Ich persönlich widerspreche der Kritik von Filmstarts entschieden. Zu keiner Zeit hatte ich das Gefühl, dass hier auf Horror im filmischen Sinn abgezielt wird!
Meine Erwartungen an einen Spielfilm, der sich ein reales Attetat wie dieses zum Thema nimmt, beschränken sich weitgehend auf die Befürchtungen, dass in erster Linie Voyeurismus, Sensationslust und "Gaffen" bedient wird. Ich persönlich schaue mir durchaus auch reale Aufnahmen von schlimmen Ereignissen an - ich kann nicht sagen, dass mir das einen Kick gibt, ich fühle mich vielmehr in solche Situationen hinein und hinterfrage, wie ich in einer vergleichbaren Situation agieren würde - und wie ich es sollte. Beispielsweise habe ich mir viele Male das Station Nightclub Fire angesehen, die Valley Parade Katastrophe, die Heysel Katastrophe, Hillsborough... wenn ich an neuen Orten bin, gelten oftmals meine Gedanken möglichen Fluchtwegen für verschiedene Szenarien aufgrund dieser passiven "Erlebnisse", bei denen ich mir durchaus aufwendig den genauen Hergang heraussuche und verinnerliche.
Und ich muss sagen: meine Befürchtungen, was diesen Spielfilm angeht, haben sich kein Stück weit bewahrheitet.
Wir erleben die Geschehnisse aus der Perspektive einer einzelnen Person
(bis zu ihrem Tod gegen Ende)
in etwa ab dem Zeitpunkt, als der Täter die Insel erreicht. Wer sich mit dem Tathergang befasst hat weiß, dass der Täter die Insel als Polizist betreten hat und als solcher in Empfang genommen wurde, eine Gruppe Jugendlicher um sich versammelt hat, bevor er den ersten Schuss abgab. An der Stelle deutet sich bereits an, was die Stärke dieses Films ist: er bleibt nahezu zu jeder Zeit glaubwürdig. Als die ersten Schüsse fallen, werden sie von den Jugendlichen eher peripher wahrgenommen - es erfolgt nur eine schwache unmittelbare Reaktion, für wenige Sekunden setzt ein Jugendlicher das Geschäker mit der Hauptfigur fort, ein paar andere des Grüppchens blickt skeptisch, stellt die Frage in den Raum, ob das knallen von Böllern kommt (eine ähnliche Reaktion, wie ich sie etwa auch bei der Live-Übertragung des Spiels Deutschland-Frankreich am 13.11.2015). Unklarheit auch dann noch, als einige Jugendliche panisch von Richtung Anlegestellung her gerannt kommen. Innerhalb von Sekunden, die sich wie Minuten anfühlen, verstärkt sich der Verdacht, dass hier schlimmes geschieht, immer mehr.
In der Folge erleben wir die Enge im Innenraum des Hauphauses zusammen mit der Ungewissheit bei jeder Silhouette vor der Eingangstür, ob ein Flüchtender oder ein Angreifer im Begriff ist das Haus zu betreten. Anschließend die Flucht in den Wald, den ich mir immer sehr viel dichter vorgestellt habe. Im Film wird schnell klar, dass der Wald keinen besonders guten Sichtschutz bietet und man ca. 50 Meter weit gute Sicht hat. Trotzdem versucht sich die Gruppe zu verstecken, indem sie sich hinter eine kleine Böschung legt - eine Lage mit relativ wenig Überblick und ebenso wenig Schutz. Unregelmäßig, aber ziemlich häufig rennen einzelne Jugendliche oder kleine Grüppchen in der Nähe vorbei, die Schüsse lassen sich nur schwer orten, die Lautstärke variiert - der oder die Täter sind in Bewegung. Ein Junge, der zur Gruppe stößt und (offenbar kein eigenes) Blut im Gesicht hat, erzählt, dass von der Polizei geschossen wird. Erneut kommt sehr deutlich diese absolute Ungewissheit eindringlich rüber, keiner weiß was los ist, keiner weiß, wie viele Täter auf der Jagd sind. Und keiner weiß wirklich, in welche Richtung der oder die Täter sich gerade bewegen. Man hat nur das dumpfe Gefühl: sobald man merkt, er kommt näher, ist ein Wechsel des Verstecks unbemerkt wohl kaum zu realisieren.
Als die Gruppe sich in Bewegung setzt, um den Standort zu wechseln, beschließt die Hauptfigur zu den Zelten zurückzukehren, um ihre Schwester zu suchen - das mutet erstmal konstruiert an, ist für mich aber völlig nachvollziehbar: die Situation ist kaum zu durchschauen, der Wald bietet wenig Schutz und Rettung ist nicht wirklich in Sicht. Nachvollziehbar, zumindest die liebsten Menschen, die vor Ort sind, suchen zu wollen.
Die Szene, in der die Hauptfigur einer schwer Verletzten beisteht, ist von beiden Darstellerinnen sehr eindringlich und gut gespielt, die Hauptfigur hat den Impuls, nicht zu bleiben um Hilfe zu suchen, wird aber angefleht, nicht zu gehen - sie hadert, bringt es nicht über sich zu gehen und bleibt bei dem Mädchen. Irritiert hat mich in der Szene der rote Rauch, ich habe nie davon gelesen, dass der Täter Rauchgranaten oder ähnliches verwendet hat - seis drum.
