Das vor allem von Dario Argento („Rosso – Farbe des Todes“) und Mario Bava („Blutige Seide“) geprägte italienische Horrorkino der 1960er bis 1980er Jahre erlebt momentan ein kleines Revival. Neben dem aktuell heiß erwarteten „Suspiria“-Remake von „Call Me By Your Name“-Regisseur Luca Guadagnino gab es da in den vergangenen Jahren etwa auch die Giallo-Stilübungen „Amer“ und „The Strange Colour Of Your Body's Tears” von dem belgischen Regie-Pärchen Hélène Cattet und Bruno Forzani. Nun kommt einer der interessantesten Beiträge zu dieser Genre-Wiederbelebung durchaus überraschend aus dem sonst so genrescheuen Deutschland: Der Dämonen-Thriller „Luz“ ist die Abschlussarbeit von Tilman Singer an der Kunsthochschule für Medien in Köln und ist durch und durch vom Giallo-Kino inspiriert. Das audiovisuelle Feuer, das er in seinem Leinwanddebüt entfacht, lässt den Zuschauer zwar mit jeder Sekunde ratloser im Kinosaal zurück, entfaltet dabei aber auch eine Sogwirkung, der man sich – so abgegriffen diese Floskel auch klingen mag – einfach nicht entziehen kann.
In einer versifften Bar trifft der Polizeipsychologe Dr. Rossini (Jan Bluthardt) eines Nachts auf die geheimnisvolle Nora (Julia Riedler). Diese erzählt ihm von ihrer besten Freundin Luz (Luana Velis), die eine bewegte Vergangenheit hinter sich hat. Nach einem schweren Unfall ist sie nicht mehr dieselbe und Nora bittet ihre Bekanntschaft, hinter Luz‘ Geheimnis zu kommen. Als Dr. Rossini wenig später zur Polizeiwache gerufen wird, findet er dort die traumatisierte Luz vor. Mithilfe von Hypnose will er sich in ihre Psyche hineinversetzen und die Minuten vor dem Unfall rekonstruieren. Dieses Vorhaben gelingt tatsächlich, doch plötzlich ereignen sich vor den Augen von Rossinis Kollegin Bertillon (Nadja Stübiger) und dem Übersetzer Olarte (Johannes Benecke) grauenvolle Ereignisse. Ohne sein Wissen hat Nora einen Dämon in Dr. Rossini übertragen und der hat mit Luz nun seine ganz eigenen Pläne…
Diese Synopsis fasst allenfalls grob zusammen, worum es in „Luz“ inhaltlich geht - und es wäre nicht verwunderlich, wenn Zuschauer im Anschluss an den Film ganz andere Schwerpunkte setzen würden. Ohnehin geht es bei „Luz“ im Wesentlichen um die Inszenierung und weniger um die Story. Das wird bereits in der allerersten Szene deutlich, als sich eine junge Frau, von der wir später erfahren, dass es die titelgebende Luz ist, im Schneckentempo ins Bild schleicht - zunächst zu dem penetranten Knistern einer leerlaufenden Schallplatte und anschließend zu einer simplen Synthie-Tonabfolge, die dem Zuschauer mit voller Wucht ins Gehirn hämmert. Obwohl die immer noch schleichende Frau nichts anderes tut, als sich am Snackautomaten einer Polizeiwache etwas zu trinken zu holen, zieht einen „Luz“ allein schon durch dieses anachronistische Zusammenspiel aus harmloser Bildabfolge und bedrohlicher Klangkulisse sofort in seinen Bann.
Die einprägsame, immer wieder ebenso spannende wie unheilvolle Akzente Bedrohlichkeit setzende Musik von Komponist Simon Waskow sowie die kontrast- und farbenreichen Bildsprache von Kameramann Paul Feitz sorgen schon auf audiovisueller Ebene dafür, dass der Bezug von „Luz“ zum italienischen Horrorkino vergangener Dekaden klar auf der Hand liegt. Wenn man sich in Liebhaberkreisen längst zu Klassikern avanciete Filme wie Lamberto Bavas „Delirium“ ins Gedächtnis ruft, dann passen sogar die betont hölzern-unnatürlichen, bisweilen jede Menge Fragezeichen hinterlassenen Dialoge perfekt ins Bild, wenn sie das ohnehin schon abgedrehte Leinwandgeschehen noch eine Spur kurioser wirken lassen. Wenn sich Dr. Rossini etwa in das Unterbewusstsein seiner durch einen Autounfall schwer traumatisierten Patientin Luz hineinversetzt, springt die Handlung immer wieder zwischen dem Verhör auf der Wache und dem Unfall im Taxi hin und her. Zunächst lassen sich die Erzählebenen noch klar voneinander unterscheiden, doch je weiter „Luz“ voranschreitet, umso stärker verschwimmen die Grenzen, bis man schlussendlich überhaupt nicht mehr weiß, ob man sich als Zuschauer nun gerade auf der Wache oder im Taxi befindet.
Dennoch ist vor allem der grandios exzentrisch aufspielende Jan Bluthardt („Tatort: Der Tod ist unser ganzes Leben“), dessen Hemmungslosigkeit den Film bis zur Schluss prägt. Die regelmäßigen Ausraster des Psychologen Dr. Rossini sorgen nicht bloß bei seinen Kollegen Bertillon und Olarte für Entsetzen, ihre wachsende Furcht überträgt sich auch auf das Publikum. Irgendwann steht nur noch die Frage im Raum, wie weit dieser Irre da wohl noch gehen wird, um – beflügelt von seinem inneren Dämon – an jenes Wissen zu gelangen, auf das er es abgesehen hat. Was Luz‘ aufsehenerregende Vorgeschichte in einem chilenischen Kloster damit zu tun hat, welchen Verdienst die mysteriöse Nora an den Ereignissen trägt und wie der Unfall überhaupt zustande kam, beantwortet Tilman Singer am Ende allenfalls vage und lässt stattdessen viele Fragen offen. Das macht aber nichts, denn letztlich verstärkt das nur die albtraumhafte Vision und den surrealistischen Rausch, in dem die Bilder, die Geräusche und die Story hier zu einer Einheit verschmelzen, in der das eine nicht ohne das andere funktioniert.
Fazit: Regie-Newcomer Tilman Singer gelingt mit „Luz“ ein hochästhetischer Thriller im Stile klassischer italienischer Horrorfilme, in dem sich die Musik, die Bilder und die betont lückenhafte Story zu einem beispiellosen Faszinosum zusammenfügen.