Der Animations-Megahit aus China!
Von Björn BecherAls „eine Mischung aus ‚Arielle, die Meerjungfrau‘ und ‚Chihiros Reise ins Zauberland‘“ wird der chinesische Animationsfilm „Big Fish & Begonia“ auf dem deutschen Kinoposter angepriesen. Dabei handelt es sich um ein Zitat aus der Kritik der britischen Kollegen vom Guardian, das dafür allerdings aus dem Zusammenhang gerissen wurde und zudem völlig überhöhte Erwartungen an den Film provoziert: Inhaltliche Parallelen sind zwar durchaus vorhanden, aber „Big Fish & Begonia“ bleibt dann schon allein aufgrund seiner eher schwachen Figurengestaltung doch ein ganzes Stück hinter den übergroßen Vorbildern zurück. Trotzdem hat das über einen Zeitraum von rund zwölf Jahren hinweg entstandene Debüt des Regie-Duos Liang Xuan und Zhang Chun definitiv seine Stärken: Die wilde Fantasiewelt des Films ist faszinierend genug, um uns in ihren Bann zu ziehen; und die nur streckenweise etwas zu dick aufgetragenen Emotionen entwickeln genug Kraft, um wirklich zu berühren.
Unter dem Meeresgrund existiert eine Welt, von der wir nichts wissen. In dieser Parallelwelt leben verschiedene Wesen, die unsere Natur kontrollieren. Darunter befindet sich die 17 Jahre alte, wie ein Mensch aussehende Chun. Wie es in der Unterwasserwelt Usus ist, soll sie zu ihrer Volljährigkeit eine Woche als roter Delfin die Welt der Menschen erkunden, um die Natur zu sehen, für die sie schon bald selbst Verantwortung tragen wird. Doch gerade, als die Woche vorbei ist und sie sich auf den Rückweg macht, verfängt sie sich in einem Fischernetz. Der Menschenjunge Kun eilt dem todgeweihten Delfin zur Hilfe, befreit ihn und verliert dabei in dieser stürmischen Nacht sein eigenes Leben. Zurück zu Hause gibt sich Chun selbst die Schuld. Doch es scheint noch einen Ausweg zu geben, denn die Seelen aller verstorbener Menschen landen in der Welt unter dem Wasser. Chun will den Seelensammler überzeugen, dass Kun wiedergeboren werden sollte. Aber dafür ist nicht nur ein großes persönliches Opfer nötig, sie bringt mit der Bitte auch ihre ganze eigene Welt in Gefahr...
Bereits 2004 veröffentlichten die Regisseure Liang Xuan und Zhang Chun erste kurze Animationen, mit denen sie eigentlich nur an einem Online-Wettbewerb teilnehmen wollten. Doch nach dem überaus positiven Feedback entschieden sie schnell, dass sie einen Spielfilm aus ihrer Idee entwickeln wollen. Doch der Weg war steinig. Den Machern fehlt es an allen Ecken und Enden an Geld. Die finale Finanzierung gelang erst, nachdem sie sich an die Öffentlichkeit wanden: Über das chinesische Twitter-Gegenstück Weibo baten sie im Jahr 2013 um Hilfe. Am Ende hatten sie so ein für westliche Maßstäbe immer noch extrem niedriges Budget von umgerechnet fünf Millionen Dollar für „Big Fish & Begonia“ zur Verfügung, mit dem sie dann in China aber einen echten Hit landeten: Knapp 90 Millionen Dollar spielte der Film alleine dort ein und warum „Big Fish & Begonia“ im Anschluss an den China-Start 2016 inzwischen auch ein weltweites Publikum begeistert, wird schnell klar: Optisch ist der Debütfilm eine absolute Wucht!
