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    Die Blüte des Einklangs
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Die Blüte des Einklangs

    Der Kosmos hat einen Plan

    Von Antje Wessels

    Die japanische Arthouse-Regisseurin Naomi Kawase („Kirschblüten und rote Bohnen“) wurde in frühen Jahren von ihren Eltern verlassen. Auch wenn sie daraufhin wohlbehütet bei ihren Großeltern aufwuchs, ließ sie dieser Schicksalsschlag noch bis weit ins Erwachsenenalter hinein nicht los. So handeln viele ihrer Werke vom Verlust und vom Wiederfinden der Familie. In ihren (Kurz-)Dokumentarfilmen „In deinen Armen“ und „Um mich herum die Stille“ behandelt sie beispielsweise die Beziehung zu ihrem Vater und versucht gar vor laufender Kamera ihn wiederzufinden. Auch die Helden in ihren fiktiven Geschichten hatten oder haben nicht selten schwierige Familienschicksale zu überwinden. Ihre französisch-japanische Koproduktion „Die Blüte des Einklangs“ macht da keine Ausnahme, man könnte die letzte halbe Stunde des mit Superstar Juliette Binoche („Godzilla“) besetzten Dramas sogar als Kulmination des bisherigen Schaffens von Kawase bezeichnen. Nur wären es leider krasse Spoiler, wenn wir hier zu sehr auf die Twists und Wendungen der zweiten Hälfte eingehen würden. Bis dahin entpuppt sich „Die Blüte des Einklangs“ als esoterisch angehauchte, ungeheuer präzise inszenierte Sinnsuche, die einen die japanischen Wälder regelrecht spüren lässt.

    Die französische Reisejournalistin Jeanne (Juliette Binoche) besucht die dicht bewaldeten Berge in der Nähe der japanischen Großstadt Nara, um hier eine seltene Heilpflanze zu finden, die ihren Recherchen nach nur alle 997 Jahre einmal blüht – und in diesem Herbst soll es wieder so weit sein. Auf ihrer Reise lernt sie nicht bloß die sympathische Japanerin Hana (Minami) kennen, die sich als großer Fan ihrer Arbeit erweist und sich bereiterklärt, sie auf ihrem Trip als Übersetzerin zu begleiten. In den Wäldern von Nara angekommen, treffen die beiden Frauen in einer abgelegenen Holzhütte auch auf Tomo (Masatoshi Nagase), der sich vor vielen Jahren bewusst in die Wälder zurückgezogen hat und bereits seit einiger Zeit spürt, dass grundlegende Änderungen bevorstehen. Kurzerhand quartieren sich Jeanne und Hana bei Tomo ein und begeben sich auf die Suche nach der Pflanze. Dabei kommen sich nicht bloß Jeanne und Tomo langsam näher, die Journalistin kommt außerdem einem langgehüteten Geheimnis auf die Spur, das ihr Leben und ihre Sicht auf die Welt für immer verändern wird...

    Im Original trägt „Die Blüte des Einklangs“ den Titel „Vision“ – nach der geheimnisumwitterten Blüte, hinter der Jeanne im Film her ist. Eine der zentralen Fragen, die „Die Blüte des Einklangs“ stellt, ist die, wie beziehungsweise ob der Mensch heute überhaupt noch dazu in der Lage ist, im vollen Einklang mit der Natur zu leben. Als einzige Verbindung zwischen den dicht bewachsenen Bergen und der nicht minder dicht bebauten Stadt Nara dient ein dunkler Tunnel, der wie eine Grenze wirkt: Auf der einen Seite existiert der Wald, auf der anderen die Stadt. Eine Kombination aus beidem scheint unmöglich, weshalb die noch von viel weiter weg stammende Jeanne auf den ersten Blick wie ein Eindringling wirkt. Genauso wie ihr Bestreben, eine Blüte zu finden, von der noch nicht einmal die hier lebenden Menschen bisher etwas gehört haben.

