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    Das Geheimnis von La Mancha
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    1,5
    enttäuschend
    Das Geheimnis von La Mancha

    Dann lieber Wandertag mit Windmühlenbesichtigung

    Von Sidney Schering

    Er ist der Protagonist des wohl berühmtesten Buchs der spanischen Literaturgeschichte: Don Quijote, der Ritter von trauriger Gestalt, nobler Melancholie und schwachem Realitätsbezug. Miguel de Cervantes’ gegen Windmühlen kämpfende Schöpfung hat längst nicht nur den Literaturbetrieb, sondern auch die Musik und die Malerei erobert. Selbst in Filmen hat Don Quijote bereits zahlreiche Male die Lanze geschwungen, wobei es nicht einer gewissen Ironie entbehrt, dass die gescheiterten Adaptionsversuche zumeist größere Schatten geworfen haben als die tatsächlich vollendeten Werke. „Das Geheimnis von La Mancha“ wird dem Namen Quijote nun ebenfalls kaum zu gesteigertem Filmruhm verhelfen. Wo sich andere aber an einem Übermaß an Ambitionen verhoben, leidet der Animationsfilm von Regisseur Gonzalo Gutierrez hingegen ausgerechnet an Ideenmangel.

    Alfonso Quijote (deutsche Stimme: Julian Janssen) ist elf Jahre alt. Wie schon sein berühmter Vorfahre Don Quijote hält er die Windmühlen seines Heimatortes La Mancha für lebendige Riesen. Allerdings versucht er nicht, sie zu besiegen. Stattdessen ist er überzeugt, dass es sich um gutmütige Wesen handelt, genauso wie bei seinen drei wortkargen, chaotischen (und imaginären) Begleitern – einem Trio aus in Jeans-Latzhosen gekleideten, weißen Häschen. Alfonso hat aber nicht bloß eine blühende Fantasie, sondern hegt auch eine verbotene Freundschaft: Er versteht sich blendend mit seinem Nachbarsjungen Pancho Panza, obwohl die Eltern der beiden Jungs dies gar nicht gerne sehen. Als ein gewaltiger Sturm aufzieht und der dubiose Geschäftsmann Carrasco (Philipp Moog) den Bewohner*innen der Stadt aggressiv Angebote für ihre Häuser macht, gehen Alfonso, Pancho und Alfonsos heimlicher Schwarm Victoria (Marina Blanke) den verdächtigen Offerten auf den Grund…

    Constantin Film
    Alfonso und Victoria lassen sich auch von dubiosen Grundstücksspekulanten nicht unterbuttern!

    Zynische Stimmen unken gerne, dass es Kindern im Kino völlig gleich sei, was ihnen vorgesetzt wird. Hauptsache, bunte Bilder bewegen sich und es gibt ein bisschen Geräuschuntermalung – das filmische Pendant zum Schlüsselbund, mit dem vor den Augen geklimpert wird. Dass das wahrscheinlich ziemlicher Quatsch ist, zeigt sich u. a. am langanhaltenden Wahnsinnserfolg von „Checker Tobi und die Reise zu den fliegenden Flüssen“. Dem gegenüber stehen wie am Fließband produzierte Animationsfilme, die für ein paar Wochen das Nachmittagsprogramm füllen und anschließend schnell in Vergessenheit geraten. Es braucht keine hyperaktive Fantasie, um sich auszumalen, dass „Das Geheimnis von La Mancha“ solch ein Schicksal ereilen dürfte. Denn der von Carlos Kotkin verfasste Trick-Tumult ist mehr witzlose Aneinanderreihung von Ereignissen, als eine Kaskade an pointierten Abenteuern, geschweige denn eine emotionale Geschichte über Freundschaft und Vorstellungskraft.

