Eines der vielen großen Probleme Brasiliens ist die ungleiche Vermögensverteilung seiner gut 200 Millionen Einwohner. Das durchschnittliche Pro-Kopf-Vermögen liegt bei knapp 18.000 Dollar, trotzdem besitzen über 70 Prozent der Bevölkerung weniger als 10.000 Dollar. Anhand dieser Zahlen lässt sich erahnen, wie stark in Brasilien die Schere zwischen Arm und Reich auseinandergeht. Mit dieser ernsten Thematik im Hinterkopf inszenierte Regisseur und Drehbuchautor Guto Parente („A Misterosa Morte de Pérola“) einen Kannibalen-Horrorfilm, der neben einer Menschen verspeisenden High Society noch allerhand politischen Input vorweisen kann. In „The Cannibal Club“ frisst die Oberschicht die Unterschicht buchstäblich auf und versucht damit, auf ihre Weise das Land von Arbeitslosen, Migranten und anderen vermeintlich Nutzlosen zu säubern. Das Ergebnis ist genau so, wie dieser Vorgeschmack klingt: blutig, brutal und richtig böse. Und hin und wieder auch komisch – wenngleich unfreiwillig.
Gilda (Ana Luiza Rios) und Otavio (Tavinho Teixeira) haben es geschafft. Beide gehören zu Brasiliens High Society und verbringen den lieben langen Tag vornehmlich damit, am Pool abzuhängen und Fleisch zu futtern. Woher genau dieses Fleisch kommt, ist ihr wohlbehütetes Geheimnis. In der Abgeschiedenheit ihrer luxuriösen Finca haben sie nämlich seit Jahren einen erlesenen Club aufgebaut, der seine Mitglieder mit frischem Menschenfleisch versorgt. Das geht lange Zeit gut, bis ein Zwischenfall das Paar auf eine harte Probe stellt und ihr Treiben droht, an die Öffentlichkeit zu dringen …
Bereits die Eröffnungsszene von „The Cannibal Club“ gibt den rauen Ton vor, der die nächsten 80 Minuten vorherrschen wird: Während Gilda einen ahnungslosen jungen Mann verführt, schleicht sich Otavio mitten im Akt an das Opfer heran und spaltet ihm mit einer Axt den Schädel. Das ist noch längst nicht alles: Als ihr Mitternachtssnack auf den blanken Brüsten seiner Bettgespielin ausblutet, erreicht Gilda endlich ihren Höhepunkt. Und Otavio spritzt auch noch einmal ordentlich ab, bevor er sich daran macht, die Leiche weiterzuverarbeiten. Das Paar hat seine Tötungsroutine längst zu einer sexuellen Choreographie erhoben und da ist es kein Wunder, dass man in „The Cannibal Club“ mehr Brüste als Gedärme sieht. Wenn die Ehegatten die Leiche anschließend zerlegen, schmackhaft zubereiten und sich beim darauffolgenden Abendessen über ihre Zukunftspläne unterhalten, bemerkt man schnell die Normalität, die Guto Parente mit seiner Inszenierung anstrebt. Seine Protagonisten sind keine Serienkiller im Rausch. Stattdessen ist der Reinigungsprozess an ihrem Land, als welchen Gilda und Otavio ihre Morde begreifen, für sie zur Routine geworden. Nur hin und wieder sorgt das sexuelle Vergnügen dabei für Abwechslung.
Auch abseits ihres Kannibalenlebens lassen Gilda und Otavio kein gutes Haar an ihrem Umfeld. Nur unter ihresgleichen fühlen sich die beiden wohl, etwa auf einer schicken Abendveranstaltung für die Reichen und Schönen. Doch schon ein Blick auf die Dienstmädchen führt bei Gilda zu abwertenden Kommentaren. Eines ist klar: Die oberen Zehntausend haben in „The Cannibal Club“ den Blick auf die Realität längst verloren. Zu verlieren scheint aber auch der Regisseur den Blick fürs Wesentliche, zumindest gelegentlich. Die politischen Seitenhiebe sitzen, doch trotz der übersichtlichen Laufzeit von gerade einmal 81 Minuten zieht sich sein Film etwas hin. Vor allem, weil die Kannibalen letztlich nur eine untergeordnete Rolle spielen und Parente stattdessen lieber einmal mehr betont, was er mit seinem Film aussagen möchte. Neben der eindringlichen Eröffnungsszene gibt es daher nur noch zwei weitere Momente, in denen überhaupt Menschen verspeist oder zum Verzehr vorbereitet werden. Jede dieser Szenen ist imposant geraten und auf ihre Weise einzigartig (es werden sogar Erinnerungen an die Sex-Orgien aus Stanley Kubricks Meisterwerk „Eyes Wide Shut“ wach). Doch wer sich von „The Cannibal Club“ das große Schlachtfest erhofft, wird enttäuscht.
Im starken Kontrast zu der ambitionierten Aussage von „The Cannibal Club“ stehen neben der überwiegend einfallsarmen Inszenierung (Kameraarbeit und Schnitt beschränken sich auf ein Minimum an künstlerischem Anspruch und wirken eher wie eine TV-Produktion) vor allem die Schauspielleistungen. Sämtliche Darstellerinnen und Darsteller agieren theatralisch und betreiben Overacting auf B-Movie-Niveau. Das macht den Film auch abseits seiner schwarzhumorigen Spitzen (etwa im unverhofften Finale) hin und wieder unfreiwillig komisch und lenkt zu sehr davon ab, dass Parente mit seinem Film eigentlich eine sehr treffsichere Gesellschaftssatire liefert, die eben im Gewand eines erotischen Kannibalenfilms daherkommt.
Fazit: Dem Brasilianer Guto Parente gelingt mit „The Cannibal Club“ ein faszinierender Genremix, mit dem er die Missstände in seinem Land anprangert und dabei auf sehr kreative Weise Elemente des Kannibalen-Horrors einstreut. Durch die manchmal unbeholfene Inszenierung und den überambitionierten Cast rutscht der Film trotz nobler Intention allerdings hin und wieder in Trash-Gefilde ab.