Die Hauptfigur geht die Küste hinab ans Ufer, um dort Schutz zu suchen. Sie wird von einer Gruppe in einer Felsspalte weggeschickt, weil sie nicht mehr hineinpasst und man fürchtet, dass sie gesehen wird und das Versteck so verrät - nachvollziehbar. Die Idee, ans Festland zu schwimmen, wird aufgrund einer Leiche im Wasser verworfen - ich persönlich hätte denke ich dennoch diesen Weg versucht, kann aber auch verstehen, wenn man sich dagegen entscheidet (zumal es sich, so wie ich die Kameraführung mit einer Karte der Insel "mitverfolge", um die Nordküste der Insel handelt - von dort loszuschwimmen bedeutet entweder noch gute 100 Meter in Ufernähe parallel zur Inselküste zu schwimmen und dann noch 600 Meter vor sich zu haben oder direkt von der Insel richtung Norden - etwa 1,4 Kilometer weit).
Auf weitere Szenen gehe ich inhaltlich nicht mehr ein, aber die Beklemmung wird durchgehend aufrecht erhalten, da weiterhin in unregelmäßigen Abständen Phasen von Schüssen kommen, die übrigens entgegen der Kritik von filmstarts durchaus nicht übertrieben dargestellt sind - wer mal eine Schießanlage betreten hat weiß, wie durchdringend laut so ein Schuss ist - auch in vielen Aufnahmen von Kriegsgebieten ist gut erahnbar, wie sich das anhört.
Auch den Vorwurf, dass der Täter nicht so explizit gezeigt wird, kann ich nicht ganz nachvollziehen. Mir kommt er damit nicht wie eine übernatürliche Bedrohung vor, bloß wie die übermächtige Bedrohung, die er nunmal darstellte. Es gab kaum eine Chance, sich zur Wehr zu setzen. Wo man sonst immer denkt, dass ein halbwegs koordinierter und wagemutiger Angriff mehrerer Personen auf einen einzelnen Täter aussichtsreicher ist als die Flucht, wird hier sehr deutlich, dass das keine echte Option ist - zu übersichtlich ist das gesamte Gelände, während gleichzeitig zu wenige Aussichtsreiche Fluchtwege innerhalb der Insel zu finden sind - und außerhalb nur eine weiter Distanz schwimmend infrage kommt. All das vermittelt dieser Film sehr eindringlich - insbesondere wenn man sich eine Luftaufnahme der Insel anschaut. Zwar spielt sich die gesamte gezeigte Handlung ungefähr im nordwestlichen Drittel (etwas weniger) ab, der Rest der Insel bietet allerdings noch weniger Schutz, da diese Areale aus neben dem Zeltplatz 4 weiteren Lichtungen besteht (2 davon etwa so groß wie ein halbes Fußballfeld, die beiden anderen kleiner, eine davon aber nahezu ohne Abgrenzung zu einer der großen Lichtungen) sowie einer kleinen Bucht - zudem fällt die Insel dort flach ab, es gibt keine Felsnischen, die Schutz bieten, das Ufer ist gut einsehbar und schnell erreichbar. Einzig das Waldstück südöstlich des Zeltplatzes bietet ein klein wenig mehr Waldfläche, aber auch nicht bedeutend viel mehr - zudem gibt es hier mehr Richtungen, aus denen der Täter kommen kann, da es nur ein kleines Stück Küste gibt und der Rest von Lichtungen und der Bucht umgeben ist. Kurz gesagt: die Insel ist verdammt klein, um sich fast eineinhalb Stunden vor einem bewaffneten Mörder zu verstecken, dessen Ziel es ist, möglichst viele Menschen zu töten.
Zugegebenermaßen habe wurde ich auf den Film aufmerksam aufgrund seiner Machart - und ja, ich frage mich durchaus, wie das technisch bewerkstelligt wurde, ich glaube kaum, dass das wirklich bloß eine einzige Aufnahme ist (und schnelle Kameraschwenks eignen sicht ja immer für unauffällige Tricksereien), aber ich konnte keinen Konsistenz-Fehler entdecken, bei jedem Schwenk zurück hat sich die Szene so präsentiert wie zuvor. All das sind aber Dinge, die ich erst nach dem ersten Durchgang beachtet habe. Den Film erstmalig zu sehen war durchaus ein Erlebnis, extrem eindrücklich und weit von dem entfernt, was ich einen Horrorfilm nenne - dafür ist er zu nüchtern, indem er eben auf Schnitte oder künstliche Geräusche verzichtet ebenso wie auf musikalische Untermalung (eine Szene, in der leiste gesungen wird, mal ausgenommen).
Mein Fazit: Der Film erfüllt durchaus einen Zweck: er vermittelt sehr sehr nah, wie die Situation für 500 Menschen auf der Insel für beinahe eineinhalb Stunden war. Angst, Ungewissheit, ruhige Momente, in denen diese Angst in den Gedanken rast, ebenso wie panische Momente, wenn die Gefahr ganz nah ist und die Notwendigkeit zur Flucht genau zu diesem Zweck etwas auslöst: Adrenalin-Ausstoß. All das ist mit etwas Phantasie und Empathie unglaublich deutlich zu spüren. Mir hat der Film damit ungeheuren Schrecken vermittelt, aber nicht den "Geisterbahnschrecken", den Spielfilme sonst auf mich ausüben, sondern einen viel echteren, ursprünglicheren Schrecken. Einen von der Art, bei dem ich glaube, dass ich in einer vergleichbaren Situationvon den Eindrücken etwas weniger überrumpelt werde - und somit ein klein wenig besser die Übersicht behalten kann. Ich will den Film damit nicht zu einem Survivaltraining hochstilisieren, aber ich habe den Eindruck, dass ich nun besser mit den Opfern mitfühlen kann als vorher.