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Kinobengel
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4,5
Veröffentlicht am 11. April 2019
Ciro Guerra ist nach „Der Schamane und die Schlange“ mit einem neuen Werk im Kino. Für „Birds of Passage“ saß Ehefrau Cristina Gallego, die auch als Produzentin beider Filme verantwortlich ist, neben ihm auf dem Regiestuhl.
1968: Rapayet (José Acosta) lebt als Angehöriger des friedliebenden Stammes der Wayuu in Kolumbien. Er möchte seiner Zukünftigen Zaida (Natalia Reyes) einiges bieten und begründet den organisierten Drogenhandel in Südamerika.
Welch ein Familienprojekt! Die Ehegatten sitzen auf dem Regiestuhl, der Bruder von Cristina, Kameramann David Gallego, rückte bereits das Meisterwerk „Der Schamane und die Schlange“ in das rechte Licht. Und wieder ist etwas Fantastisches mit historischem Bezug gelungen.
Das Optische beeindruckt. Lange Einstellungen und wortkarg bestimmende Dialoge lassen die Familienoberhäupter im höchstens Maße respektierbar und markant erscheinen. Dazu liefert das Aufnahmegerät von David abwechslungsreiche Landschaften. Schon die Idee, den vorherigen Film im grünbunten kolumbianischen Dschungel mit einem genial austarierten Kontrast in schwarzweiß zu drehen war genial. Darstellung expliziter Gewalt lassen die Regisseure weitestgehend weg. Die vermehrt im hinteren Drittel der 120 Minuten Spielzeit auftauchenden, mit Blut daherdrapierten Leichen sehen etwas gestellt aus.
Es gibt nicht nur Schauwerte. Sehr subtil bringen Ciro Guerra und Cristina Gallego die Kultur und die Rituale der Wayuu in vielen Szenen dem Publikum näher. Rechtliches ist geregelt, auch im Umgang mit anderen Stämmen, die mehr oder weniger angesehen sind. Wort geht vor Gewalt, das ist eine quasi unumstößliche Maxime für alle Auseinandersetzungen. Der Rest der Welt nimmt kaum Einfluss. Mit dem Drogenhandel, der mittlerweile straff nach marktwirtschaftlichen Gesetzen geordnet ist, werden allmählich andere Charakterzüge der Anführer und ihrer Vasallen ins Spiel gebracht. Die Inszenierung bekommt zwar mit einem Zeitsprung von ca. zehn Jahren einen ordentlichen Ruck, dennoch erhalten die Zuschauer eine meisterhafte Entblätterung der Natur des Menschen geliefert. Die Gier, das Streben nach Macht und tödlicher Vergeltung beherrschen bald das Bild der beteiligten Familien. Dabei hat das Regie-Duo darauf geachtet, die vielen Hauptfiguren individuell auszugestalten. Alles Gute verkommt, Buschhütten weichen pompösen Bauten mit stylischen Möbeln. Parallelen zu Filmen über die italienische Mafia sind nun unübersehbar, wirken jedoch nicht wie ein Muster.
„Birds of Passage“ ist eine wuchtige und ernüchternde Erzählung über den Verfall von Werten.
Wir sind in den 60er Jahren in Kolumbien. In einer archaischen Männergesellschaft haben auch Frauen ein Wörtchen mitzureden, wenn es um die Hochzeit geht. Die indigene Bevölkerung lebt in Stammesformationen. Die Familie ist alles. Sie verleiht Schutz und Ansehen. Bei einer Heirat wie hier zwischen Rapayet (José Acosta) und Zaida (Natalie Reyes) verhandeln die Stammesältesten. Auch die alte Ursula (Carmina Martinez), die Mutter von Zaida ist dabei. Beide gehören zum Stamm der Pushiana, einer mächtigen Volksgruppe innerhalb der Wayuu. Wenn es zu Unstimmigkeiten kommt, werden Wort Boten ausgetauscht, die die Verhandlungen leiten. Wenn das nicht zur Lösung des Problems führt, gibt es Krieg. Da ist Sippenrache an der Tagesordnung. Man hatte den anderen Clans seine Macht demonstriert z.B. durch eine Demütigung: Hier ein Koffer voll Geld, wenn der Übeltäter Hundekot isst. Man dezimiert sich gegenseitig bis am Ende fast keiner mehr überlebt. Also keine Happy End für Rapa und Zaida. Das Regiepärchen Guerra/Gallego erzählt in fünf Kapiteln – Lieder genannt – in einer beeindruckenden Bildersprache den Aufstieg und das Ende eines Clans. Die Menschen leben zwischen Traditionen mit Geisterglauben und Traumdeutungen und Moderne. Ein Talisman ist von zentraler Bedeutung. Die meisten sind steinreich, fahren dicke SUVs und die Männer sind ständig dabei ihre Ehre hochzuhalten. Die Frauen wie hier die alte Ursula reden bei den Geschäften ein wichtiges Wörtchen mit. Die Fülle von Figuren neben den drei Hauptakteuren lässt dem Zuschauer Platz für Distanz zu ihnen. So beeindrucken nur die Bilder weniger die individuellen Schicksale. Eine andere Welt. Voller Dämonen und Gewalt.
Eine karge Ebene, über die der Wind weht. Dürre Bäume. Man möchte meinen, man wäre in der Sahelzone. Falsch gedacht. Dieses Ödland ist Kolumbien. Wobei ich bei Kolumbien in erster Linie an dichte Wälder denke, bis an die Küste. Die Hütten der Wayuu allerdings, die stehen dort, wo Touristen womöglich kaum hinkommen. Nämlich an der Halbinsel La Guajira im Norden des Landes, direkt an der Grenze zu Venezuela. Wer die Wayuu eigentlich sind? Ein indigenes Volk mit Prinzipien, strengen Regeln und Ritualen. Und mit einem schier grenzenlosen Glauben an eine höhere, fast schon prophetische Bedeutung der Dinge. Kommt bekannt vor? Zumindest wenn man ans Römische Reich denkt, da waren die sogenannten Auguren jene, die aus allem was sie sahen, hörten oder in die Finger bekamen, die Zukunft lesen oder zumindest erahnen konnten. Soweit ich weiß, wurde selbst Cäsar davor gewarnt, an den Iden des März im Jahre 44 v.Chr. den Senat aufzusuchen. In den Wind schlagen lässt sich sowas recht einfach. Und in den Wind, der da an der Halbinsel unablässig weht, schlagen auch die Wayuu sämtliche Omen, wenn es um Profit geht. Den entdeckt nämlich in den 60er Jahren ein in die Sippe der Wayuu eingeheirateter junger Mann namens Rapayet, der einigen Amis Marihuana verkauft. Die wollen bald mehr, und so wird das grüne Gold, wie es im Untertitel des Filmes heißt, Zankapfel sämtlicher Clans, die alle ein Stück vom Kuchen wollen und bald lästige Konkurrenz mit bewährtem Blei der Einfachheit halber auszuschalten gedenken. Irgendwie rauft man sich zusammen, auch wenn man sich nicht ausstehen kann und die Ehre der Familie ständig im Weg ist. Die wird dann auch, nachdem alle Jahrzehnte später in ihrem Reichtum förmlich ertrinken, allen zum Verhängnis – und eine bittere Tragödie nimmt ihren Lauf.
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