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    Mein Ende. Dein Anfang.
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Mein Ende. Dein Anfang.

    Zwischen "Memento" und Relativitätstheorie

    Von Lars-Christian Daniels

    Als die junge Filmemacherin Mariko Minoguchi auf die Idee zu ihrem Langfilmdebüt „Mein Ende. Dein Anfang.“ kam, steckte sie gerade – genau wie die weibliche Hauptfigur ihres Films – in einer mittelschweren Lebenskrise. Um den Kopf frei zu kriegen, flog sie nach Taiwan, mietete sich in einer 5er-WG ein und begann mitten im ostasiatischen Trubel mit der Arbeit am Drehbuch. Gerade einmal zwei Monate später hielt sie das filmreife Skript in den Händen – und man kann wahrlich nicht behaupten, dass die ungewöhnlichen Umstände ihrer Geschichte geschadet hätten.

    Ganz im Gegenteil: Mit ihrer ebenso bewegend wie verschachtelt erzählten Tragödie um eine junge Frau, die ihren Partner durch einen Schicksalsschlag verliert und in den Armen eines anderen Mannes Halt findet, hat Minoguchi eine unbedingt sehenswerte Genreperle und großes Gefühlskino geschaffen. Zugleich stellt die ausgefallene Struktur ihrer Geschichte einen mutigen Gegenentwurf zu den Erzählprinzipien deutscher Mainstream-Produktionen dar.

    Nora (Saskia Rosendahl) und Aron (Julius Feldmeier) - eine folgenschwere Begegnung.

    Die Supermarkt-Kassiererin Nora (Saskia Rosendahl) und der angehende Physiker Aron (Julius Feldmeier) sind seit zwei Jahren ein Paar: Nach einer zufälligen Begegnung in der U-Bahn haben sich die beiden ineinander verliebt und zusammen eine Wohnung bezogen. Aber von heute auf morgen wird dieses Glück jäh zerstört: Sie geraten in einen Banküberfall, bei dem Aron von einem der zwei maskierten Täter erschossen wird. Danach ist für Nora nichts mehr wie zuvor. Sie stürzt in eine tiefe Krise und kommt über den Verlust ihrer großen Liebe nicht hinweg…

    … bis sie durch eine weitere zufällige Begegnung in den Armen von Natan (Edin Hasanovic) landet. Obwohl er ein Fremder ist, hat Nora von Beginn an das seltsame Gefühl, ihn zu kennen. Auch Natan fühlt sich stark zu Nora hingezogen, hat momentan allerdings andere Sorgen: Weil er seinen Job als Nachtwächter verloren hat, kann er die Medikamente für seine kleine Tochter nicht mehr bezahlen, die an akuter lymphatischer Leukämie erkrankt ist…

    Albert Einstein mit einem Schuss Christopher Nolan

    Arons einleitende Ausführungen zur Verkettung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft legen schon in der ersten Filmminute die Basis für die ungewöhnliche Erzählstruktur, die uns in den folgenden knapp zwei Stunden erwartet. Die an Albert Einsteins Relativitätstheorie angelehnte und philosophisch angehauchte Grundidee, man könne aus Träumen, Déjà-Vus und dem Unterbewusstsein die Zukunft ablesen, ließe sich zwar auch chronologisch erzählen, doch Regisseurin und Drehbuchautorin Mariko Minoguchi hat sich aus gutem Grund für die verschachtelte Episodentechnik entschieden. Am ehesten vergleichbar sind die ständigen Zeitsprünge, die einer stringenten inneren Logik folgen und sogar in der Buchstabenfolge der drei wichtigsten Figurennamen abgebildet werden, mit Christopher Nolans Meisterwerk „Memento“, dessen verblüffender Twist auch erst durch die durcheinandergewürfelten Kapitel möglich wird.

