Ein 80er-Retro-Slasher auf den Spuren von "Stranger Things"
Von Lucas BarwenczikDie Welle der 80er-Jahre-Nostalgie reißt nicht ab. Serien wie „Stranger Things“ und Filme wie „Ready Player One“, „Super 8“ oder „The Guest“ bedienen die Lust an den Bildern, der Musik und den Geschichten dieser Dekade. Auch das Regie-Trio bestehend aus François Simard, Anouk Whissell und Yoann-Karl Whissell hat sich dieser Form der Retromanie verschrieben. Schon ihr Splatter-Spaß „Turbo Kid“ von 2015 war eine wilde Melange aus den Action- und Abenteuerfilmen dieser Zeit. Mit ihrem Horror-Drama „Summer Of ´84“ nehmen sie sich nun die Jugend- und Slasher-Streifen jener Ära vor. Doch wie viel Eigenständigkeit steckt in ihrer Hommage? Ist die reine Neuanordnung vertrauter Elemente auf Dauer wirklich zufriedenstellend?
Die vier Freunde Davey (Graham Verchere), Tommy (Judah Lewis), Dale (Caleb Emery) und Curtis (Cory Gruter-Andrew) schlagen die Zeit im titelgebenden Sommer 1984 tot. Auf der Suche nach einem Abenteuer werden sie schnell fündig. Schon seit Jahren verschwinden immer wieder Jugendliche in der Region. Davey hält seinen Nachbarn, den Polizisten Wayne Mackey (Rich Sommer), für den verantwortlichen Serienkiller. Die Teenager beginnen ihn zu beschatten. Sind ihre Beweise wirklich überzeugend oder ist das Ganze nur überbordende jugendliche Fantasie? So oder so wird dieser Sommer ihr Leben für immer verändern...
Die Vorbilder des Films sind in jeder Szene zu erkennen, wenn sie nicht sogar direkt zitiert werden. Als Davey die Kamera seines Journalisten-Vaters nicht ausleihen darf, beklagt er: „So werde ich niemals der nächste Spielberg.“ Die Gespräche der Jugendlichen drehen sich um „Star Wars“, „Gremlins“ und „Poltergeist“. Sie lesen die Kriminalromane der „Hardy Boys“ und leben in einem ordentlichen Vorort, der auch direkt aus Joe Dantes „Meine Teuflischen Nachbarn“ stammen könnte. Ihre Gruppendynamik bewegt sich irgendwo zwischen „Stand By Me“ und „Die Goonies“.
Dabei ist fast nie ein Augenzwinkern zu erkennen. Um einen ironischen Blick auf das Kino vergangener Tage geht es den Regisseuren nicht. Nachahmung ist die höchste Form der Anerkennung. Nur in einer einzigen kurzen Sequenz veralbern die Teenager altbackene Filmdramaturgien, ansonsten begegnet „Summer Of 84“ seinem Thema mit großer Aufrichtigkeit. Das ist in einer Kinolandschaft voll von hipper Ironie sicher lobenswert, lässt aber auch nach dem Zweck der gesamten Unternehmung fragen. Wenn man seine Quellen nicht parodiert, persifliert, variiert oder hinterfragt, also keinen neuen Blick entwickelt, wieso dann Bekanntes wiederholen?
Zu viel ist reine Imitation. Die Figuren haben sogar dieselben Probleme wie ihre Spielberg-Geschwister. Dabei dreht sich alles um die Familie. Dales Mutter verzweifelt an endlosen Schichten bei der Arbeit. Tommy kommt aus einem schwierigen Haushalt, die Schreie dringen bis auf die Straße. Die Eltern von Daveys Nachbarin Nikki (Tiera Skovbye) wollen sich scheiden lassen. Es ist eine Generation von Schlüsselkindern in einer Welt ohne verlässliche Autoritätspersonen. Das ist die notwendige Voraussetzung für ihre Detektivgeschichte. Für die Freiheit, ganze Nächte lang vermeintliche Mörder zu jagen. Darüber hinaus bleiben diese Hintergrundgeschichten allerdings gänzlich irrelevant. Sie spielen nicht in den Kriminalfall hinein, sie werden nicht wirklich weiterentwickelt. Man bekommt den Eindruck, sie werden überhaupt nur deshalb behandelt, weil das bei Spielberg und Co. auch so funktioniert.
Der repetitive Synthesizer-Soundtrack liegt laut und penetrant über nahezu jeder Szene. Stellenweise dröhnt er sogar die Dialoge in die Unverständlichkeit. Diese Entscheidung ist bezeichnend: Die Figuren sind den Regisseuren weniger wichtig als das Gefühl für die dargestellte Zeit. Alles muss laut „ACHTZIGER!“ schreien, vom Poster bis zum Abspann.
Man verbringt (zu) viel Zeit mit den selbsternannten Detektiven. In ihrem Baumhaus, in ihren Kinderzimmern, auf der Bowlingbahn und beim Recherchieren in der Bibliothek. Dabei benehmen sie sich, wie Teenager es in den Filmen der 80er oft taten: Sie fantasieren vom Beischlaf mit den Müttern ihrer Freunde, masturbieren eifrig und beschimpfen einander als zurückgeblieben. Ihnen dabei zuzusehen ist nur selten interessant oder lustig. Um ihren Film allein mit langen Szenen des Rumhängens zu bestreiten, sind die Regisseure und Drehbuchautoren weder visuell noch sprachlich einfallsreich genug. Es werden eher die Schwächen als die Stärken der Vorbilder übernommen. Die Figuren bleiben blass, ihre Identität erschöpft sich jeweils in einem einzigen Merkmal. Dale ist dick, Tommy ein Punk, Curtis ein Nerd. Solche Archetypen können interessant sein, wenn interessante formale Ideen oder ein spannender Plot sie trägt. Weil beides fehlt, fallen sie besonders negativ auf.
Die Qualität der zahlreichen Vorbilder wird daher nie erreicht. Das macht die vielen Verweise zum Problem. Sie erinnern an die Filme, die man jetzt gerade lieber sehen würde. Wo ein Regisseur wie etwa Quentin Tarantino durch Zitate neue Querverbindungen schafft, degradiert sich „Summer Of ´84“ selbst zur Fußnote. Zum schwachen letzten Abkömmling einer einstmals stolzen Dynastie.
Immerhin: Einige der Horror-Szenen gegen Ende des Films sind relativ spannend aufgebaut. Die letzten Eskalationen verlassen sich ein wenig zu stark auf Drehbuchkniffe, sind aber überraschend konsequent. Ihre technischen Fähigkeiten kann man dem Regie-Kollektiv nur schwerlich absprechen. Das wurde schon beim gelungeneren Vorgängerfilm „Turbo KId“ deutlich. Es wäre ihnen zu wünschen, dass sie sich in Zukunft auf nicht so ausgetretenen Pfaden bewegen. Vielleicht finden sie ja sogar neue. Eigene.
Fazit: Nur wirklich große Liebe zu den 80er-Jahren macht „Summer of 84“ zu einer angenehmen Erfahrung. Wer nur vorübergehend von der Retromanie gepackt wird, sollte einfach zur einem der großen Vorbilder greifen.
Wir haben den Film im Rahmen des HARD:LINE Film Festival zu sehen bekommen. Das Festival für extremes Kino findet jährlich in Regensburg statt.