Der bereits 2006 von der Aktivistin Tarana Burke ins Leben gerufene Hashtag #MeToo, damals vor allem über die Plattform MySpace verbreitet, erlebte im vergangenen Jahr ein bedauerlicherweise dringend nötiges Revival, als der US-amerikanische Filmproduzent Harvey Weinstein ins Zentrum eines ausgewiesenen Missbrauchsskandals geriet. Infolgedessen sahen sich nicht nur viele weitere Filmschaffende mit ähnlichen Anschuldigungen konfrontiert, #MeToo gelang es obendrein, auf die seit Jahrzehnten fraglos hingenommenen Machtverhältnisse in Hollywood aufmerksam zu machen: Nicht nur haben Männer in der Filmindustrie in der Regel deutlich mehr zu sagen als Frauen, sie verdienen auch mehr und erhalten prägnantere Rollen. Schauspielgrößen wie Reese Witherspoon, Patricia Arquette und Rosario Dawson, die sich der Bewegung angeschlossen haben, sind mit dafür verantwortlich, dass langsam aber sicher eine Sensibilität für Gender-Gleichberechtigung geschaffen wird. Zu dieser emotional aufgeladenen Debatte passt nun auch die Dokumentation „#Female Pleasure“ ausgesprochen gut.
Die Filmemacherin Barbara Miller, die sich bereits in ihrer von Amnesty International ausgezeichneten Doku „Forbidden Voices“ der weiblichen Revolution annahm, schildert fünf Fallbeispiele, um zu zeigen, dass immer noch in vielen Teilen der Gesellschaft wie selbstverständlich über den weiblichen Körper verfügt wird – sei es im Namen des Glaubens, aus falsch verstandener Scham oder blutrünstiger Traditionen. All diese Schicksale sind hochdramatisch und machen mitunter sogar wütend. Doch lassen sie sich nur schwer auf das Hier und Jetzt beziehen, so dass aus einem Plädoyer für die sexuelle Selbstbestimmung der Frau nach und nach ein Film gegen Religionen und Traditionen wird. Durchaus berechtigt, denn keine noch so archaische Tradition der Welt rechtfertigt die Verstümmelung weiblicher Genitalien. Aber bisweilen geht so auch der Fokus auf das Wesentliche verloren.
In „#Female Pleasure“ kommen fünf Frauen unterschiedlicher Herkunft zu Wort. Die jüdisch-orthodox erzogene Deborah wurde mit 17 Jahren verheiratet, gebar ein Kind und nahm wenige Jahre später all ihrem Mut zusammen, um gemeinsam mit ihrem Sohn die religiöse Gemeinschaft zu verlassen. Die in London aufgewachsene Muslimin Leyla musste sich mit sieben Jahren einer Genitalverstümmelung unterziehen und reist heute durch die ganze Welt, um Frauen und Männer rund um den Erdball über die psychischen und körperlichen Folgen dieses grausamen Rituals aufzuklären. Rokudenashiko dagegen kommt aus Japan und wurde vor Gericht gestellt, weil sie zu Kunstzwecken einen Abdruck ihrer Vagina machte. Doris Wagner trat mit 19 Jahren in ein katholisches Ordenskloster ein und wurde dort mehrfach Opfer sexueller Übergriffe. Vithika lebt in Indien als erstes Mitglied ihrer Familie nicht in einer arrangierten Ehe und kämpft für die sexuelle Aufklärung, die sich nicht bloß mit der Lust der Männer, sondern auch mit der von Frauen befasst…
Die in „#Female Pleasure“ porträtierten Frauen haben allesamt Furchtbares erlebt. Barbara Miller gelingt es, sich ganz behutsam auf jede Einzelne von ihnen einzulassen und gewährt ihnen genug Raum, um sie umfassend zu charakterisieren und nicht bloß zu Opfern der von ihnen durchlebten Ereignisse zu reduzieren. Dadurch geht es nie nur um eine einzelne Gewalt- oder Straftat, sondern immer auch um die Umstände, unter denen diese geschehen sind. Diverse sich gegen Frauen richtende Verse aus Bibel, Thora oder Koran, Aufnahmen aus Sexshops in Japan (die ausschließlich das männliche Geschlecht ansprechen), Zeilen aus indischen Gesetzestexten und Gerichtsurteilen zu Lasten von Frauen lassen ein Kaleidoskop weiblicher Unterdrückung entstehen. Dass Barbara Miller zudem auf jedwede Form der Effekthascherei verzichtet und die Aufnahmen lediglich von den Frauen selbst und nicht zusätzlich durch einen Off-Sprecher kommentieren lässt, unterstreicht die Ernsthaftigkeit in ihrem Anliegen. Da ist es besonders schade, dass „#Female Pleasure“ über seinen Status als Frauenporträt nicht so recht hinauskommt.
