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    Tod auf dem Nil
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Tod auf dem Nil

    So ein Nil-Dampfer macht einfach nicht so viel her wie der Orient-Express

    Von Sidney Schering

    Die Filmgeschichte wiederholt sich: 1974 wurde aus Agatha Christies Kriminal-Klassiker „Mord im Orient-Express“ ein Kinohit mit prachtvoller Ausstattung und Star-Ensemble. Im Fahrwasser des Leinwanderfolgs wurde schnell eine weitere Geschichte um Christies populären (wenngleich von ihr selbst wenig geliebten) Schnüffler Hercule Poirot verfilmt: „Tod auf dem Nil“! Exakt so geht jetzt auch Regisseur, Produzent und Hauptdarsteller Kenneth Branagh vor, der nach seiner starbespickten, hübsch ausgestatteten Hit-Adaption von „Mord im Orient-Express“ nun ebenfalls als nächstes einen Dampfer auf dem Nil besteigt – und wie das Sequel damals nicht an seinen Vorgänger heranreichte, so bleibt nun auch „Tod auf dem Nil“ hinter Branaghs erstem Auftritt als belgisches Schnurrbart-Genie zurück.

    Die Millionenerbin Linnet Ridgeway (Gal Gadot) schockiert ihr Umfeld, indem sie urplötzlich den lüsternen Pleitegeier Simon Doyle (Armie Hammer) heiratet und so zugleich ihrer besten Freundin Jacqueline de Bellefort (Emma Mackey) den Verlobten wegschnappt. Die Verlassene verfolgt das Paar daraufhin auf Schritt und Tritt – selbst während der dekadenten Hochzeitsreise auf dem Nil. Da sich Linnet nicht sicher fühlt, bittet sie Spitzendetektiv Hercule Poirot (Kenneth Branagh), ein wachsames Auge auf sie zu werfen. Dennoch dauert es nicht lange, bis auf dem Partydampfer ein Mord geschieht. Zu den Verdächtigen zählen Linnets Dienstmädchen Louise Bourget (Rose Leslie), ihr Treuhänder Andrew Katchadourian (Ali Fazal), die Musikerinnen Salome & Rosalie Otterbourne (Sophie Okonedo & Letitia Wright) sowie die Malerin Euphemia (Annette Bening)...

    Mehr als in der Vorlage spielt in diesem „Tod auf dem Nil“ auch das angeschlagene Seelenleben von Hercule Poirot (Kenneth Branagh) eine wichtige Rolle.

    Kenneth Branaghs „Mord im Orient-Express“-Variante unterscheidet sich erzählerisch in einer entscheidenden Hinsicht von der ersten Filmadaption: Der „Belfast“-Regisseur stutzt Poirots Ermittlungsarbeit zusammen und betont im Gegenzug stärker, was der moralisch vertrackte Kriminalfall emotional mit dem ordnungsliebenden Belgier macht. Dieser Ansatz wird von Drehbuchautor Michael Green („Blade Runner 2049“) in „Tod auf dem Nil“ nun sogar noch intensiviert: Eine erzählerische Klammer widmet sich etwa Poirots Privatleben und skizziert ihn als schnell kombinierenden Mann, der es als seine Pflicht erachtet, Probleme zu analysieren und sein Umfeld vor Schaden zu bewahren. Dem Schnauzbartträger gehen Rückschläge extrem nah, selbst wenn er sprichwörtlich eine Maske aufsetzt, damit man es ihm nicht anmerkt.

    So wird zugleich auch der Verlauf des zentralen Kriminalfalls im Vergleich zur ersten „Tod auf dem Nil“-Leinwandadaption emotional umgewichtet: Dass Poirot und die Hochzeitsgesellschaft von einem Mord überrascht werden, ist hier nicht einfach der nächste Fall, den Poirot vor die Nase gesetzt bekommt und routiniert annimmt. Stattdessen schwingen in Branaghs Darstellung des Meisterdetektivs sowohl eine gequälte Verbissenheit als auch Schuldgefühle mit – schließlich hätte er den Mord verhindern können.

    Ein leidender Meisterdetektiv

    Kenneth Branagh spielt und inszeniert die verborgenen, sensiblen Facetten Poirots überzeugend: Wenn Poirot beispielsweise zu einem der fesselnden „Ich erkläre ausführlich, was ich beobachtet habe!“-Monologe ansetzt, die typisch für Agatha Christie sind, schaudert er kurz, als er ein an das Opfer erinnerndes Indiz erblickt. Mehrmals schweift Poirot während seiner Verhöre ab – und zwar nicht bloß, um sein Gegenüber zu verräterischen Antworten zu verleiten, sondern auch, weil ihm aufgrund der turbulenten Ereignisse der Wunsch, Ruhe zu finden, quälend unter den Nägeln brennt.