    In „Mein Ende. Dein Anfang“ ist das ähnlich, wenngleich der Mindfuck-Faktor niedriger ausfällt: So unübersichtlich das Geschehen am Anfang noch anmutet, so klarer wird das Bild im Laufe der Zeit. Spätestens nach einer Stunde fällt der Groschen, wie die Dinge zusammenhängen und was Aron, Natan und Nora miteinander verbindet – die Karten liegen dann auch für Zuschauer auf dem Tisch, die im Genrekino nicht so zu Hause sind. Mit der Auflösung des Rätsels verliert das mit Thriller-Elementen durchsetzte Liebesdrama aber keineswegs seine Magie, der man sich bis zum Schluss kaum entziehen kann: Wir fühlen und leiden mit der trauernden Nora, wir hoffen und bangen mit Natan um seine Tochter und lernen den etwas entrückt wirkenden Aron erst gegen Ende des mit viel Melancholie durchzogenen Films – das zugleich den Anfang markiert – richtig kennen.

    Grandiose Hauptdarstellerin

    Während Julius Feldmeiers Spiel als verträumter Naturwissenschaftler ein wenig an seinen starken Auftritt in Katrin Gebbes „Tore tanzt“ erinnert und auch Edin Hasanovic („Schuld sind immer die anderen“) eine überzeugende Performance abliefert, gehört die Bühne ansonsten ganz der überragenden Saskia Rosendahl („Werk ohne Autor“), der ihre anspruchsvolle Hauptrolle die gesamte Bandbreite an Emotionen abverlangt. Rosendahl meistert diese Herausforderung mit Bravour: In ihrer Nora finden wir die wichtige Identifikationsfigur, die die zwei Hauptstränge der Handlung – das Leben vor und nach Arons Tod – miteinander verbindet. Sie führt uns durch die stets stimmungsvoll, aber nie kitschig inszenierte Geschichte, die uns ein ständiges Wechselbad der Gefühle durchleben lässt.

    Während wir uns in einem Moment noch über Natans bemühte Karaoke-Version von Rio Reiser amüsieren (Nora: „Du bist nicht besonders gut.“ – Natan: „Du bist nicht besonders nett.“) oder uns bei einem taktlosen Anruf einer Bankangestellten fremdschämen, treffen uns andere Szenen wie ein Vorschlaghammer – zum Beispiel, wenn Natan realisiert, welche schwerwiegende Folgen ein Fehltritt an seinem Arbeitsplatz hat oder ihm die Ärztin die düsteren Aussichten für die Genesung seiner Tochter illustriert. Die verspielten Momente zwischen Nora und Aron, beispielsweise bei der Diskussion, ob man denn nicht zusammenziehen wolle, berühren und verzaubern zugleich – und spätestens, wenn Aron im Supermarkt auftaucht und an Noras Kasse wie selbstverständlich eine Packung Haferflocken für sie kauft, haben wir den jungen Physiker ins Herz geschlossen.

    Natan (Edin Hasanovic) tut alles für seine Tochter.

    Zwei Nebenfiguren kommen in Minoguchis Langfilmdebüt aber etwas zu kurz: Noras Mutter Mecki (Jeanette Hain), die aus ihrer talentierten Tochter in jungen Jahren eine „Eisprinzessin“ formen wollte und dafür finanzielle Risiken auf sich genommen hat, gestehen die Filmemacher nur eine einzige Szene zu – und auch Natans Partnerin Luise (Michelle Barthel) erhält weniger Kamerazeit, als es der Charakterzeichnung und dem Ausloten der angeknacksten Beziehung zum umtriebigen Natan gut tut. Solche Leerstellen im Plot kann man natürlich auch positiv sehen, bieten sie doch Spielraum für eigene Interpretationen – und gerade bei einem so magisch anmutenden, dabei aber stets in der Realität geerdeten Film wie „Mein Ende. Dein Anfang“ muss ja auch nicht alles auserzählt werden.

    Fazit: Berührend und tragisch, mitreißend und magisch: Mariko Minoguchis Langfilmdebüt bietet stimmungsvolles Gefühlskino mit einer überragenden Hauptdarstellerin und einem angenehm unorthodoxen Drehbuch.

    Wir haben „Mein Ende. Dein Anfang.“ beim 30. Kinofest Lünen gesehen.

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