    Doch nicht nur Jeanne bringt das natürliche Gleichgewicht ins Wanken: Wenn hier Bäume gefällt oder Hirsche geschossen werden, brennen sich einem derartige Momente besonders tief in die Seele, denn dem gegenüber stehen – im wahrsten Sinne des Wortes – berauschende Szenen, in denen in Super-Super-Close-Ups sprießende Pflanzen (Kamera: Dodo Arata) gezeigt oder auf der extra laut aufgedrehten Tonspur die sich im Wind bewegenden Baumwipfel eingefangen werden. Naomi Kawase entwickelt in „Die Blüte des Einklangs“ ein geradezu schwelgerisches Gespür für das Wunder „Wald“, das eingängiger ist als jede noch so informative Naturdokumentation, indem sie den Fokus ganz auf das legt, was jeder hören und sehen könnte, wenn er nur eben sehr genau hinschauen und -hörten würde.

    Das Aufeinandertreffen zwischen Jeanne und dem naturverbundenen Tomo hat zu Beginn fast schon den Charakter einer Culture-Clash-Komödie, selbst wenn Kawase den Fokus nicht wie in solchen Filmen üblich konsequent auf den größtmöglichen Gegensatz legt. „Die Blüte des Einklangs“ behandelt stattdessen das sich sukzessive Annähern zweier völlig verschiedener Menschen, die über das Entdecken von Gemeinsamkeiten zueinanderfinden; etwaige Unterschiede wie die Sprachbarriere (Jeanne spricht Französisch und fließend Englisch, Tomos Englisch reicht hingegen noch nicht einmal für flüssigen Smalltalk) interessieren Kawase hingegen kaum. In „Die Blüte des Einklangs“ findet alles irgendwann von selbst so zusammen, wie es sein soll – und zwar in einem kosmischen Sinne. Auch das Japanisch der mysteriösen Kräuterfrau Aki (Mari Natsuki) braucht Jeanne nicht Wort für Wort zu verstehen, um zu einer tränenreichen Erkenntnis zu gelangen. Die Interaktion zwischen den Figuren wirkt in erster Linie intuitiv. Und wer mit Spiritualität, Esoterik, Numerologie und dergleichen so gar nichts am Hut hat, wird zu „Die Blüte des Einklangs“ ohnehin nur schwer einen Zugang finden.

    In was sich hingegen wohl jeder einfühlen kann, ist die glaubhafte Anziehung zwischen Jeanne und Tomo, bei denen ein gemeinsames Dinner ausreicht, um anschließend übereinander herzufallen. Die von Juliette Binoche verkörperte Hingabe ergänzt sich wunderbar mit Masatoshi Nagases („Radiance“) langsam aufbrechender Schüchternheit, was seinen (auch buchstäblichen) Höhepunkt in mehreren leidenschaftlichen Sexszenen findet, in denen der Fokus ausschließlich auf den Gesichtern des Paares liegt. Das körperliche Begehren, aus dem anschließend auch eine emotionale Bindung erwächst, prägt das Bild des Dramas: In „Die Blüte des Einklangs“ geht es letztlich nicht bloß um den Einklang von Mensch und Natur, sondern auch um den Einklang von Körper und Seele.

    Nach etwa drei Vierteln ändert „Die Blüte des Einklangs“ radikal seinen Ansatz – und nach einigen tatsächlich sehr überraschenden Wendungen (die nur deshalb nicht wie aus dem Nichts erscheinen, weil der Film eben schon die ganze Zeit seine Idee vom kosmischen Plan mitschwingen lässt), kehrt Kawase dann auch wieder zu ihrem Lieblingsthema von der „verlorenen Familie“ zurück. Das tut sie mit einer Verve und Konsequenz, die man ihr hoch anrechnen kann. Genauso gut kann man es aber auch plump bis hin zu unfreiwillig komisch finden, wenn die zuvor so ruhigen Einstellungen plötzlich in assoziative Bilderräusche und die bodenständige Liebesgesichte in ein mythisches Fantasy-Drama übergehen. Kawases Gespür für Visualität bleibt auch dabei erhalten - „Die Blüte des Einklangs“ ist bis zum Schluss ein schlicht wunderschön fotografierter Film. Doch erzählerisch entlässt er einen nach dieser fragwürdig-feurigen 180-Grad-Wendung auf der Zielgeraden dann doch eher unbefriedigt.

    Fazit: In ihrem bildschönen Drama „Die Blüte des Einklangs“ ergründet Naomi Kawase ganz behutsam zwei Liebende, die im Einklang mit der Natur zu sich selbst finden. Dass sie in den letzten 25 Minuten plötzlich zu plumper Symbolik greift, um ihren zuvor so angenehm subtilen Assoziationen mehr Ausdruck zu verleihen, ist jammerschade.

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