    In diesen Momenten entwickelt „Tod auf dem Nil“ eine für das Whodunit-Genre atypische, sentimentale Komponente. Allerdings manövrieren sich Branagh und Green mit ihrem Ansatz in den Bereich „Nichts Halbes und nichts Ganzes“: Statt eine Balance aus Poirot-Charakterskizze und Whodunit-Tätersuche anzustreben, werfen die beiden den Fokus auf Poirots Charakterentwicklung mehrmals über Bord, um Platz für die Kriminalgeschichte zu schaffen. Bei der Umsetzung der ungewöhnlich strukturierten Vorlage tun sie sich allerdings noch schwerer als die Macher der ersten „Tod auf dem Nil“-Verfilmung: Christie lässt im Roman schließlich fast die Hälfte ihres Buchs vergehen, bevor es überhaupt zum titelgebenden Tod kommt.

    Einer der schauspielerischen Lichtblicke: Emma Mackey als eifersüchtige Ex zwischen Femme-fatale-Selbstbewusstsein und Nervenzusammenbruch.

    Das Warten auf den Mord gerät auf den Buchseiten dank Christies spitzer Feder ebenso kurzweilig wie spannend. Die Filmvarianten dagegen treten vor dem Mord auf der Stelle: Die Verdächtigen sind in der gestrafften Kinoerzählung (hier mehr noch als in der früheren Verfilmung) zu blass skizziert, um auch schon vor der Gewalteskalation zu fesseln – und trotz Dreharbeiten in Marokko und einer detailreichen Nachbildung des Tempels von Abu Simbel fehlen Branaghs Version die imposanten Schauwerte des Films von 1978.

    Branagh und sein Kameramann Haris Zambarloukos („Mamma Mia!“) setzen auf eine derart überbelichtete Ästhetik, dass es teilweise schwer ist, zwischen grell-glänzenden, aber realen Schauplätzen und halbgaren, noch auf den digital erzeugten Schattenwurf wartenden Computeranimationen zu unterscheiden. Dem Flussdampfer und somit dem Hauptschauplatz kommt zudem der atmosphärische Charakter abhanden, den Branaghs Orient-Express noch aufwies. Gelegentlich wertet der Regisseur das Geschehen zwar mit kleinen inszenatorischen Spielereien auf, etwa mit Kamerafahrten vorbei an Fenstern, durch die wir die Figuren mehrfach gespiegelt betrachten. Zumeist aber finden die Gespräche an Bord vor charakterarmen, leergeräumten Hintergründen statt.

    Ausgerechnet Superstar Gal Gadot fällt diesmal durch ein ungewohnt steifes Spiel negativ auf.

    Durch diese Verhöre hasten Green und Branagh geradezu atemlos hindurch, um während der knapp zwei Stunden Spielzeit für alle Verdächtigen sowohl Tatmotive und dubiose Alibis als auch plausible Ausreden zu präsentieren. Den Schauspieler*innen bleiben dabei kaum Möglichkeit, den Figuren Profil zu verleihen, so dass das schmucke Kostümdesign stattdessen einen gehörigen Anteil der Charakterisierung mit stemmen muss. Allein Emma Mackey („Sex Education“) als eifersüchtige Ex, die zwischen Femme-fatale-Modus und Nervenzusammenbruch schwankt, sowie Sophie Okonedo („Hellboy“) als mit Poirot schäkernde Musik-Diva bleiben nennenswert positiv in Erinnerung, während Gal Gadot („Red Notice“) mit ihrer steifen Präsenz sogar negativ auffällt.

    Noch größere Abweichungen gegenüber der Vorlage hätten dem Film womöglich geholfen – etwa ein großzügiges Kürzen der Verdächtigen-Liste oder der Verzicht auf die eine oder andere Reisestation vor dem Mord. Dann hätte es während der Verhöre mehr Raum für die Charaktere gegeben – und die Filmschaffenden hätten mehr Erzählzeit für die Szenen gewonnen, die Poirot in den Fokus stellen. Denn für die bringt Branagh spürbar die meiste Passion auf und sie hätten dem Film zudem ein größeres Alleinstellungsmerkmal verliehen. So hingegen bleibt ein durchschnittlicher Kriminalfilm, der zwar gewisse Ambition erkennen lässt, diese dann aber kaum konsequent verfolgt.

    Fazit: Kenneth Branaghs zweite Agatha-Christie-Adaption hat originellere Ansätze als sein „Mord im Orient-Express“ – aber ein unentschlossener erzählerischer Fokus sowie eine das Flair des Vorgängers vermissenlassende Optik sorgen dafür, dass „Tod auf dem Nil“ weder mit dem vorherigen Poirot-Fall noch mit der 1978er-Verfilmung desselben Stoffes mithalten kann.

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