Von der ersten Einstellung an besticht „Big Fish & Begonia“ mit seiner imposanten Bildpracht. Da die Welt, in der die Geschichte größtenteils spielt, unter unseren Meeren liegt, zieren anfangs prächtige Fische den Himmel. Sowieso ist das mysteriöse Reich voller Farbenpracht und wird von den unterschiedlichsten Wesen bevölkert. Dabei wird anfangs nicht ganz klar, warum alle diese Wesen so unterschiedlich aussehen und zum Beispiel Chuns Opa ein Mann mit meterlangem Bart ist, ihre Oma aber ein Vogel. Was später noch genauer erklärt wird, eröffnet dem Zuschauer anfangs erst einmal Raum zum ausgiebigen Staunen und Entdecken. Und die Macher nutzen diese visuelle Fülle zugleich auch, um ein paar Easter-Eggs zu verstecken. So sind zumindest wir fest davon überzeugt, auch Verweise auf die Werke von Anime-Meister Hayao Miyazaki sowie die Serie „Avatar – Der Herr der Elemente“ entdeckt zu haben.
Bis „Big Fish & Begonia“ auch erzählerisch in die Gänge kommt, dauert es allerdings ein wenig. Die Off-Erzählung, die offensichtlich von einer älteren und auf die Geschehnisse zurückschauenden Chun stammt, konzentriert sich vor allem zu Beginn zu sehr auf das Erklären der Regeln in dieser Welt, wobei die Emotionen zunächst noch zu kurz kommen. Die großen Gefühle stellen sich stattdessen erst im Verlauf der Geschichte ein, wenn die Macher schließlich voll auf die Pauke hauen, aber damit dann auch einen echten Wirkungstreffer erzielen. Wenn sich Chun schließlich gegen ihre Gemeinschaft stellt, um den erst einmal nur als kleinen Fisch wiedergeborenen Kun zu beschützen und aufzupäppeln, ist das ungemein mitreißend, auch weil die Geschichte einige rasante Entwicklungen nimmt. Dass der Fokus komplett auf der jungen Heldin liegt, führt aber auch direkt zu einer der auffälligsten Schwächen des Films.
So ist etwa der Umgang mit der interessanten Figur von Chuns bestem Freund Qiu zumindest verwunderlich. Wenn ihn die Heldin quasi links liegen lässt und er selbst hinter ihr Geheimnis kommt, deutet sich ein typischer Eifersuchts-Verräter-Plot an. Doch das Geschehen entwickelt sich auch deswegen in eine andere Richtung, weil die Erzähler zwischenzeitlich den Chun über alles liebenden und sich dadurch selbstlos verhaltenden Qiu immer wieder vergessen. Auch den Animatoren passiert ein solcher Fauxpas: In einer Szene, in der sie sich voll auf Chun und Kun konzentrieren, fehlt Qiu im Bild, obwohl man nur einen Schnitt später sieht, dass er doch anwesend ist und daher auch in der vorherigen Aufnahme hätte präsent sein müssen.
Immer wieder scheint es so, als wären die Macher ohnehin nicht durchweg an ihrer Erzählung und viel mehr an ihren beeindruckenden Bildern interessiert. Das zeigt sich an vielen Auslassungen und auch einem leicht verwirrenden Ungleichgewicht: Da wird teilweise ausufernd erklärt, wo es gar nicht zum Verständnis nötig wäre, während an anderer Stelle viele Fragezeichen übrigbleiben. Doch immer, wenn man sich deswegen in der Story womöglich etwas verloren fühlt, eröffnen sich kurz darauf visuell herausragende Bilderwelten, in denen man sich – im Gegensatz zur Story – tatsächlich und freiwillig verlieren möchte. Und vor allem verstehen es die Macher jedes Mal wieder, den emotionalen Kern herauszustellen – woran auch die starke Musikuntermalung des japanischen Komponisten Kiyoshi Yoshida („Das Mädchen, das durch die Zeit sprang“) seinen nicht geringen Anteil hat.
Fazit: „Big Fish & Begonia“ ist ein trotz erzählerischer Schwächen optisch schwer beeindruckendes und tief berührendes chinesisches Animations-Fantasy-Abenteuer.
P.S.: Unbedingt den Abspann schauen, in dem noch eine für die emotionale Wirkung des Films nicht unwesentliche Wendung enthüllt wird.