    So werden Konflikte oftmals nur kurz aufgebauscht und unmittelbar danach wieder beiseitegelegt. Beispielsweise droht die Freundschaft zwischen Pancho und Alfonso kurzzeitig an einem Missverständnis zu zerbrechen. Allerdings ist das Missverständnis selbst an Kinderfilm-Maßstäben bemessen an den Haaren herbeigezogen, während die zügige Wiedergutmachung in keinem Verhältnis dazu steht, wie dramatisch der Riss in ihrer Freundschaft kurz zuvor noch dargestellt wurde. Auch sind die Charaktere erschütternd eindimensional für einen Film, in dem Imagination ein zentrales Thema darstellt: Pancho behauptet einmal, er sei äußerst sarkastisch – hätte er dies nicht gesagt, wüsste der Verfasser dieses Textes nicht, was er über Pancho überhaupt schreiben sollte.

    Mangelndes Vorstellungsvermögen

    Victoria ist derweil ein Abziehbild des pink gekleideten, forschen Action-Mädchens, das trotzdem primär dazu da ist, vom Helden angeschmachtet sowie gerettet zu werden. Aber da sie auch einmal ihn rettet, können sich die Filmschaffenden einreden, kein ganz ausgelutschtes Trope zu zeichnen. Der verrückte Erfinder-Vater und die betont vernünftige Mutter fehlen in „Das Geheimnis von La Mancha“ auch nicht, ebenso wie der für Profit potenziell über Leichen gehende Immobilienhai. Es sind Klischees, die durchaus noch immer unterhalten können, wenn sie mit Schmiss umgesetzt werden – doch hier fehlen zündende Einfälle, weshalb auch der Stimmen-Cast keinerlei Gelegenheit erhält, seinen Figuren Leben einzuhauchen.

    Besonders eklatant ist allerdings das Fehlen einer Idee, wie man Alfonsos übersprudelndes Vorstellungsvermögen darstellen will: Über weite Strecken des Films spielt seine auf Hochtouren laufende Fantasie keine relevante Rolle, sondern äußert sich nur dadurch, dass ihm drei Häschen folgen. Sie lenken ihn nicht ab, sie trösten ihn nicht – und die von ihnen dargebotenen Musikeinlagen beschränken sich zumeist auf verkrampfte Rocknummern, die so klingen, als wären sie einzig für die begleitenden (Groß-)Eltern eingestreut. Wenn Alfonsos Realitätsverlust aber doch mal inhaltlich relevant wird, dann direkt so eklatant, dass sich die Vorstellungen des Jungen nicht länger als harmlose Hirngespinste eines missverstandenen Heranwachsenden abtun lassen.

    Constantin Film
    Don Quijote glaubte stets, dass die Windmühlen in Wahrheit Ungeheuer seien. Vielleicht hatte er damit gar nicht mal so Unrecht?

    Will man dem Film böse sein, begeht er somit wahlweise die Untat, Neurodiversität zu problematisieren oder schwere psychische Neurosen als etwas zu skizzieren, das man einfach aussitzen kann. Schaut man hierüber großzügig hinweg, so bleibt dennoch eine unbefriedigende, unvollständige Erzählung sowie ein ins Nichts führender Rückgriff auf die (sehr vage weitergesponnene) Inspirationsquelle des Films übrig.

    Der eine große verbliebene Pluspunkt ist so die ansehnliche Optik: Die Figuren mögen zuweilen erratisch gestikulieren und sich in anderen Passagen eher apathisch bewegen, aber das Produktionsdesign ist eine einheitliche Entladung verspielter Energie. Krumme Winkel und zahlreiche verworrene Kurven lassen dieses La Mancha wie einen einzigen, riesigen Abenteuerspielplatz (oder eine sehr spaßige Video-Rennspielstrecke) anmuten. Und nicht nur das Design überzeugt, auch durch plastisch-detailreiche Texturen und dramatisch-warme Lichtanimationen stechen die digitalen Schauplätze positiv hervor.

    Fazit: Klischeehafte Figuren und eine sich mit holprigem Erzählfluss entwickelnde Geschichte wie vom Reißbrett: Das Größte an „Das Geheimnis von La Mancha“ sind die Abenteuer, die man sich selbst während all des Leerlaufs in die wirklich hübsch animierten Hintergründe hineinfantasieren kann.

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