protagonisten an ihrer Seite und dessen schwarzen, heldenmütigen und bis in den Tod loyalen Platoon-Sidekick. Der kriegslüsterne und rachsüchtige Militärbefehlshaber, der bedenkenlos zur Durchsetzung seiner Ziele die eigene Zivilbevölkerung opfert, trägt (natürlich) einen deutschen Namen und ist zumeist in einen langen, schwarzen Ledermantel gekleidet.
Dass dem Film trotzdem eine beeindruckende, stellenweise sogar überwältigend surreal-düstere Atmosphäre gelang, liegt in seiner hochästhetischen, sehr japanischen und stets auf das Visuelle konzentrierten Erzählweise, die weniger auf Stilmittel der amerikanischen Genrevertreter als vielmehr der großen japanischen Anime-Klassiker zurückgreift, insbesondere auf „Legend of the Overfiend“. Es sind die sich ständig steigernden Schauwerte, die „Final Fantasy“ ausmachen. Mit spektakulären Panoramen schufen die CGI-Techniker monumentale Ansichten außerirdischer Welten. Die Woge surrealistischer Bildkompositionen ergießt sich über den Zuschauer wie das Rote Meer über die Soldaten des Pharao. Die moderne Technik ermöglicht „Final Fantasy“ eine endlose Multiplikation der Bilder, die nebeneinander, gegeneinander und ineinander laufen. Schon die Eröffnungssequenz im postapokalyptischen New York entfaltet in eine bis ins Detail durchkomponierte Alptraumwelt, die sich bis zur finalen Auseinandersetzung gegen in außerirdischen Invasoren in einem Crescendo der Farben und Formen steigert.
Regisseur Hironobu Sakaguchi und dem japanisch-amerikanischen Produzententeam Jun Aida und Chris Lee ist nicht unbedingt in jeder Hinsicht ein Meisterwerk gelungen, aber ohne Zweifel ein optisch imposanter Bilderorkan, welcher den Animationsfilm endgültig ins 21. Jahrhundert katapultiert. Vor der Wucht der visuellen Eindrücke ist jede Handlung, jede Plausibilität und jeder tiefere Sinn zweitrangig. Und doch wird der Kinobesucher den Saal mit einem mehr als beklommenen Gefühl in der Magengegend verlassen: Erleben wir in diesen Tagen in der Technologie des Kinos eine ähnliche Zeitenwende wie zu Beginn des Tonfilms, wird er sich fragen. Hat Hollywood tatsächlich endgültig die Schwelle überschritten, hinter der nach Belieben auf Schauspieler aus Fleisch und Blut zu verzichtet werden kann?