DIE EHE NACH DEM AUS
von Michael Grünwald / filmgenuss.com
Von einem Moment auf den anderen kann es zu Ende gehen. Allerdings nicht gleich das ganze Leben, aber ein Leben zu zweit. Da möchte man schon meinen: das ist so gut wie – wenn der oder die eine an dem oder der anderen hängt, umgekehrt aber nicht. Im britischen Ehedrama Wer wir sind und wer wir waren (im Original Hope Gap – ein Titel, der sich auf eine in Südengland gelegene Klippe inklusive Gezeitenzone bezieht) fällt die gute Annette Bening aus allen Wolken, als ihr Gatte eines Morgens nach dem Kirchgang verkündet, er werde fortgehen. Wie fortgehen, fragt natürlich die Gattin – und weiß gar nicht, worauf ihr Gegenüber anspielt. Fortgehen, zu einer anderen. Obwohl das Verlassen des gemeinsamen Haushalts nicht schon reichen würde, gibt’s obendrauf noch den Ehebruch mit einer natürlich jüngeren. Dabei ist der knochentrocken-sympathische Bill Nighy als Edward ein Langweiler, der stets am Computer hängt, um das Wikipedia aufzufüllen. Beide haben sich auseinandergelebt, was prinzipiell aber noch kein Grund sein muss, sich nicht nochmal annähern zu können. Aber Edward macht ernst. Und Minuten später sitzt Grace allein da. Zumindest hat sie noch ihren Sohn, der sie auffängt. Doch der sitzt bald zwischen den Stühlen, will sich aus dieser Misere heraushalten und beiden gerecht werden, was fast schon ein Ding der Unmöglichkeit scheint.
Man möchte meinen, die malerische Küste mit der sanft ansteigenden grünen Wiese, die dann abrupt an einer wuchtigen Kalksteinklippe endet – die man auch hinunterspazieren kann bis zum Wasser – man möchte meinen, diese Landschaft würde die Seele so sehr besänftigen wie in so mancher melodramatischen Bellestristik. Das tut es in diesem, aus einer gewissen Distanz betrachteten Familiendrama nur bedingt. Das Malerische einer Welt ist nur noch das Echo aus einem anderen Leben. Den Schock, die Trauer und die plötzliche Einsamkeit weiß Annette Bening zu empfinden. Dabei verkörpert sie keine duckmäuserische, konservative Ehefrau, sondern eine vielerlei interessierte, geistig jung gebliebene Individualistin, die mit Kränkungen vielleicht besser umgehen kann, diese aber dennoch erfahren muss. Eine Beobachtung, die ohne dramaturgische Überhöhung auskommt – was in solchen Filmen auch leicht passieren kann. William Nicholson, Drehbuchautor für Werke wie Shadowlands oder Gladiator, hat sich mit diesem Drama erstmals auch die Regie zur Brust genommen. Man merkt – der gute Mann ist ein analytischer, besonnener Denker, dem nichts ferner liegt als seinem Publikum zwischenmenschliche Beziehungen in Form eines emotionalen Blumenstraußes zu überreichen. Viel näher liegt ihm das kurze, vom Wind zerzauste Gras und die Gezeitentümpel, in denen sich allerlei Weichtiere tummeln.
Wer wir sind und wer wir waren ist eine Art Dreiecksgeschichte – zwei Elternteile, ein Kind. Das Kind ist erwachsen, hat selbst Beziehungsprobleme. Und bekommt als solches die wohl schwierigste Rolle aufgebrummt, die man aufbrummen kann: den Spagat zwischen zwei gleichsam geliebten Menschen zu meistern und dabei keine Partei zu beziehen. Zum Glück muss er sich als Minderjähriger nicht entscheiden, bei wem er leben möchte. Ein Unding für den Nachwuchs. Da die Rolle von Josh O’Connor als Sohn Jamie wohl die interessanteste des Films darstellt, wäre es noch spannender und aufschlussreicher gewesen, diesen von vornherein aus der Sicht des Sohnes zu erzählen anstatt den Fokus auf Annette Bening zu legen. Der Einblick in die Welt eines verlassenen Menschen enthält keine neuen Aspekte – wie es dem geht, der die Familie erst zur Familie gemacht hat, hätte da schon anderes zu berichten. Nicholson nimmt diese Sichtweise sehr wohl auch wahr. Vielleicht nicht in der richtigen Dosis, aber immerhin.
Genau das macht Wer wir sind und wer wir waren auch interessant, neben Benings variabel gestalteten Versuchen, ihr Leben wieder auf Schiene zu bringen. Dabei fallen weise, alltagsphilosophische Worte und britische Besonnenheit ebnet den tragikomischen Pfad zum Neuanfang.
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