Miller gibt sich zwar alle Mühe, den jeweiligen Kontext zu dem, was die Protagonistinnen erlebt haben, möglichst weitreichend zu beleuchten, doch die Verknüpfung zum aktuellen Weltgeschehen bleibt aus. Zwar schildert ihr Film gleich zu Beginn einige zweifelhafte Werbekampagnen, in denen Frauen für Modemarken wie Alexander Wang zu Paketen geschnürt oder von einem Fuß auf den Boden gedrückt werden. Doch leider bleibt das so ziemlich die einzige Bezugnahme darauf, wie die in „#Female Pleasure“ geschilderten Schicksale indirekt auch mit dem Frauenbild von heute zusammenhängen. Lediglich in zwei, drei Sätzen fällt die Aussage, dass religiöse Frauenbilder der Ursprung allen Übels sind – ein Ansatz, den Barbara Miller noch viel weiter hätte ausführen können. So aber entsteht bisweilen der Eindruck, dass Frauen, die weder einer Religion angehören, noch in einem bestimmten Land leben oder das Opfer trauriger Traditionen geworden sind, keinerlei sexuelle Unterdrückung zu befürchten haben. Eine solche „Dann betrifft mich das doch nicht“-Reaktion könnte daher völlig ungewollt die eigentliche Intention des Films zunichtemachen.
Barbara Miller will mit „#Female Pleasure“ ein Plädoyer für das Recht auf Selbstbestimmung und gegen die Dämonisierung der weiblichen Lust durch Religion und gesellschaftliche Restriktionen kreieren. Das ist ihr gelungen, indem sie die Opfer selbst zu Wort kommen lässt und ein und dasselbe Problem auf ganz unterschiedliche Weise aufgreift. Schließlich haben die porträtierten Frauen alle ein Problem ähnlichen Ursprungs erlebt und leiden nun dauerhaft an den Folgen. Miller will aufzeigen, dass Frauen überall verfolgt, geächtet oder diffamiert werden, und stellt diese Beobachtungen und Recherchen in den Kontext unserer Gesellschaft. Letzteres gelingt ihr leider nur bedingt und auch der völlige Verzicht auf männliche Kommentare lässt nicht den Eindruck entstehen, Miller wolle mit ihrem Film tatsächlich etwas an den Zuständen ändern. Schließlich geht Feminismus alle etwa an. So ist „#Female Pleasure“ in erster Linie ein berührendes Porträt geworden, das viele Denkanstöße liefert, doch neue Erkenntnisse bleiben ebenso aus wie ein aufklärerischer Mehrwert.
Fazit: Mit „#Female Pleasure“ gibt Barbara Miller fünf Frauen eine Stimme, deren Geschichten berühren. Darüber versäumt es die Regisseurin allerdings wiederholt, die Schicksale mit dem Status Quo der Gesellschaft abseits religiöser Gemeinden zu verknüpfen. Und so wird wohl leider manche Frau die Scheuklappen bei diesem Thema aufsetzen – weil sie sich mit den Einzelpersonen nicht identifizieren kann. In „Embrace – Du bist schön“ gelang die Verbindung aus individuellen Schicksalen und gesellschaftsstrukturellen Problemen deutlich stimmiger.